Monat: April 2023

Eine spannungsgeladene Novelle mit hoher Symbolkraft

  Der erste Blick auf die Untertitel und die Gestaltungsmittel des Hard-Cover-Bandes hinterlässt gewisse Irritationen: Es sind Tropen als semantische Figuren, die ein ganzes Handlungsgefüge definieren, und Leitlinien, die mit dem als Novelle bezeichneten Text gewisse Hinweise auf den Plot…

Monolog im Leserstrahl 4

  Ich lernte schon immer leicht, Stimmen und Tonfälle, ja, Empfindungen und leise Erschütterungen des Gemüts zu imitieren. Ich kann verschiedene Kindheiten und Krankheiten  nachempfinden. Erinnerte Farben (Hautfarben) triumphieren vor dem sogenannten inneren Auge als Tarn- und als Leuchtfarben zugleich.…

Die demolirte Literatur

  Wien wird jetzt zur Grossstadt demolirt. Mit den alten Häusern fallen die letzten Pfeiler unserer Erinnerungen, und bald wird ein respectloser Spaten auch das ehrwürdige Café Griensteidl dem Boden gleichgemacht haben. Ein hausherrlicher Entschluss, dessen Folgen gar nicht abzusehen…

Plätze und Wege

  Eines ist ihm natürlich klar, der alte Spruch, welcher besagt, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung für den wahren Wanderer gibt, ist vorsichtig zu genießen. Beim morgendlichen Blick aus dem Küchenfenster ins trübe Grau des Tages…

Bohême

  Philistrosität ist die Tendenz zur Verallgemeinerung. Präziser: Philistrosität ist die Tendenz, den eigenen sittlichen Horizont als moralischen Schutzkordon um die Menschheit zu legen. Der Satz erhellt aus der Gegenprobe. Der einwandfreieste Nichtphilister ist der, dessen soziales Verhalten am wenigsten…

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  schmerzt ein Himmel vor Sehnsucht nach Frieden trau dich zu fürchten zu lieben was einfach ist Sonne Sonne Licht       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In…

Selbstporträt

*** Weiterführend → Eine  Würdigung von Jürgen Diehl finden Sie hier. Hören Sie auch die Hommage an Jürgen Diehl auf MetaPhon.

Klarheit und Schärfe des Blicks

1995 erklärte die UNESCO den 23. April zum „Welttag des Buches“, dem weltweiten Feiertag für das Lesen, für Bücher und die Rechte der Autoren. Die UN-Organisation für Kultur und Bildung hat sich dabei von dem katalanischen Brauch inspirieren lassen, zum…

Fritz Huf

  In Frankfurt am Main saßen wir uns gegenüber beim Maler Starke. Nach dem Abendschmaus boxten wir uns. Er trug, seiner holländischen Freundin zuliebe, Sackhosen wie die Fischer im Hafen von Rotterdam, ich meinen Arbeiterkittel. In der Frühe saß ich…

Das weiße Haus

  Man kennt die Romane des Dänen Herman Bang. Sie haben alle etwas Todtrauriges, Hoffnungsloses, Entmutigendes. Man erinnert sich der Menschen, die darin vorkommen, wie man sich vielleicht verlorener und unglücklicher Existenzen erinnert, von denen man als Kind gehört hat.…

Sein ist Zeit, sonst Nichts

  Es gibt keine Eigenschaft, kein separates Etwas, keine Größe, die allem Seienden gemeinsam ist oder in gleicher Weise zukommt. Kein ontologisches Gespenst namens Sein, dass sich neben dem Seienden ausmachen lässt: hier Seiendes, dort Sein. Es existiert nur eines:…

Raumgreifende Spracherkundung

Wer gelernt hat, den Zeichen zu misstrauen, dem bleiben zwei Optionen. Entweder legt man es darauf an, unter dem Schein der Oberfläche die eigentlichen ökonomischen, politischen oder sexuellen Triebkräfte zu enthüllen, oder man versucht, in der Wirklichkeit einem letztlich undurchdringlichen,…

Das Verdikt

  Einen Entschlussstrich ziehen. N@sty B. sieht sich nur kurz um. Wischt sich den Tabakfaden von der Zunge. Schnippt die Löte in den Ascheneimer. Trifft. Lässt die Tür sacht in das Schloss klacken. »Man muss sich gelegentlich daran erinnern, wer…

Ein unbequemer Denker

In der von den Massenmedien formatierten Öffentlichkeit ist Kritik durch Moralisierung ersetzt worden: Zwischen den Polen Lob und Tadel wird das Nachdenken eingespart, in Feuilletons und Talkshows wird längst nicht mehr diskutiert, sondern nur noch emotionalisiert. Norbert Bolz Für die…

Dirty Speech Revisited

Gelber schmutziger Himmel. Gelbschmutziger Himmel. Ein gelbschmutziger Himmel. Ein gelbschmutziger Himmel über mir. … Ein verdammter Scheißdreck von Himmel. Ein mieser gelber schmutziger Kölner verfluchter elender Kackhimmel. Ein von Lichtfetzen verkackter Himmel. Ein mieses Stück von Himmel. Ein Kackhimmel. Ein…

RSD

Der Record Store Day (kurz: RSD) ist der internationale Tag unabhängiger Plattenläden und findet am dritten Samstag im April des jeweiligen Jahres statt. Wer im digitalen Zeitalter nach 1991 geboren wurde, und in den Genuß des sterephonen Höhepunkts kam, wird…

Monolog im Leserstrahl 3

  Der winterlich kalte  Septemberwind blättert die Empfindlichkeit der Umgebung auf und legt Spuren, die er schon bald wieder verwischen wird. Er, der Mitwisser,  küßt flüchtig  verführerische Passagen der Gegend mit Schneeflocken; danach wird niemals mehr irgendetwas nachvollziehbar sein. Die…

Ein literarischer Geniestreich ?!

„Mit sprachlicher Bravour sperrt Hana Lehečková ihre Leserinnen und Leser in den Kopf eines geistig beeinträchtigten jungen Mannes ein.“   Der Auszug aus dem  Werbetext auf der Rückseite des Hardcover Bandes mit dem seltsam anmutenden Titel erregt insofern besondere Aufmerksamkeit…

Wir sind Nobodaddy’s Kinder

Lassen Se man: ich eigne mich schlecht als literarisches Mannequin. Arno Schmidt, 1953 auf Martin Walsers Einladung zur Gruppe 47 Manchmal atmen Literaturkritik und Literaturwissenschaft auf, wenn ein Autor nach seinem Tod nach und nach in Vergessenheit gerät. Etwas komplizierter…

ABSCHIED VON PETER ALTENBERG

  Mein lieber Peter, nun bist du tot, und man hat mich gebeten, etwas über dich zu schreiben. Man erwartet wohl etwas feierliches, große und klangvolle worte, wie sie eben ein freund finden wird angesichts des todes, angesichts … Aber…

Gezeitengespräch 4

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitfern:   Die Eiszeit kommt. Wir denken an Urlaub vermehrt. Weil dort die Sonne lacht. Keine Blässhühner. Aber Strand,…

Ästhetik des Andersseins

„Günther Emigs Literaturbetrieb verhält sich zu Andy Warhols Factory wie eine postmoderne Melkmaschine zur Milch der frommen Denkungsart.“ (Quelle: Selbsteinschätzung auf der Webseite des Autors) Wir beginnen mit einer Rückblende in die alte BRD. Zu Beginn der 1970ger Jahre erlebt…

Zum Dazwischen als generative Grauzone im Schreiben Herta Müllers

„I see the shaded part on one side where the sleepers are sleeping, […]”[1] Das „Vor-Augen-Führen“[2] (Aristoteles, Rhetorik. 1410b) – damit nähern wir uns dem Aristotelischen Metaphernverständnis als Kraft des Sehens; die Sehkraft ist bereits eine Metapher[3] dafür, wie wir…

Monolog im Leserstrahl 2

  Kurz darauf das Rasseln vieler Schlüssel. Hartborstige Straßenbesen kehren Berge von Unrat zusammen. Der Scheinwerfer erlischt, rote Notbeleuchtung schmückt die Ausgänge. Erst jetzt hört man abgehackte Befehle. Viele starke Taschenlampen werden eingeschaltet und tasten mit ihrem Strahl die Decke…

Der Flözgänger

Solche Bücher sind nicht für einen Nachmittag oder für eine Bahnfahrt, sondern für ein ganzes Leben. Joachim Zelter Ulrich Bergmanns vielgestaltiges Werk reicht von Begegnungen, intensiven Alltagsbeobachtungen, glossierenden Zeitgeistbetrachtungen über die Wiederbelebung historischer Figuren bis zum weltläufigen Erzählen. Dieser Autor…

Essays von on the road

  Was er nicht ertragen kann, kann er nicht kapieren.       *** Fast dumm, „Essays von on the road“ von Ann Cotten, starfruit publications, 2017 FAST DUMM ist ein vielschichtiges Reise- und Reflexionsbuch, ein lose organisierter Verbund aus…

Irgendwas mit Murmeltieren

  Der Tag hat ihn wieder einmal mit seiner unglaublichen Kürze überrascht, tatsächlich ging die Sonne irgendwann wohl auch auf, hat sich über der Horizontlinie gezeigt und ist ebenso irgendwann dann einfach heimlich verschwunden. Wahrscheinlich hat der Himmel auch für…

Stufen

  Es war einem Berufenern überlassen worden, das herrliche Buch aus dem Nachlaß Christian Morgensterns: ›Stufen‹ (bei R. Piper & Cie. in München) eingehender und tiefer zu würdigen, als ich imstande gewesen wäre. Ich möchte nur eines dazu sagen. Es…

Zur Kenntlichkeit entstellt

Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir! / Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? Wir! / Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, / wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? Wir! Wir! Wir! Freddy Quinn…