Monat: Januar 2024

Ende Jänner

  Eiszapfen vor dem Fenster und frisch bezogen das Bett es knistert der Schnee wir schaufeln die Reiskörner aus dem Haus der Geschmack der Zeit friert auf der Zunge hellwach und mondweiß das Museum der Stille der Bilder und Bücher…

Underground-Lyrik

Eine Erinnerung an die „Dirty Speech“-Bewegung in der BRD, die 1969 mit der Rolf Dieter Brinkmanns „Acid“ zu verorten ist. Es war eine Anthologie amerikanischer Beatliteratur, gesammelt und damit den Versuch eröffnend, auch in der deutschen Dichtung die bürgerliche Moral…

:

  schwimmen wie regnen als Schnee schweigen man sagt Wasserteich dein Gesicht ein Fenster meine Wellen ändern sich: Ränder aus Regen schwimmen als See       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2024 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie…

Müdigkeit

  Ich hab‘ geruht an allen Quellen, Ich fuhr dahin auf allen Wellen, Und keine Straße ist, kein Pfad, Den irrend nicht mein Fuß betrat.   Ich hab‘ verjubelt manche Tage, Und manche hin gebracht in Klage, Bei Büchern manche…

Interpretationen 1 – Todesfuge

  Todesfuge ist ein Gedicht des deutschsprachigen Lyrikers Paul Celan, das mit lyrischen Mitteln die nationalsozialistische Judenvernichtung thematisiert. Es entstand zwischen 1944 und Anfang 1945 und erschien zunächst in rumänischer Übersetzung im Mai 1947. Die deutsche Originalfassung wurde 1948 in…

Zum rheinischen Ungarn Weigoni

  Es verbindet uns die gleiche Grundhaltung der literarischen Sprache gegenüber, nämlich die: Respekt zu haben vor dem hohen Kultur-, ja Menschheitsgut SPRACHE; bei aller Absicht und allen Bemühungen, über ihre Grenzen hinauszukommen, dorthin, woher wir vielleicht kommen: ins freie…

Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848

  Es gibt neunmalweise Leute in Deutschland, die mit dem letzten Goethe’schen Papierschnitzel unsere Literatur für geschlossen erklären. Forscht man näher nach bei ihnen, so theilen sie Einem vertraulich mit, daß sie eine neue Blüte derselben überhaupt für unwahrscheinlich halten,…

Eine Flut von Erkenntnissen

  Es erweist sich als lyrischer Drahtseilakt, wenn der Autor, ein angesehener Diplomat und seit 2015 Botschafter der Rumänischen Republik in der Bundesrepublik Deutschland mit seinem seit Ende der 1970er Jahre in der „Volksrepublik“ Rumänien publizierten lyrischen Werk nunmehr gemeinsam…

Abendstimmung

    Stumm wurden längst die Polizeifanfaren, Die hier am Tage den Verkehr geregelt. In süßen Nebel liegen hingeflegelt Die Lichter, die am Tag geschäftlich waren.   An Häusern sind sehr kitschige Figuren. Wir treffen manche Herren von der Presse…

Recap

  Wenn wir uns den Gesammelten Gedichten der Else Lasker-Schüler hingegeben haben, möchten wir an die Kunst nicht denken und das erhöhte Wort der Dichterin noch einmal nachsprechen: „Ich werde heimwärts von deinem Atem getragen“. Die Liebe zu Menschen ist…

GILLAS LIED

  ich hab sie gesehn die weiße stadt am meer aber da ist kein rauch menschen sind da nicht mehr frierend geh ich auch   augen sterben am gleißen der welt und die stirn verdorrt kein tau mehr fällt  …

:

  dein Bauchnabel dieses Auge so feucht so glänzend dein Mund und dich mit der Hand bedecken dabei nicht und nie mehr intakt sein nein und in uns die Kontinente zersprungen als Meere als Vögel auch in der Luft denn…

tal der wale

  der bringer der freude zieht alle geschosse an sich: die götter geben ihre güter keinem faulen   der große und der kleine bruder zieht meere und länder an sein herz sie steigen und fallen und heben und senken sich:…

Archivar der Leidenschaft

  Weltanschauungsornamentik ausschreiten Risse in der Oberflæche der Illusion entdecken die Schnappmechanik des Begehrens ueberwinden & die Leere zwischen den Dingen erkunden… an Verschwindungssehnsucht leiden auf Vergeblichkeitsparabeln verzichten sich Selbstheilung durch Askese verordnen & Virtuose der Distanznahme werden   die…

Sonette – XIII

  Zu spät erwachte unser müdes Schauen Da Abendwolken purpurn schon beschatten Das Sinken jener Stirn die ohn Ermatten Umworben unser zagendes Vertrauen   So muß sich Andacht mit dem Tode gatten Der trägt sie auf verschwiegner Fahrt den grauen…

GRUFT

  Die in der großen Gruft des Todes ruhen, Wie schlafen sie so stumm im hohlen Sarg. Des Todes Auge schaut auf stumme Truhen Aus schwarzem Marmorhaupte hohl und karg.   Sein dunkler Mantel starrt von Staub und Spinnen. Vor…

Zwei Erschlagene

  (Liebknecht und Rosa Luxemburg) Der Garde-Kavallerie-Schützen-Division zu Berlin in Liebe und Verehrung   Märtyrer …? Nein. Aber Pöbelsbeute. Sie wagtens. Wie selten ist das heute. Sie packten zu, und sie setzten sich ein: sie wollten nicht nur Theoretiker sein.…

Über die Partien des Gedichts

  Der Ausdruck, das sinnliche gewöhnliche individuelle des Gedichts, bleibt sich immer gleich, und wenn jede der verschiedenen Partien in sich selbst verschieden ist, so ist das erste in jeder Partie gleich dem ersten der andern, das zweite jeder Partie…

Meine Gesichter

  Ich streife ein fremdes Gesicht ab, jeden Tag. Einen Tag für jeden Menschen, der mich geprägt hat. Jetzt, in der Zeit, in der alle Masken tragen, nehme ich die Masken ab. Vielleicht werde ich so wieder ganz. Das ist…

DAS BUCH

  ließ sich ein mann sein lesepult zimmern für ein einziges buch kettete er es an damit es nicht gestohlen wird eines tages aber  als er einmal nicht im raum war öffnete ein junger gast heimlich  die seiten um darin…

Lauter Diamant

  (An Gisel) Ich hab in deinem Antlitz Meinen Sternenhimmel ausgeträumt. Alle meine bunten Kosenamen Gab ich dir,   Und legte die Hand Unter deinen Schritt, Als ob ich dafür Ins Jenseits käme. Immer weint nun Vom Himmel deine Mutter,…

Ich gehe im Kreis

  Während ich im Kreis laufe der schön ist weil er rund ist möchte mich jemand messen und ich staune darüber dass ich am selben Ort ankomme derweil einer mich einteilt in die Krümeleinheiten in der Welt verteilt bin ich…

hemdenwechsel

  die asiatin kichert endlich grünkohlherbst dein gift schmeckt süffig in diesen tagen wäre das der tod ich ließe ihn mir gefallen damenwahl im hospiz doch feedback feedback hetzt der trainee sechswochenamt ist keine behörde diese akte schnell gefälscht  …

Sehnsucht

  Leise gleiten meine Träume Hin zu Dir, Durch der Sehnsucht weite Räume Fern von Dir. Ich möchte träumen nur von Dir In weiten Räumen fern von mir. Ich möchte küssen Deinen Mund Und scheiden müssen jede Stund‘.    …

Coda

  Seit du schweigst Habe ich nachtlang vorm Computer gesessen Und die digitalen Himmel gecheckt Das Handy war nicht Ein Bier trinken seither Es liegt und lauert Du machst es spannend Auf deinen Anruf Vielleicht bist du verschollen Vor Selbstlosigkeit…

Leben

von Satz zu Satz, in Zeiten der Mühe ein Wort, in die Leere pfuschst du ein Komma und streichst es aus gegen ein Geräusch, ein lautes Bild gegen das Vergessen: Du gingst, schon mit Haar im Gesicht, in den Keller,…

Eine Erinnerung an die eigentlich unverzichtbare fixpoetry

  Wirtschaftlich gesehen ist Lyrik selbstverständlich blanker Unsinn, aber Betriebswirtschaft ist im Leben eben nicht alles. Lyrik wäre nach allen ökonomischen Gesichtspunkten schon immer zum Aussterben verurteilt gewesen, und trotzdem hält sie sich nach wie vor, notfalls eben in der…

Die Humanisierung der Kommunikation

Eine Erinnerung von Ní Gudix an Hadayatullah Hübsch   Es war 1998, da klingelte bei mir das Telefon. Ich wollte gerade etwas vom Fernseher auf Cassette aufnehmen und war daher verärgert über die Störung, da mir das Klingeln die Aufnahme…

Sprachpalette

  Wer A. J. Weigoni durch seine bisherigen Bücher begleitet hat, wird stocken. Er sieht sich einer Sprachkraft gegenüber, die neu ist, knapp und akzentuiert. So verschiedenartig die Themen sind, die ihn fordern, so viele Nuancen weist die Sprachpalette auf,…

Wie entsteht ein Text?

  Gedichte sind am ehesten mit einem Mosaik oder einer Collage vergleichbar. Sie bestehen aus unterschiedlichen Einzelteilen, die zusammengesetzt etwas Neues, etwas Selbständiges ergeben. Jeder Text hat eine andere Entstehungsgeschichte, die von außen nicht wahrnehmbar ist. Seine Inhalte unterliegen einem…

Ein Leben ohne Poesie wäre möglich, jedoch sinnlos

  Der literarische Kanon ist ein Mysterium. So richtig kann niemand erklären, warum der eine Autor als Klassiker gilt, während der andere in den Untiefen der Bibliothekskeller verschwunden ist. Und wer dort erstmal liegt, fernab von Feuilletons und Konferenzen, hat…