Kategorie: Allgemein

Interpretationen 1 – Todesfuge

  Todesfuge ist ein Gedicht des deutschsprachigen Lyrikers Paul Celan, das mit lyrischen Mitteln die nationalsozialistische Judenvernichtung thematisiert. Es entstand zwischen 1944 und Anfang 1945 und erschien zunächst in rumänischer Übersetzung im Mai 1947. Die deutsche Originalfassung wurde 1948 in…

Zum rheinischen Ungarn Weigoni

  Es verbindet uns die gleiche Grundhaltung der literarischen Sprache gegenüber, nämlich die: Respekt zu haben vor dem hohen Kultur-, ja Menschheitsgut SPRACHE; bei aller Absicht und allen Bemühungen, über ihre Grenzen hinauszukommen, dorthin, woher wir vielleicht kommen: ins freie…

Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848

  Es gibt neunmalweise Leute in Deutschland, die mit dem letzten Goethe’schen Papierschnitzel unsere Literatur für geschlossen erklären. Forscht man näher nach bei ihnen, so theilen sie Einem vertraulich mit, daß sie eine neue Blüte derselben überhaupt für unwahrscheinlich halten,…

Eine Flut von Erkenntnissen

  Es erweist sich als lyrischer Drahtseilakt, wenn der Autor, ein angesehener Diplomat und seit 2015 Botschafter der Rumänischen Republik in der Bundesrepublik Deutschland mit seinem seit Ende der 1970er Jahre in der „Volksrepublik“ Rumänien publizierten lyrischen Werk nunmehr gemeinsam…

Abendstimmung

    Stumm wurden längst die Polizeifanfaren, Die hier am Tage den Verkehr geregelt. In süßen Nebel liegen hingeflegelt Die Lichter, die am Tag geschäftlich waren.   An Häusern sind sehr kitschige Figuren. Wir treffen manche Herren von der Presse…

Recap

  Wenn wir uns den Gesammelten Gedichten der Else Lasker-Schüler hingegeben haben, möchten wir an die Kunst nicht denken und das erhöhte Wort der Dichterin noch einmal nachsprechen: „Ich werde heimwärts von deinem Atem getragen“. Die Liebe zu Menschen ist…

GILLAS LIED

  ich hab sie gesehn die weiße stadt am meer aber da ist kein rauch menschen sind da nicht mehr frierend geh ich auch   augen sterben am gleißen der welt und die stirn verdorrt kein tau mehr fällt  …

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  dein Bauchnabel dieses Auge so feucht so glänzend dein Mund und dich mit der Hand bedecken dabei nicht und nie mehr intakt sein nein und in uns die Kontinente zersprungen als Meere als Vögel auch in der Luft denn…

tal der wale

  der bringer der freude zieht alle geschosse an sich: die götter geben ihre güter keinem faulen   der große und der kleine bruder zieht meere und länder an sein herz sie steigen und fallen und heben und senken sich:…

Archivar der Leidenschaft

  Weltanschauungsornamentik ausschreiten Risse in der Oberflæche der Illusion entdecken die Schnappmechanik des Begehrens ueberwinden & die Leere zwischen den Dingen erkunden… an Verschwindungssehnsucht leiden auf Vergeblichkeitsparabeln verzichten sich Selbstheilung durch Askese verordnen & Virtuose der Distanznahme werden   die…

Sonette – XIII

  Zu spät erwachte unser müdes Schauen Da Abendwolken purpurn schon beschatten Das Sinken jener Stirn die ohn Ermatten Umworben unser zagendes Vertrauen   So muß sich Andacht mit dem Tode gatten Der trägt sie auf verschwiegner Fahrt den grauen…

GRUFT

  Die in der großen Gruft des Todes ruhen, Wie schlafen sie so stumm im hohlen Sarg. Des Todes Auge schaut auf stumme Truhen Aus schwarzem Marmorhaupte hohl und karg.   Sein dunkler Mantel starrt von Staub und Spinnen. Vor…

Zwei Erschlagene

  (Liebknecht und Rosa Luxemburg) Der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zu Berlin in Liebe und Verehrung   Märtyrer …? Nein. Aber Pöbelsbeute. Sie wagtens. Wie selten ist das heute. Sie packten zu, und sie setzten sich ein: sie wollten nicht nur Theoretiker sein.…

Über die Partien des Gedichts

  Der Ausdruck, das sinnliche gewöhnliche individuelle des Gedichts, bleibt sich immer gleich, und wenn jede der verschiedenen Partien in sich selbst verschieden ist, so ist das erste in jeder Partie gleich dem ersten der andern, das zweite jeder Partie…

Meine Gesichter

  Ich streife ein fremdes Gesicht ab, jeden Tag. Einen Tag für jeden Menschen, der mich geprägt hat. Jetzt, in der Zeit, in der alle Masken tragen, nehme ich die Masken ab. Vielleicht werde ich so wieder ganz. Das ist…

DAS BUCH

  ließ sich ein mann sein lesepult zimmern für ein einziges buch kettete er es an damit es nicht gestohlen wird eines tages aber  als er einmal nicht im raum war öffnete ein junger gast heimlich  die seiten um darin…

Lauter Diamant

  (An Gisel) Ich hab in deinem Antlitz Meinen Sternenhimmel ausgeträumt. Alle meine bunten Kosenamen Gab ich dir,   Und legte die Hand Unter deinen Schritt, Als ob ich dafür Ins Jenseits käme. Immer weint nun Vom Himmel deine Mutter,…

Ich gehe im Kreis

  Während ich im Kreis laufe der schön ist weil er rund ist möchte mich jemand messen und ich staune darüber dass ich am selben Ort ankomme derweil einer mich einteilt in die Krümeleinheiten in der Welt verteilt bin ich…

hemdenwechsel

  die asiatin kichert endlich grünkohlherbst dein gift schmeckt süffig in diesen tagen wäre das der tod ich ließe ihn mir gefallen damenwahl im hospiz doch feedback feedback hetzt der trainee sechswochenamt ist keine behörde diese akte schnell gefälscht  …

Sehnsucht

  Leise gleiten meine Träume Hin zu Dir, Durch der Sehnsucht weite Räume Fern von Dir. Ich möchte träumen nur von Dir In weiten Räumen fern von mir. Ich möchte küssen Deinen Mund Und scheiden müssen jede Stund‘.    …

Coda

  Seit du schweigst Habe ich nachtlang vorm Computer gesessen Und die digitalen Himmel gecheckt Das Handy war nicht Ein Bier trinken seither Es liegt und lauert Du machst es spannend Auf deinen Anruf Vielleicht bist du verschollen Vor Selbstlosigkeit…

Leben

von Satz zu Satz, in Zeiten der Mühe ein Wort, in die Leere pfuschst du ein Komma und streichst es aus gegen ein Geräusch, ein lautes Bild gegen das Vergessen: Du gingst, schon mit Haar im Gesicht, in den Keller,…

Eine Erinnerung an die eigentlich unverzichtbare fixpoetry

  Wirtschaftlich gesehen ist Lyrik selbstverständlich blanker Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der…

Die Humanisierung der Kommunikation

Eine Erinnerung von Ní Gudix an Hadayatullah Hübsch   Es war 1998, da klingelte bei mir das Telefon. Ich wollte gerade etwas vom Fernseher auf Cassette aufnehmen und war daher verärgert über die Störung, da mir das Klingeln die Aufnahme…

Sprachpalette

  Wer A. J. Weigoni durch seine bisherigen Bücher begleitet hat, wird stocken. Er sieht sich einer Sprachkraft gegenüber, die neu ist, knapp und akzentuiert. So verschiedenartig die Themen sind, die ihn fordern, so viele Nuancen weist die Sprachpalette auf,…

Wie entsteht ein Text?

  Gedichte sind am ehesten mit einem Mosaik oder einer Collage vergleichbar. Sie bestehen aus unterschiedlichen Einzelteilen, die zusammengesetzt etwas Neues, etwas Selbständiges ergeben. Jeder Text hat eine andere Entstehungsgeschichte, die von außen nicht wahrnehmbar ist. Seine Inhalte unterliegen einem…

Ein Leben ohne Poesie wäre möglich, jedoch sinnlos

  Der literarische Kanon ist ein Mysterium. So richtig kann niemand erklären, warum der eine Autor als Klassiker gilt, während der andere in den Untiefen der Bibliothekskeller verschwunden ist. Und wer dort erstmal liegt, fernab von Feuilletons und Konferenzen, hat…

Unaufhörlicher Bewusstseinsstrom

Das lange Gedicht ist, im gegenwärtigen Moment, schon seiner Form nach politisch; denn es zeigt eine Gegenbewegung gegen Einengung in abgegrenzte Gebiete und Kästchen. Walter Höllerer Beginnen wir in der Herleitung mit einer rhetorische Figur, bei der eine Formulierung aus…

Ein Liebling der Musen

  Mancher der das alte Berlin noch gekannt hat, wird sich entsinnen, wie still plötzlich die große Friedrichsstraße wurde, wenn man, nach dem Halleschen Thore zu, eine bestimmte Linie passirt hatte. Die Kochstraße zog eine Grenze zwischen Stadt und Vorstadt;…

Der Wert des Monologes

  Kürzlich ging die Frage durch diese Blätter: Sind Monologe im modernen Drama statthaft oder nicht? Die Monologe bekamen Recht. Vielleicht ist es nicht wertlos, einmal nicht so sehr den Monolog, als vielmehr die Gelegenheit zu betrachten, bei welcher er…

Das Pult

  Der Arzt fand, ich sei kurzsichtig. Und er verschrieb mir nicht nur eine Brille sondern auch ein Pult. Es war sehr sinnreich konstruiert. Man konnte den Sitz verstellen, derart daß er näher oder entfernter vor der Platte lag, die…

Spiegelei mit Speck

  1937 war kein gutes Jahr für mich. Es gab einfach zu viele Privatdetektive in San Francisco. Seit Wochen hatte ich keinen Auftrag mehr erhalten. Aber irgendwie passte es zu diesem entsetzlich kalten Winter. Sogar die Wasserleichen in der Frisco-Bay…

Biertischphilosophen

Das „Bayerische Reinheitsgebot von 1516“ war ein Teil dieser neuen Landesverordnung. Es schrieb Bierpreise vor – eine durchaus vergängliche Regelung. Sie stehen zusammen mitten im Ausstellungsraum, haben sich einen sehr dekorativen Stehbiertisch hinzugezogen, der sonst normalerweise als Ständer für Prospekte…

Der alte Fontane – Zum hundertsten Geburstag

Nach Neune ist alles aus. »Ich weiß nicht – ich kann seine Romane nicht mehr lesen!« sagt mir der oder jener, den ich nach ihm frage. Wir wollen uns nichts vormachen: sie sind ein wenig verblaßt und verstaubt – diese…

Sie waren hochgemute Nichtskönner

Du bist schön und jung und stark Nimm dir was du willst Solange du noch kannst Verschwende deine Jugend DAF Seit es Pop gibt, möchte jeder Teil einer Jugendbewegung sein – oder zumindest von seiner wilden Phase am Ende der…

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  Tage schweben auf leichten Sohlen endlich wieder einmal federvoll sein wollen aber wohin nur wo Bäume sich sammeln rauscht es noch nach Kopf Computer Sirren und never off the line Blase aus Stille weis mir bitte die Tage zu…

Lampenfieber

  Wo Lampenfieber erwartet wird, wird der Frage danach in den meisten Fällen stattgegeben. Natürlich sei man aufgeregt, verkünden Starlets auf flimmernden Bildschirmen, das gehöre einfach dazu. Interviews backstage, gefilmte Rituale, die Offenbarung von Aberglauben in Form von Mineralsteinen und…

Der Offizier der Zukunft

  Arno Voigt, als Miles einer der wenigen deutschen Offiziere, die im Kriege die Wahrheit zu sagen sich nicht gescheut haben, gibt (bei Engelhorn in Stuttgart) ›Gedanken eines Unmilitärischen‹ heraus: ›Der deutsche Offizier der Zukunft‹. »Vielleicht«, heißt es einmal bei…

Zischender Zustand

teil seiner ganzenlebensarbeit ist ja wohl auch, durch übersteigerte ordnung subversive unordnung und verwischung der grenzen zu schaffen Crauss Du spürst es nicht, kannst die bis in Fingerbeere, Haarspitze, Pore emp­fundene und am liebsten wortlose ›Be­geisterung‹ für die dialo­gisch polyphonen…

Gedanken, die um Ecken biegen

  wer einen ethnologischen blick auf die gegenwart wirft, kann sehen, daß die funktionale gesellschaft zugleich eine theatralische ist, in der menschen wie schauspieler agieren, dabei, wenigstens zeitweilig und vorgeblich, eins mit ihren rollen und masken werden, die sie je…

Die Patientenverfügung

  Noëmi hat erhebliche strukturelle Defizite in der Betreuung entdeckt. Bei ihrem Semesterpraktikum für den medizinischen Dienst in einem Pflegeheim lernt sie die ethische Brisanz kennen, dass statt der Integrationsförderung die Pflege nur nach dem Motto Satt und sauber geschieht.…

Amba Mata

  Die Sonne überschritt den südlichsten Punkt ihrer Himmelsbahn, und an diesem Tag begann der astronomische Winter und der Nachthimmel wurde regiert von Saturn, dem Planeten der Ringe, der kurz vor Mitternacht im Gegenschein der Sonne stand. Jani schloss die…

Social Beat: Initialzündung – zwischen Wahrheit und Mythos

Was war eigentlich Social Beat? Ein literarischer Schlag, eine Bewegung, eine Reanimierung von DADA, Punk, Beat Generation, Poetry, AusserLiterarischeOpposition, SubKULTUR der 1990er? 1993 waren die Fanzine-Macher Jörg André Dahlmeyer (aus Braunschweig) und Thomas Nöske (aus Göttingen) auf der Suche nach…

Über die Freundschaft

  Nachdem ich das Benehmen eines Malers, den ich im Hause habe, betrachtete, ist mir die Lust angekommen, in seine Fußtapfen zu treten. Er wählt den schönsten Platz auf der Mitte jeder Wand, worauf er ein Gemälde zeichnet und mit…

Vier Asse auf der Hand

A.J. Weigoni ist ein genialer Decouvreur von Alltagsmythen, ein Demonteur von Sprache auf hohem Niveau. Wolfgang Schlott Eigentlich sind Zombies lebende Tote. Vertieft sich allerdings der Leser in den Kurzgeschichtenband „Zombies“ von Andrascz Jaromir Weigoni, glaubt er sich eher von…

Schattenspiel

Weiterfühend → Mit einem Nachruf würdigt KUNO Peter Meilchens Lebenswerk. Lesen Sie auch den Essay 50 Jahre Krumscheid / Meilchen über die Retrospektive im Kunstverein Linz und den Essay zum Buch / Katalog-Projekt 630.

Raah! Arah! Aarh! Rhaa! Lachende Dritte, Sprache, Identität, Eintracht, frisiert!

  Die Heilserwartung aller westlichen Religionen rechnet mit Identität, weil dann immer kontrollierbar ist, was sich als gespaltenes, zwiegespalten angeblich Fremdgewordenes an Erweisbares nähen läßt; immer ist es das Einzelschicksal und seine erzwungene Anbindung an ein System, ob religiösen oder…

Blick auf den geistigen Zustand Europas

Die russische Seele ist eine politische Projektion des Westens zur Abgrenzung vom Osten: Dostojewskis Reflexion über den Menschen, dessen Leidenschaften, Triebe und Schwächen ist universell, so fand und findet sie Anknüpfungen in der Literatur bis heute. Deswegen darf Dostojewski nicht…

Zur Evolutionsgeschichte des Essays

Essays sind eine geistreiche Abhandlung, in der wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht oft die persönliche Auseinandersetzung des Autors mit einem Thema. Unter einem Essay versteht die Redaktion eine Abhandlung, in dem der Autor ein Thema…

La voix du Pirandello

Ein paar Gedanken zu Pirandellos Drama „Sechs Personen suchen einen Autor“ Das ist „Tricktheater“, meinte Emil Faktor in seiner Kritik vom 31.12.1924 im Berliner Börsen-Kurier zum Stück Pirandellos. Das Spiel der sechs Personen, die ihr Leben (in einer fiktiven Theater-Probe)…

Death makes angels of us all and gives us wings where we had shoulders

Seit es Menschen gibt, können sie sich Wörter und Wortkombinationen merken. Nichts kann einen Holocaust überleben außer Gedichten und Liedern. Keiner kann sich einen ganzen Roman merken. Niemand kann einen Film, eine Skulptur, ein Gemälde beschreiben. Aber solange es Menschen…

Bei Guy de Maupassant

Eine Phantasie Dir allein will ich mein interessantestes Geheimnis anvertrauen, aber du mußt dies als meine Beichte betrachten und bewahren wie ein Amtsgeheimnis. Paris! Ich stand an den Türpfeiler eines Magazins gelehnt und weinte, als wolle ich mich in Tränen…

Weihnachtsmarkt

  Dieser Tage haben die Städte aufgerüstet, an jedem möglichen Laternenpfahl sind oberhalb jeglicher Erreichbarkeit Lichterketten oder Lichtbilder angebracht. Teilweise stammen diese noch aus den sechziger Jahren, sind Zeichen des damaligen Wirtschaftswunders und geben ein Bild einer gewesenen Zeit. Geben…

Kunst – ein Kollektivsingular?

  1. Meine erste Begegnung mit dem Kollektivsingular hatte ich wohl um 1979 in einem der schönsten Arthouse Kinos Düsseldorfs, dem Bambi in der Klosterstraße. Der dortige Zuschauerraum war über und über mit alten Filmplakaten dekoriert. So etwa mit dem…

Über Kunst

  Graf Lew Tolstoj hat in seinem letzten vielumfragten Buche »Was ist Kunst?« seiner eigenen Antwort eine lange Reihe von Definitionen aus allen Zeiten vorangestellt. Und von Baumgarten bis Helmholtz, Shaftesbury bis Knight, Cousin bis Sar Peladan ist Raum genug…

Dezember

  hände wie äste zum himmel gotische landschaft die träne duftet im schnee falte die hände folge der strahlenden furche liebe duftet im schnee       *** KUNO empfiehlt die Dichtungsring-Sondernummer für Ines Hagemeyer, Bonn, 2018 Weiterführend → Ulrich…

Wonach trachtet das Haar?

  Nicht billig ist immer, was später vervielfältigt preiswert zu erwerben ist. Was erworben wird, weiß in der Regel nichts von seiner Billigkeit. Wir aber wissen, daß die Geschmacksknospen aufblühen, wenn sie von wie immer markierten Flüssigkeiten beregnet werden. Unsere…

Denkrede auf Jean Paul

  Ein Stern ist untergegangen, und das Auge dieses Jahrhunderts wird sich schließen, bevor er wieder erscheint; denn in weiten Bahnen zieht der leuchtende Genius, und erst späte Enkel heißen freudig willkommen, von dem trauernde Väter einst weinend geschieden. Und eine…

Das Klopfen der Käfer im Gebälk

  Der Nimbus dieses Autors ist seltsam umwittert, die Wahrnehmung von Thomas Hettche, den man mit allem Recht einen der beeindruckendsten Sprachakrobaten seiner Generation zu nennen hat, findet sich in einer seltsamen Ambivalenz wieder, die bedrückend sein kann, in verschiedene…

Das Leben der Studenten

  Es gibt eine Geschichtsauffassung, die im Vertrauen auf die Unendlichkeit der Zeit nur das Tempo der Menschen und Epochen unterscheidet, die schnell oder langsam auf der Bahn des Fortschritts dahinrollen. Dem entspricht die Zusammenhanglosigkeit, mangelnde Präzision und Strenge der…

Heißzeit

  Der kleine Reisekoffer steht gepackt im Flur. Viel ist es nicht, das Voss mit auf die Reise nehmen wird: Broschüren, Dokumente, eine Auswahl seiner Skizzen und Entwürfe. Worte, die eng stehen. Sein Plan zur Rettung der Welt liegt obenauf,…

BRAND

  ich erblicke meinen körper als brennendes haus, bin selbst in der obersten etage und überlege, ob ich aus dem fenster springen soll. doch ich kann dem feuer ausweichen und fliehe in den hausflur. dort angekommen, sehe ich das treppenhaus…

Die neuere Romantik

  In der vorstehenden Betrachtung sind die hervorragendsten Vorgänger der Romantiker an unsern Blicken vorübergegangen; bis zu ihren höchsten Blüten, bis zur rhetorischen Idealität Schillers und zur symbolischen Naturpoesie Goethes erschloß sich uns diese vom Rationalismus beherrschte Zeit. Aber der…

Rückblende

Nachbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machten wir das Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar. Für alle, die er eher als bibliophile Ausgabe mögen, der Katalog ist in limitierter und handsignierter Auflage erhältlich. Als Besucher der…

Tristram Shandy

„Der Mann trägt eine Perücke. Sie ist ihm leicht verrutscht. Das gibt dem Bild den Charakter eines Schnappschusses und lässt uns – schließlich ist es ein Gemälde, und da ist nichts dem Zufall überlassen – darüber nachdenken, was uns ein…

Max Brod

  Das Volk wird nie nach ihm schrein; er sättigt nicht, er ist überhaupt nicht zum essen, man kann höchstens eine seiner Hände streicheln oder seinen Mund küssen – er hat einen schüchternen Kindermund. Der erzählt immer von sich, immer…

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  wo Blicke sich aufhängen Sonne Sonne Mond wie wir gegen uns selbst abstimmen als erinnerten wir uns nicht mehr: die Schmetterlingsschwärme der Kindheit     *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer…

Distanzen

  Und gestern ich, vierzehn Milliarden Jahre nach dem Urknall bei meinem Friseur, die netten Hände in den Haaren und ungeheuer oben das Hubble-Weltraumteleskop auf der Suche nach schwarzen Löchern, während mich hier unten schon der simple Trick verwirrt, mit…

Rückkehr der Geister

Jedes Licht wirft einen Schatten. Wo Schatten ist, da muss auch Licht sein. Der Schatten ist geheimnisvoll, und das Licht ist Klarheit. Schatten verbirgt, Licht enthüllt. (Das ist die ganze Kunst – zu wissen, was man enthüllt und was man verbirgt,…

Panel

  Vera Strange ist von der Spieluhr gehüpft, weil sie sich nicht mehr für andere im Kreis drehen wollte. Sie nutzt ein Stipendium, um eine Ausstellung für die Galerie Terry Boone vorzubereiten. In N.Y.C. wird sie sich ihrer Multioptionalität bewusst,…

Über das Ausschreiten von Sprachräumen

Wer schreibt, der kennt die Situation im Angesicht des Nichts. Der Tisch wird zu einem leeren Strand. Mit dem ersten Wort auf dem leeren Papier hat man das Gefühl, man springe ins kalte Meer. Es ist ein langwieriger Häutungsprozesses, den…

Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden

An Rühle von Lilienstern Wenn Du etwas wissen willst und es durch Meditation nicht finden kannst, so rathe ich Dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender…

TOTENSEELEN

  ich laufe durch die straßen einer mir fremden stadt und werde verfolgt. in einem zug vermummter menschen, die totenmasken tragen, kann ich untertauchen. plötzlich umschließt mich ein grabgewölbe, durch das ich über endlose gänge und wendeltreppen gehe, während ich…

Über den Stümper in der Dichtung

Der Stümper allgemein Gehen wir von der mehr oder minder unstrittigen Annahme aus, zu einem guten Stück Dichtung gehören Gefühl, Gedanke und Handwerk, oder allgemeiner gesagt, gute Dichtung zeichne sich durch eine Übereinstimmung von Form und Inhalt aus, dann gilt…

Poetische Nihilisten

  Es folgt aus der gesetzlosen Willkür des jetzigen Zeitgeistes – der lieber ichsüchtig die Welt und das All vernichtet, um sich nur freien Spiel-Raum im Nichts auszuleeren, und welcher den Verband seiner Wunden als eine Fessel abreißet –, daß…

DAS ELEND DER WUNSCHMASCHINE

oder The Pursuit Of Happiness Zum Roman UNENDLICHER SPASS (INFINITE JEST) von David Foster Wallace (1996) in der Übersetzung von Ulrich Blumenbach auf 1545 Seiten mit 388 Anmerkungen. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009. Wir werden angesichts der Absenz des Todes…

Wie ich ›Seine größten Erfolge‹ sang

  Von den dreihundert Mark Unterhalt blieben nach Abzug der Miete sogar sechzig Mark übrig. Damit kam ich richtig lange aus, denn ich kochte selber. Aber als das Geld zu Ende war, sah ich die Stellenangebote in der Zeitung durch…

Schweissen & spalten

  Der kleine aber fest zusammengeschweißte Berufsverband der Haarschleifer versteckt sich hinter der weitaus populäreren Organisation der Haarzerkleinerer, denen in einer anderen Betrachtung mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden soll. Der Haarschleifer konditioniert und spitzenmodelliert das ganze Haarelement von Grund auf, – …

HEIMATKUNST

  Die architekten haben mit der reproduktion der alten stile schiffbruch gelitten, sie leiden jetzt, nachdem sie ohne erfolg versucht haben, den stil unserer zeit zu finden, wieder schiffbruch. Und da kommt ihnen das schlagwort „heimatkunst“ als letzter rettungsanker sehr…

Auf zur Expedition Heimat

Jeder gute Roman ist ein Meta-Roman, der über die Kunst der Fiktion reflektiert. Deshalb hat unsere Heimat, sobald man etwas intensiver über sie nachdenkt, die Tendenz, sich in Fiktion aufzulösen. Stefan Kutzenberger Das Titelbild dieses Epochenromans zeigt eine Neigung zur…

Die Geigerzähler hören auf zu ticken – Revisited

  Nach Iannis Ritsos, dem großen Griechen, soll auf diesen Seiten auf einen der letzten Dichter deutscher Sprache hingewiesen sein, den größten Sonettisten nach dem Krieg, unbekannt und totgeschwiegen: Klaus M. Rarisch. Sonettisten? Hat nicht Wondratschek mal? Von Törne? Biermann?…

Verwunschener Ort

  Auf dem Lande, so geht das Klischee, ist die Welt noch in Ordnung; und auf dem Weg vom Urbanen in die Provinz meiner Jugend will ich das gern glauben. Wenn ich nämlich, zum Beispiel, am Sonntag vor Ostern, nachdem…

Von Maschinen und Erinnerungen

  „Denk mal logisch!“ Wie oft hat man das schon in der Schule gehört? Und zugegeben: Manch einer von uns musste bei diesem Satz wahrscheinlich schon mit acht Jahren die Augen verdrehen. Denn wie wir alle von klein auf wissen:…

Der freieste Schriftsteller

Auch heute noch, nachdem er sich 200 Jahre in der Lesewelt befindet, gilt von Laurence Sternes ‚The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman‘ das Urteil, daß es zu den 10 größten Büchern gehöre, die bisher in englischer Sprache geschrieben…

Erinnerungshilfen

  Und plötzlich ohne Vorwarnung durch einen akustischen Hammerschlag erzeugt, ist er in die Vergangenheit versetzt. Immer wieder passiert ihm dies und er kann sich kaum dagegen wehren. Musik und Gerüche sind die besten Erinnerungstransporter. Nur einige Töne oder Akkorde…

Verlassenheit

1 Nichts unterbricht mehr das Schweigen der Verlassenheit. Über den dunklen, uralten Gipfeln der Bäume ziehn die Wolken hin und spiegeln sich in den grünlich-blauen Wassern des Teiches, der abgründlich scheint. Und unbeweglich, wie in trauervolle Ergebenheit versunken, ruht die…

Von der Gewissensfreiheit

  Man sieht sehr gewöhnlich, daß gute Absichten, wenn sie ohne Mäßigung durchgesetzt werden, die Menschen zu sehr fehlerhaften Handlungen verleiten. In dem Streit, durch welchen Frankreich anjetzt durch den bürgerlichen Krieg beunruhigt wird, ist die beste und sicherste Partei…

Trauer ist subversiv

Was ist da unter dem Stein habe ich gefragt. Ein Körper, haben sie gesagt. Und warum die Kerzen? Für die Toten. Ach so. Ich habe genickt, die Hände in den Jackentaschen vergraben, die Nase unterm Ansatz des Rollkragenpullovers verkrochen. Verstanden…

Anmerkungen eines Ketzers

  Ich mag Science Fiction. Vor allem so Leute, die sich frei durchs halbe Universum bewegen, von Captain Kirk bis Perry Rhodan. Mit Raumschiffen und durch Wurmlöcher oder Stargates. Nun geht das nicht so einfach. Die Physik hat – zumindest…