Monat: September 2010

Lautlos

  Einmal trafen sich im gedämpften Raum die Stille und das Schweigen. Schön waren die beiden anzuschauen, wie sie klein und bescheiden nebeneinander kauerten, aus ihren großen Äuglein schwiegen und unmerklich doch friedlich ein- und ausatmeten. Die Stille war still…

KURZWAREN

  Zitate in meiner Arbeit sind wie Räuber am Weg, die bewaffnet hervorbrechen und dem Müßiggänger die Überzeugung abnehmen. Die Tötung des Verbrechers kann sittlich sein – niemals ihre Legitimierung. Der Ernährer aller Menschen ist Gott und der Staat ihr…

Automatisches Schreiben

  Reiner psychologischer Automatismus, durch den man mündlich oder schriftlich oder auf irgendeine andere Weise den wirklichen Ablauf des Denkens auszudrücken sucht. Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder moralischen Bedenken. André Breton     Ausgehend…

Auf dem Weg zu den Eulenkäfigen

  Ich habe manchmal darüber nachgedacht, wenn ich Frau Claudia nach Jahren in dieser oder jener Weltstadt wiedersah, womit sich ihre Augen vergleichen ließen. Es machte mich oft in ihrer Nähe unruhig, daß ich keinen Maßstab für ihre Augen fand,…

Portbou 1940

    Zum 70. Todestag von Walter Benjamin erinnert KUNO an diesen Denker und läßt die Originalität und Einzigartigkeit seiner Gedanken aufscheinen. Holger Benkel mit einer Einführung.

Lichtspielhaus

  Die Kassiererin liest einen Arztroman. Ihre Seele mag Ursprung äusserer Regungen sein, doch gleichzeitig wirkt eine Bewegung nach innen, in die Tiefe ihrer Empfindung. Sie weiss nicht, ob ihr Körper das Gefängnis ihrer Seele ist oder die Seele eine…

Die Kiste IX

  So konnte es wohl gehen. Er hatte die Texte im Netz gefunden, beim Stöbern, wie immer ohne Ziel. Ein Wort hatte das nächste nach sich gezogen. Ganz nach dem Motto, wie viele Handdrücke bist du von einer bestimmten Person…

Als ich mir die Aufgabe stellte

  Als ich mir die Aufgabe stellte, das, was die Menschen verstecken, ans Licht zu bringen, […] hielt ich die Aufgabe für schwerer, als sie wirklich ist. Sigmund Freud       Wer von der Moderne spreche, so der deutsche…

KRIEGERDENKMAL

  KARL KRAUS. Nichts trostloser als seine Adepten, nichts gottverlassener als seine Gegner. Kein Name, der geziemender durch Schweigen geehrt würde. In einer uralten Rüstung, ingrimmig grinsend, ein chinesisches Idol, in beiden Händen die gezückten Schwerter schwingend, tanzt er den…

Tragische Ironie

  Nichts lässt mich jetzt, im vierten Akt meines Lebens, mehr erstaunen als der Prozess, in dem (meine) Ideen Wirklichkeit werden: die retardierenden Momente …       Weiterführend → Das erste Fazit von Ulrich Bergmann zur Twitteratur sieht eher…

Belletristische Werke

  Belletristische Werke existieren nur in der Reklame, die für sie gemacht wird, gelesen werden sie vermutlich nur von konzilianten Rezensenten und honorierten Wohltätern. Nach Jahren, wenn alles gut geht, treten die Dechiffriersyndikate der Germanisten auf den Plan und reden…

leute

  halten auch in dürenheute und in letzten tagenmorsche türen leere fenster sehr geschlossennoch wird · nicht einmal ·mit pfeffer · geschossen jedenfalls nicht hierdraußen im revier bei schneefall treiben wirzwischen eggen forken walzenliegt ein hase mit der nase fett…

Familienbande

  Theobald Ulbricht verlässt die Haftanstalt. Sieht sich nicht um. Achtet nicht auf den Gruss. Die gusseiserne Tür schlägt hinter ihm zu. Er ist resozialisiert. Fühlt sich frei. Geht ein paar federnde Schritte. Bleibt auf dem Bürgersteig stehen. Setzt den…

Kein Unsinn – denken möglich

Oder warum es nie gelang nicht unlogisch zu denken I. „Was willst du?“, rief sie mir im Vorbeigehen zu. Ich wusste es nicht, wusste nur, dass in Folge jegliche Ich-Perspektive aus der, besser meiner Literatur gestrichen werden müsste, gestrichen werden…

SPANNEN

    *** Weiterführend → Mehr über die Hungertuchpreisträgerin Katja Butt.

„AUGIAS“ AUTOMATISCHES RESTAURANT

  Dies ist der stärkste Einwand gegen die Lebeweise des Hagestolz: er nimmt einsam sein Essen. Einsam zu speisen macht leicht hart und roh. Wer es gewohnt ist, muß spartanisch leben, um nicht zu verkommen. Einsiedler haben, sei’s nur darum,…

things change

  t (stolpern zum ich) den sand hab ich in kleinen gläsern verwahrt. bald werde ich sie zu meiner sammlung stellen. sand hat alle farben . weiß wie schnee. rot wie blut. schwarz wie ebenholz. eine schneewittchensammlung. ich komme nach…

Sofa

  Auf dem Sofa ist es wirklich bequem, ja, das kann er nicht verleugnen – Aber den gesamten Tag auf dem Sofa zu verbringen, kann er sich normalerweise nicht vorstellen – Abgesehen davon, dass es wirklich langweilig ist, verlässt ihn…

Lyrikgetwitter

  In unmittelbarer Folge lese ich innerhalb weniger Tage im September in einem weiteren Anfall berauschten Wahnsinns die frisch ins Haus gefallenen Sammelbände Versnetze_drei (die bislang abge­run­detste, frischeste, voll­mundigste unter den Versnetze-Antho­logien, über die Sie hier mehr er­fahren: Versnetze über…

Tatsachengeprägte Exkursion

  Es ist nicht weit hin mit der Affektkontrolle der Bestie Mensch unter der brüchigen Sedimentschicht der Zivilisation… seit dem Einschlag der Flugzeuge in das World Trade Center trennt die Religion die globalisierte Gesellschaft und bildet einen blindwütigen Fanatismus aus.…

Rückblick auf Chaplin

  Der »Zirkus« ist das erste Alterswerk der Filmkunst. Charlie ist älter ge­worden seit seinem letzten Film. Aber er spielt sich auch so. Und das Ergrei­fendste an diesem neuen Film ist, zu fühlen, daß Chaplin den Kreis seiner Wirkungsmöglichkeiten nun…

Frost

  Es ist kein Lager so hart, kein Frost so scharf, keine Not so bitter wie die Schande.       *** Für Theodor W. Adorno war Eichendorff „kein Dichter der Heimat, sondern des Heimwehs im Sinne des Novalis, dem…

Unter Kanonverdacht

Um mit Gespenstern umzugehen, muss man sie ködern mit Fleisch der Gegenwart. Ruth Klüger Literatur ist in erster Linie frei, bestenfalls ist sie an ästhetische Regelsysteme gebunden, nicht aber an eine ausser­li­te­rarische Realität. Zudem ist es nicht üblich, Verantwortlichkeit für…

Leben in Möglichkeitsfloskeln XXVI

  Man muss die Schwächen umgarnen um das Wort zu umarmen.   Weiterführend → Lesen Sie auch den Nachruf über Peter Meilchens Lebenswerk und den Essay 50 Jahre Krumscheid / Meilchen über die Retrospektive im Kunstverein Linz und den Essay zum Buch…

Eine neue gnostische Liebesdichtung

  Es gibt Bücher, die dem Leser Gewalt antun. Und das sind nicht die sogenannten Tendenzromane, die im ganzen doch nur an denen ihre Wirkung bewähren, die ihnen zu willen sind. Dies neue Buch von Brust aber ließ mich nicht…

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  Zaghaftes Muster Firmament mit Sternen bespickt stickte früher ein Gott diese Löcher in sein Himmelszelt? Alles bloss Märchen! Schreit eine aufkommende Nacht     *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Die Angestellten

  Die Zeiten, da es üblich gewesen ist, Untersuchungen »Zur Soziologie …« – der und der Gruppe, dieser und jener Erscheinung – zu überschreiben, werden noch in vieler Erinnerung sein. Damals hätte diese Schrift »Zur Soziologie des Angestellten« geheißen. Vielmehr,…

Waldidylle

Mit den Kindern durch einen sogenannten Wildwald zu gehen, ist abgesehen vom Eintrittspreis ein immer wieder tolles Erlebnis. Man sieht auf einen Schlag all die Wesen des Waldes, die einem sonst nur im Laufe seines gesamten Wandererlebens vor Augen kommen.…

VERGRÖSSERUNGEN

  LESENDES KIND. Aus der Schülerbibliothek bekommt man ein Buch. In den unteren Klassen wird ausgeteilt. Nur hin und wieder wagt man einen Wunsch. Oft sieht man neidisch ersehnte Bücher in andere Hände gelangen. Endlich bekam man das seine. Für…

lagos  altstadt

  für António Lobo Antunes häuserwände mauern blättern ein weltreich ab löchriger mörtel öffnet fragen raum der judaskuss oder anweisungen an die krokodile noch einmal gebietet man uns verwoben im text einblick in die hölle in die leidenschaften der seele…

Angriff

    Tücher Winken Flattern Knattern. Winde klatschen. Dein Lachen weht. Greifen Fassen Balgen Zwingen Kuß Umfangen Sinken Nichts.       *** Am 1. September 1915 ist August Stramm bei Horodec östlich Kobryn, in einem sinnlosen Krieg gestorben. Seine Texte fallen auf durch…