Kategorie: Allgemein

Trauer ist subversiv

Was ist da unter dem Stein habe ich gefragt. Ein Körper, haben sie gesagt. Und warum die Kerzen? Für die Toten. Ach so. Ich habe genickt, die Hände in den Jackentaschen vergraben, die Nase unterm Ansatz des Rollkragenpullovers verkrochen. Verstanden…

Anmerkungen eines Ketzers

  Ich mag Science Fiction. Vor allem so Leute, die sich frei durchs halbe Universum bewegen, von Captain Kirk bis Perry Rhodan. Mit Raumschiffen und durch Wurmlöcher oder Stargates. Nun geht das nicht so einfach. Die Physik hat – zumindest…

Gedankenvoll verstreute Lebensmomente

Autofiktion bezeichnet in der Literaturwissenschaft eine Erzähltechnik, die das Genre Autobiografie mit fiktionalen Elementen verbindet.  Der Antagonismus zwischen dem Autobiografischen und dem Erfundenen ist so alt wie das Erzählen. Derzeit ist die Autofiktion eine sehr beliebte Gattung, weil sie Prosa…

Weltempfänger

Am 29. Oktober 1923 ging der erste zivile Radiosender in Deutschland on air. Schnell war das Radio ein gefeiertes Medium, in dem Neues ausprobiert wurde. In seiner hundertjährigen Geschichte hat sich der Rundfunk immer wieder neu erfunden. Das Radio begann…

Scheitern nach Plan

Noch länger hätte Oliver in dem Provinznest nicht bleiben können. Alles, was geschehen war, wollte er hinter sich lassen. Erst wenn man ihn vergessen hatte, wollte er noch ein einziges und letztes Mal zurückkommen, um Rache für das Unrecht zu…

DE-FINITO

Netzer kam aus der Tiefe des Raumes. Karl Heinz Bohrer am 27. Oktober 1973 in der FAZ   Nein, Aufklärungsarbeit wolle er durchaus nicht leisten, versichert er mir dann beim eigentlichen Einstieg in seine Geschichte, seine Position hinsichtlich dieses Projektes…

Die Kunst – ihr Wesen und ihre Gesetze. Neue Folge

Eben find ich’s! Bravo, Bravo! Hurrah von hier bis nach Berlin. Ihr Liliencron. Das wunderbare Motto, das ich mir erlaubt habe, diesem zweiten Theile meines Büchleins aufs Titelblatt zu setzen, mag zur Genüge darthun, wie muffig jener herausgeschüttelte Staub in der…

Über das Pathos der Wahrheit

Ist der Ruhm wirklich nur der köstlichste Bissen unserer Eigenliebe? – fragt Nietzsche in diesem Essay. Ein Thema, daß nichts an Aktualität eingebüst hat. KUNO zeigt den Zwiespalt auf, in dem sich die Kunst befindet. Sie kommt nicht an der…

Pokaltrainer

  An diesem sonnigen Samstagmorgen hatte er lange geschlafen, war erst gegen acht, halb neun vielleicht aufgewacht. Bei gutem Gewissen noch einige Seiten eines in sicherem Stil verfassten Buches gelesen. Chorleiter baut einen neuen Chor auf und scheitert schließlich an…

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  Meine Socken Sohlen üben gehen mit Füßen hinfallen und aufstehen aufstehen und hinfallen weißt du noch wie es war als dein pinkes Rad deiner Kindheit die Stützen verlor hingefallen Knie verletzt weiter gefahren Tränen kommen immer erst Jahre später…

Oskar Kokoschka

  Wir schreiten sofort durch den großen in den kleinen Zeichensaal, einen Zwinger von Bärinnen, tappischtänzelnde Weibskörper aus einem altgermanischen Festzuge; Met fließt unter ihren Fellhäuten. Mein Begleiter flüchtet in den großen Saal zurück, er ist ein Troubadour; die Herzogin…

Oh Haar mein Hut!

  Wenn das Haar ein Hut ist, der herrlichste Hut, den es seit Menschengedenken gibt, weil er jeden Tag ein anderer, veränderbarer ist, dann ist jeder Hut, der nicht aus abbrechbarem, nicht aus ausfallbarem Stoff besteht, ein architektonisches Element, sprich,…

Versuch über den Begriff des Republikanismus

veranlaßt durch die Kantische Schrift zum ewigen Frieden   Der Geist den die Kantische Schrift zum ewigen Frieden atmet, muß jedem Freunde der Gerechtigkeit wohltun, und noch die späteste Nachwelt wird auch in diesem Denkmale die erhabene Gesinnung des ehrwürdigen…

Lyrik im öffentlichen Raum

  Das wilde Beschriften des urbanen Raums reicht zurück bis in die Antike: „ADMIROR TE PARIES NON CECIDISSE – QVI TOT SCRIPTORVM TAEDIA SVSTINEAS“ („Ich staune, Wand, dass du nicht zerfallen bist, / da du soviel Unflat von Schreibern ertragen…

Allerneuester Erziehungsplan

Zu welchen abenteuerlichen Unternehmungen, sei es nun das Bedürfnis, sich auf eine oder die andere Weise zu ernähren, oder auch die bloße Sucht, neu zu sein, die Menschen verführen, und wie lustig demzufolge oft die Insinuationen sind, die an die…

Philosophische Aussagen Georg Büchners

Grundsätzlich schreibt Büchner autobiographisch. Das Netz, das die Ideen aus dem Leben fischte, fand er in sich vor. […] Dichtend fand er Zugang zu den überfluteten Gebieten seines Selbst, die für andere Erkenntnisarten unzugänglich waren. Hermann Kurzke   Georg Büchner…

Die Grenzen des „Schöner Wohnen“

  Schön zu wohnen ist heute relativ einfach geworden. Das vielseitige Angebot ist fürwahr kein Garant für die richtige Wahl beim Erwerben der passenden Einrichtungsgüter, aber die Produkte sind hinsichtlich Qualität gestiegen und steigen weiter, auch dann, wenn sie in…

Eine Denkschrift

  Es war im Jahr 1815, nach Christi Geburt, daß mir der Name Börne zuerst ans Ohr klang. Ich befand mich mit meinem seligen Vater auf der Frankfurter Messe, wohin er mich mitgenommen, damit ich mich in der Welt einmal…

Hamburger Oktober 1923

  In großen Städten vergeht ein Aufstand spurlos. Eine Revolution muß groß und sieghaft sein, wenn die Spuren der Zerstörungen, ihre heroischen Wunden, die weißen Trichter der Kugeln an den Mauern, die mit den Pockennarben des Maschinengewehrfeuers bedeckt sind, sich…

Usch

  Das Jägerzimmer – Sammlung und Refugium – ist das frühere Kinderzimmer der Dreizimmerwohnung im Döllnitzer Weg 2, Halle-Süd, wo Usch dreiundsechzig Jahre lang lebte. Als Susanne auszog, die Tochter, um sich von der Enge und den elterlichen Zwängen zu…

Gezeitengespräch 10

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitfern: Fragen wollen wir beantworten. Ja. Nicht jetzt. Da drängen andere „Sachen“. Heute ein Gespräch gehabt mit einem geschätzten Menschen.…

Social Beat & Beat

  2021 gab es von Januar bis Mai eine Ausstellung über den legendären Social Beat im Literaturhaus Stuttgart. „Social Beat & Beat: Ein literarischer Urknall“ hieß das Ganze. Bei Killroy Media gibt es jetzt die DVD zur Ausstellung. – Ein…

KURZE HAARE

Beantwortung einer rundfrage Drehen wir die frage um. Fragen wir die frauen, was sie zu den kurzen haaren der männer sagen. Sie werden wahrscheinlich antworten, daß das eine sache ist, die die männer allein angeht. In Zürich hat der leiter…

Frisur, Ideologie, Gendering

  Jede Gruppe, jede Vereinigung, jede Partei, jedes System hat Köpfe, warme und kalte Köpfe, weiche und harte Köpfe, nachdenkliche und gedankenlose, lose und windige, bartlose haarlose Köpfe. Beginnt die Frisur am Kinn? Warum trägt ein Haarloser Bart, ein Bartloser…

Kurze Begegnungen

1 Sie trafen sich am Beethoven vor der Alten Post. Die junge Frau im blauen Rock war ganz aufgeregt vor ihrem ersten Rendezvous. Fast pünktlich erschien ein Herr, der zur Beschreibung passte – ein Kopf größer als sie selbst, so…

Glosse

  Da in früheren Jahren der mir feindselige Kretinismus zu dem Argumente gegriffen hat, daß es meine Beschäftigung sei, die Druckfehler der Tagespresse zu korrigieren, so will ich diese Meinung einmal ins Recht setzen und mitteilen, daß ich bei der…

mut

    wer will. es lässt sich am leben witschen. ehrlich: rutschgefahr. wahlweise flatter programme, neben wirkungen unbekannt.     *** Vor zehn Jahren erschien: die gezirpte Zeit, von Sophie Reyer Neue Lyrik aus Österreich Band 2., 64 Seiten, 12 x…

Digitales Sammeln

  „Wenn im Herbst die Sonne durch das Oktoberlaub scheint, wenn sich zwischen den gräulichen Wolken ein strahlend blauer Himmel zeigt, dann zieht es immer mehr Wanderer in den Wald. Dann werden die Schuhe geschnürt und durch die Landschaft geht…

Die Kultivierung des „romantischen“ Araberbildes

  Das Thema des Essays ist ‚Die Kultivierung des „romantischen“ Araberbildes am Beispiel von ‚Lawrence von Arabien‘ stellt die historische Persönlichkeit T. E. Lawrence, der später unter dem Namen ‚Lawrence von Arabien‘ zur Legende wurde und die Araber in den…

Dekonstruktionen der Heimat

„Es lebe Bonn! Es lebe Deutschland! Es lebe die deutsch-französische Freundschaft!“ Charles de Gaulle   Mein Vater, Theo Schnarhelt, geboren 1908 auf einem Bauernhof in einem damals kleinen Dorf im Südoldenburgischen, (in der Nähe von Bremen in Norddeutschland) war der…

Das Gefühl für das Gute und Böse hängt großenteils von der Meinung ab, die wir davon hegen

  Die Menschen (sagt eine alte griechische Sentenz) werden von den Meinungen gequält, die sie von den Dingen hegen, und nicht von den Dingen selbst. Man hätte schon einen großen Schritt zur Erleichterung des menschlichen Elendes gewonnen, wenn man diesem…

Rückverwandlungen dienstbarer Geister

Bedarf es des Magischen, um uns Texte nicht nur näher zu bringen, sondern auch ganz nahe für ein tiefgehendes Verstehen? Bedarf es der Berührung mit einem magischen Ding, etwa dem Zauberstab eines Fachmannes oder etlicher Tropfen vom Zauberwasser aus der…

Die analoge mail • Revisited

Ein Briefwechsel ist ein Gespräch unter Abwesenden. Die wahrscheinlich erste rhetorische Brieftheorie über diesen Austausch stammt vermutlich von Artemon aus dem 1. Jahrhundert. Im Vorwort seiner Aristoteles-Briefausgabe nennt er den Brief die eine Hälfte eines Dialoges, den Briefwechsel „ein Gespräch…

Ein Gespenst

  Es war ein Abend meines siebenten oder achten Jahres vor unserer babelsberger Sommerwohnung. Eins unserer Mädchen steht noch eine Weile am Gittertor, das auf, ich weiß nicht welche, Allee herausführt. Der große Garten, in dessen verwilderten Randgebieten ich mich…

DIE ALTE

  ich liege reglos auf einer wiese und feiner blütenstaub bedeckt mich, den insekten zerstäuben, wodurch er ständig aufwirbelt und niederfällt. und ich spüre, wie in mir der wein verbrennt, den ich zuvor getrunken habe. plötzlich sehe ich rauch aus…

Das leise Verstören

  Was und wie es aus der Kopfhaut herauswächst, bleibt unkontrollierbar und ungestalt. Es ist das Haar, das als Wort ausgesprochen und in all seinen möglichen und aussprechbaren Buchstabenvariationen Aggressionen provoziert: raah!, raha!, arah!, aarh!, rhaa! Es wächst lautlos, unsichtbar,…

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  Schatten Baum Blätter die als würden sie beten sich hineinfalten in sich selbst es lügt also auch dieser Wald       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In…

Die Jungfrau

  Maria Mondmilch war das einzige Kind des Kunsthistorikers Doktor Maximilian Mondmilch und der schönen Frau Marga Mondmilch. Frau Mondmilch soll früher Wassermädchen in dem Kaffeehaus gewesen sein, in welchem Herr Mondmilch – der damals Student war – Tee trank…

Worte

  „In solchen Situationen geht es nicht um Stringenz oder gar eine irgendwie entschlüsselbare Kontinuität, sondern um den Genuss am Umgang mit dem Anderen, mit den Anderen“, dachte Herr Nipp. Er reflektierte vor dem flackernden Kamin sitzend über die Kunst…

Selbander – Gestaltung

  Wie sich ihre Frisuren verändern, wenn sie beginnen, an ihren Erfolg zu glauben! Gegen die Gewohnheit der Natur formen sie ihr Haar zu Hüten früh am Morgen! Sie befürchten, dass man ihnen ohne Hüte keinen Zutritt gewährt zu ihren…

Loos

  Von der Seite betrachtet, erinnert sein Kopf an den Totenschädel eines Gorillas; wendet mir Loos langsam das Gesicht zu, prüfen mich scharf des Gorillas runde, hellbraune Augen. Die sind gefährlich, greifen aus einem andern Denken, aus einem fremden, geschwinden…

Larissa Reissner

  Die ist in ihrem eignen Saft gekocht. Wir haben so viel alte Weiber unter den Journalisten – eine so kluge, eine so kräftige war noch nicht dabei. Ihre ausgewählten Schriften liegen nun unter dem Titel ›Oktober‹ im Neuen Deutschen…

Licht, mehr Licht!

Alles, was leuchtet, sieht. Gaston Bachelard Der Katalog ReferenzRäume bietet Anlass das bisherige Lebenswerk von Mischa Kuball assoziativ passe laufen zu lassen, ohne einen Nachrufmodus zu bedienen. Wie betrachten einen Querschnitt durch sein Werk der letzten vier Jahrzehnte. Diese „Referenzräume“…

Das Bronzepferd

  Im siebten Jahr verliebte sich Janus. Er sah das Mädchen mit den tiefblauen Augen und den langen schwarzen Haaren in der Mittagsstunde, als er auf dem Weg von der Schule nach Hause in die Große Steinstraße einbog. Schon lange…

Duldungsstarre

  Wenn man aus der Hochburg der Provinz herausfährt, verwandelt sich die Gegend ins Vorstädtische. Die Suburbia passt sich den Bedürfnissen der Mittelschicht nach Eigenheim, Shoppingmall und einem naturnahen Umfeld an. Man bewegt sich im blechgepanzerten Auto zur Arbeit, zum…

Größenwahn und Kontrollsucht – Das Ende der Demokratie?

Jahrtausende hindurch ist der Mensch das geblieben, was er für Aristoteles war: ein lebendes Tier, das auch einer politischen Existenz fähig ist. Der moderne Mensch ist ein Tier, in dessen Politik sein Leben als Lebewesen auf dem Spiel steht.  …

Das Käthchen von Heilbronn

  Fürwahr, es ist Mark darin und Geist und Schönheit. Von der dunkeln Tiefe des Gemüts bis hinauf zu jener heitern Höhe, auf welcher die Schöpfungskraft frei und besonnen waltet, führt uns ein lockender Weg, mit abwechselndem Reize, bald zwischen…

Über die Allegorie

  Als Philomele ihrer Zunge beraubt war, webte sie die Geschichte ihrer Leiden in ein Gewand und schickte es ihrer Schwester, welche, es auseinanderhüllend, mit furchtbarem Stillschweigen die gräßliche Erzählung las. Die stummen Charaktere sprachen lauter als Töne, die das…

Über Analyse und Interpretation

  Analysieren ist Beschreiben ist zugleich immer auch Deuten. Ohne Deutung keine Analyse, ohne Analyse keine angemessene Deutung. Interpretieren (Deuten) bedient sich der Analyse als einer Magd; dabei ist die Methode der Analyse nie starr, sondern stets auf (oft mehrere)…

RedenRedenReden, ein Ohr-Ratorium

  Mit Live-Hörspiel verbindet man immer noch Orson Welles CBS-Live-Thriller Krieg der Welten. Die Ansprüche an das heutige Hörspiel schienen lange Zeit unabhängig vom Genre in Anspruch und Produktionsweise kaum mehr für den Live-Auftritt geeignet. Dennoch gibt es einen Gegentrend…

Stirbt die Kunst?

  Diese seltsame Frage ist jetzt zum zweiten Male aufgetaucht. Schon vor Jahresfrist hatte Moszkowski, der Chefredakteur der ›Lustigen Blätter‹, die Frage gestellt, in etwas unklarer Weise behandelt und schließlich bejaht. Jetzt kommt ein Berufener, um sie abermals zu stellen…

9/ 11 – vor 50 Jahren

Die Völker schreiben die Geschichte, und die Geschichte gehört uns. Soziale Entwicklungen sind nicht zu bremsen, weder durch Verbrechen, noch durch Gewalt. Zwar bahnt sich der Verrat gerade seinen Weg. Aber ich habe Vertrauen in Chile und sein Schicksal. Früher…

OSKAR KOKOSCHKA

  Ich traf ihn im jahre 1908. Er hatte das plakat für die wiener „kunstschau“ gezeichnet. Es wurde mir gesagt, daß er ein angestellter der „Wiener Werkstätte“ sei und mit fächermalen, zeichnen von ansichtskarten und ähnlichem, nach deutscher art –…

Gezeitengespräch 9

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitnah: Ja, die Mütter, unsere Mütter und deren Mütter, immer hängt es doch wieder an ihnen. Die Bilder im Kopf…

Lendenwirbel

  Gegen Abend fuhr ich nach Chicago – eine eigentümliche, modern und antiquiert zugleich erscheinende Skyscraper-Architektur, gute (teure) Geschäfte, Blumenkästen in den Straßen, weniger pollution als in Manhattan. Strand am Lake Michigan, direkt vor der skyline. Ich ging schwimmen und…

Etwas vom Humor

  Beim alten Schopenhauer steht, wie alles, so auch das: »Denn näher betrachtet, beruht der Humor auf einer subjektiven, aber ernsten und erhabenen Stimmung, welche unwillkürlich in Konflikt gerät mit einer ihr sehr heterogenen, gemeinen Außenwelt, der sie weder ausweichen,…

Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände

  Alle Eigenschaften der Dinge, wodurch sie ästhetisch werden können, lassen sich unter viererley Klassen bringen, die sowohl nach ihrer objectiven Verschiedenheit, als nach ihrer verschiednen subjectiven Beziehung auf unser leidendes oder thätiges Vermögen ein nicht bloß der Stärke sondern…

Maler male

  Wo hast Du dich da hingestellt? Da passt du gar nicht hin. Du machst stets das denkbar Unbequemste  aus deiner Lage. Gibst zu früh nach, zu spät auf, zu viel dazu, zu offen klein bei. Tausendmal gebrauchte unhygienisch gewordene…

Freiheit

  Auf dem Weg war ihm schon häufiger aufgefallen, dass einige Passagen eine überproportionale Ermüdung zur Folge hatten. Er fühlte sich einfach ausgelaugt, wenn bestimmte Abschnitte dieser Strecke befahren wurden. Da konnten noch so viele Kurven wie aus dem Nichts…

Du aber

  An manchen Tagen ist die Welt bereits da zuende, wo sich der Blick aus dem Fenster an der erstbesten Häuserfassade stößt. Ist es Tag, vermag einer sich noch vorzustellen, was da hinter den Gar- dinen vorgeht: Die Bedrückung wird…

Von der Pedanterei

  In meiner Jugend hab‘ ich mich oft darüber ereifert, wann ich in der italienischen Komödie beständig einen Pedanten als lustige Person auftreten sah und dabei bemerkte, daß die Benennung Magister bei uns eben keine ehrenvolle Bedeutung enthielt. Denn, da…

Warten

  Helle Rosen liebt sie und die schwarze Vase. Abtönung! ich werde sie entblättern. der Duft! toll! ein Mädchen auf meinem Zimmer! das hätt ich nicht von ihr gedacht. sie ist so fein. aber wer nicht nimmt. ich bin immer…

Ohrenzwinkern

Der Rundfunk hat die Literatur zu einem stummen Gebiet gemacht. Alfred Döblin, 1921 A.J. Weigoni erlag der Faszination des Mediums Radio in seinen Kindertagen, als der Rundfunk zu einem Zauberinstrument des Wortes wurde, zur akustischen Probebühne der Poesie, zum Atem…

Redaktionelle Anzeigen und Erklärungen

  Unser Bestreben, die edelsten und bedeutendsten Künstler und Kunstfreunde für eine allgemeinere Verbindung zu gewinnen, als sie bereits in Dresden, dem Lieblingssitze der deutschen Kunst, existierte, hat den glücklichsten Fortgang. Demnach beginnen wir mit dem Jahre 1808, nach dem…

Nächtliche Schaufenster

  Wenn ich spät nach Mitternacht in der Potsdamerstraße nach Hause ging, eilte ich mich meistens nicht sehr, denn die Nachtluft kam mir erfrischend entgegen. Sie war wie ein Wanderer, der aus Grenzwäldern über Flüsse und Seen herkam und über…

Der Goethe des westöstlichen Divans

  Als das Schicksal es wollte, mußte Mahomet, der Prophet, fliehen, und von dem Jahre seiner Hegire aus Mekka nach Medina begannen die Völker, die ihm anhingen, ihre Zeit zu zählen. Der Erinnerung an diese Flucht entnimmt Goethe, als er…

Erinnerungsspeicher

Die Redaktion hat sich schon immer für Pop interessiert, gerade dort wo er sich zu Trash vulgarisiert. Einer Medientheorie zufolge verschwinden Medien nicht, die Palette des Ausdrucks verbreitet sich lediglich. Kassettenrekorder sind eine spezielle Form von Audiorekordern, bei denen die…

Das Werden im Vergehen

  Das untergehende Vaterland, Natur und Menschen, insofern sie in einer besondern Wechselwirkung stehen, eine besondere ideal gewordene Welt, und Verbindung der Dinge ausmachen, und sich insofern auflösen, damit aus ihr und aus dem überbleibenden Geschlechte und den überbleibenden Kräften…

Das Verhältnis der schopenhauerschen Philosophie zu einer deutschen Kultur

  Im lieben niederträchtigen Deutschland liegt jetzt die Bildung so verkommen auf den Straßen, regiert die Scheelsucht auf alles Große so schamlos und tönt der allgemeine Tumult der zum »Glücke« Rennenden so ohrbetäubend, daß man einen starken Glauben, fast im…

Borges’ Erzählung Der Süden (El Sur) gelesen.

  Der Bibliothekar Juan Dahlmann hat deutsche und argentinische Wurzeln. Besonders stolz ist er auf seine argentinischen Vorfahren mütterlicherseits. Zu seinen Erbstücken zählt eine Farm, die Dahlmann noch nie aufgesucht hat. Im Februar 1939 ersteht Dahlmann ein Exemplar von Tausendundeine…

ORNAMENT UND ERZIEHUNG

Antwort auf eine rundfrage Sehr geehrter herr professor! Ihre anfrage erreicht mich gerade zur rechten zeit. Es gibt wahrheiten, die man verschweigen muß. Samen auf steinigen boden zu werfen, ist verschwendung. Seit siebenundzwanzig jahren zögere ich daher, das auszusprechen, was…

Rudolf Schmied

  In seinem Knabenbuch »Carlos und Nicolà« namentlich der Nicolà sieht ihm auf ein Haar ähnlich. Also ganz genaue der Nicolà ist der Rudolf Schmied selbst. Ich höre ihn im alten Café des Westens und in München im Stephanie ebenso…

Kontakte

  Ganz oben am letzten Ende der Alm hatte er einen genehmen Patz gefunden, hier konnte er unbeachtet die Wanderer beobachten, der mal mehr, mal weniger entspannten Sprache der Mitmenschen lauschen, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Eher der…

Die Vertreibung aus dem Paradiese

  Das ist eine Welt, die zwischen Morgen- und Abendblatt lebt und sich von dem Dämmerschein des neuen Jahrhunderts nicht bange machen lässt. Irgendwo ist ihr plötzlich der Begriff für Dimensionen abhanden gekommen und sie beeilt sich darum, jeder Winzigkeit…

Er denkt an sein Land

  Es galt, die dunkelsten Stellen auf dem Papier abzulichten. Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren. Es galt, die Grenzen des Sagbaren – oder Unsagbaren – immer weiter hinauszutreiben, in Regionen, in denen ihre Sprache…

Nachbarn

  Florin hat sich völlig zurückgezogen. Er will in Ruhe seine Dissertation über die so genannte Rote Armee Fraktion zu Ende bringen. Die Gliederung über den Deutschen Herbst ist stimmig. Die Sekundärliteratur komplett. Seine Notizen hat er bereits vollständig geordnet.…

Dies ist kein Wiegenlied

Über das Schaukeln: Collagierter Wach-Traum und Fremd-Sein in eigenen Bildern bei Herta Müller Immer dieselbe Frage sickert tröpfchenweise in mein Denken, wenn ich versuche, Herta Müller zu lesen: Wo fange ich diesmal an und wo ende ich? ‒ Diese Frage…

Des Künstlers Seele

An Vernissagen von Galerien würde man ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit begegnen, denn gewissermassen ist es seine Pflicht, an solcherlei Anlässen zu erscheinen. Diese Feierlichkeiten – eher von politischer und banaler denn ästhetisch-philosophischer Natur. Er ist also zugegen, hat seine Atelierumgebung…

DER PASSANT

  ich habe eine bekannte besucht und fahre mit der straßenbahn zur arbeit durch jene straße, die ich sonst zeitgleich als fußgänger durchquere. ich stehe in der bahn am fenster und halte ausschau, ob ich mich draußen entlanggehen sehe. doch…

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  die Gefühle verschnörkelt eine Zungenprothese angelegt Protest mit Zähnen: gegen Rechts sich das Weiß ausbeißen bis es zu Schnee wird: wenn     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich…

Erinnerung an den Tag des Mauerbaus

Hier ist er also, der große Zeitroman für Marcel-Reich-Ranicki. Wend Kässens, NDR 3, Literatur vor Mitternacht Am 13. August unterbrachen die Bauarbeiter ihre Arbeit am Wohnungsbau und arbeiteten andere Statikpläne aus. Der SED-Parteichef wollte stets das Beste: Für die Partei,…

Unter Strom im Frühlicht

Das Grundrissbild aus der Orientierung gerissen, mit dem Wind in die Wüste. Ohne Halt das Gedächtnis, wenn die Transportkraft des Windes nachlässt. Ablagerung sein. Über Abgelagertem.   Die Berliner Oberbaumbrücke in Kreuzberg war in den 70er und 80er Jahren mein…

Gezeitengespräch 8

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitnah (hier und dort): Es ist Frühling, ich weiß wohl, da kochen die Säfte wieder langsam auf. Da wäre das…

untiefen

  blieb wohl oder übel im gedankentreibsand stecken zwischen staubsauger und biotonne erschlägt eine zeitungszeile das nichts zum nächsten überlebenstraining warten hinter verregnetem fensterglas grau-schwarz lindengerippe auf den anflug flüchtender krähen des nachbars satellitenschüssel saugt bewegte bilder aus südost und…

Die Wirklichkeit und die Ewigkeit

Ein dialogischer Essay Aquin Kohl war ein vertrockneter Hegelianer, der sich immer mal wieder in die Einsiedelei ver­kroch und dann alles und jeden negierte. Aber auch als Hegelianer braucht man mitunter einige so­ziale Kontakte, um überleben zu können, zumal wenn…

Auf und unter Dach (Teil 2)

  Als durchaus frugal konnte dieses unerwartete Frühstück beschrieben werden. Herrlich diese frischen Brötchen und der einzeln aufgebrühte Kaffee. Die modernen Maschinen haben es für sich, das italienische Espressoungetüm nachzuahmen. Zwar sind sie nicht mehr so riesig und machen längst…

Über das Marionettentheater

  Als ich den Winter 1801 in M… zubrachte, traf ich daselbst eines Abends, in einem öffentlichen Garten, den Herrn C. an, der seit kurzem, in dieser Stadt, als erster Tänzer der Oper, angestellt war, und bei dem Publiko außerordentliches…

Eine Rückblende in die Mediengeschichte

Ich war dort oben beleidigt worden … Und so etwas muß ich erleben! … Nach der Lesung der Todesfuge. Paul Celan Wie wichtig Tonaufzeichnungen sind, belegt ein Mitschnitt aus einer Lesung vor der Gruppe 47. Paul Celans in eindringlichem Pathos…

DER STAAT UND DIE KUNST

Aus dem vorwort zu den „richtlinien für ein kunstamt“ Der staat hat sich zu entscheiden, ob er den künstlern helfen will oder der kunst. In der monarchie war der herrscher der schutzherr der kunst. In der republik ist es das…