Monat: Februar 2023

Rentierflechte

  Es sind eigenartige, immer wieder überraschende Widersprüche, die einen aufmerksamen Leser bei seiner ersten Begegnung mit den Photographien von Sebastiao Salgado auf dem Umschlag und den Eingangsseiten des Buches mit dem seltsam fremden und zugleich scheinbar vertrauten Titel fesseln.…

auswege aus dem kapitalozän?

  eine der qualitäten dieses buches ist es, daß die autoren technologische entwicklungen historisch und gesellschaftlich einordnen und damit technokratischen denkweisen, die komplexität verweigern, etwas entgegensetzen. technik wirkt immer in prozessen und zusammenhängen. die »Einleitung« der herausgeber zitiert den maler…

Das Nippversum, ein Seitenarm der Guternberggalaxis

Herr Nipp, ein entfernter Verwandter von Herrn Keuner und Herrn Karl. Seit 1994 betreibt Herr Nipp auf KUNO das einfache, das wahre Abschreiben der Welt, er bewegt sich damit zwischen Ereignis und Reflexion. Bereit die erste Geschichte von Herrn Nipp…

Über das Wesen der Kunst

  Es ist einige Jahre her, seitdem ich ein literarisches Buch veröffentlicht habe. Nicht zögerte ich, weil ich nichts mehr geschrieben hätte – das Gegenteil ist der Fall. Ich zögerte aber, weil ich mir viele Gedanken machte, ob und warum…

Koppel

  Auf dem Weg zum nächst gelegenen Stausee kommt er an einer Pferdekoppel vorbei, am Ende einer ausgebauten Straße. Der asphaltierte Weg biegt von dort in einen Ortsteil ab, der nach jenem Wald benannt wurde, der sich dort zu früheren…

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  Notiz: Kein Sterben heißt kein Wachsen (und was ich an mir nicht ertrage zu lieben an dir)       *** Baumzyklen, Gedichte von Sophie Reyer, KUNO 2023 Weiterführend →  Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten…

Harald Gröhler … Flüchtig vorgestellt anhand einer Reihe von Büchern

  Wir hatten wenig; sehr wenig. Beinah hatten wir nichts. Das mache ich keinem zum Vorwurf; es sah eben nicht anders aus. Unlängst war grade ein Krieg gewesen. Dies die steilen Auftaktzeilen des spannungsgeladnen Klartextbuchs Kleppermühle. Und weshalb denk ich…

Max Herrmann

  Er ist der grüne Heinrich, und alle glauben es, wenn ich das sage. »O ja, er ist der grüne Heinrich.« Seine Augen sind grün, sein Haar ein geschorener grüner Wiesenfleck; seine Eidechsennase – immer schlängelt sie sich. Und sein…

Von Handtellertierchen

  Menschen sind unterwegs. Zwischen zahllosen Orten der Welt unterwegs. Mit gerichteten Blicken auf handtellergroße Geräte, wechselnd bebilderte und filmbewegte Fensterchen, die sie mit ihren verkrümmten Daumen streicheln. Daumen, die einige Generationen später eine genetische Veränderung erfahren werden. Wo immer…

Danton und wir

  Georg Büchners Danton glaubt, eine Marionette innerhalb eines sich in der Geschichte manifestierenden mechanistischen Determinismus zu sein. Er befindet sich in einem doppelten Dilemma: Er durchschaut sein Determiniertsein und muss in seinem radikalen Skeptizismus scheitern, denn er kann nicht…

Der Assistenzarzt

  »Ich schmeiss den Job«, nuschelt Willbert Neumann undeutlich vor sich hin. Zuckt zusammen. Wacht von einem Alb durchgeschüttelt schweissgebadet neben Noëmi auf. Reibt sich die Hautausdünstungen von der Stirn. Sieht sich aufgewühlt um. Das Moment der Wahrheit scheint als…

Verschiedenartige Geschichtsauffassung

  Das Buch der Geschichte findet mannigfaltige Auslegungen. Zwei ganz entgegengesetzte Ansichten treten hier besonders hervor. – Die einen sehen in allen irdischen Dingen nur einen trostlosen Kreislauf; im Leben der Völker wie im Leben der Individuen, in diesem, wie…

Kunst und die Infrastruktur geteilter Intentionalität_1.Teil

Grundlagen   1.1 2009 erschien in deutscher Übersetzung ein Werk des seinerzeit am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie forschenden amerikanischen Anthropologen und Verhaltensforschers Michael Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Es widmet sich, wie Jürgen Habermas in seiner Rezension in…

Über Lessing

  Lessings schriftstellerische Verdienste sind schon mehr als einmal der Gegenstand eigner beredter Aufsätze gewesen. Ein paar dieser Aufsätze, welche viele treffende und feine Bemerkungen enthalten, rühren von zwei der achtungswürdigsten Veteranen der deutschen Literatur her. Ein Bruder, der Lessingen…

heimwehen

  »heimwehe« hat gegenüber dem vorherigen gedichtband »herzecho. lyrische sonogramme« von 2016 noch an substanz gewonnen, indem die textkörper komplexer und vielschichtiger geworden sind und das phantastische darin, über das spielerisch experimentelle hinaus, immer stärker prägend wurde. anfangs waren die…

Kunstwerke

  Vielleicht war es immer so. Vielleicht war immer eine weite Fremde zwischen einer Zeit und der großen Kunst, welche in ihr entstand. Vielleicht waren die Kunstwerke immer so einsam, wie sie es heute sind, und vielleicht war der Ruhm…

Die Erotik

  Man mag das Problem des Erotischen anfassen wo man will, stets behält man die Empfindung, es höchst einseitig getan zu haben. Am allermeisten aber wohl dann, wenn es mit Mitteln der Logik versucht wurde: also von seiner Außenseite her.…

Die Elfenfelderin

Else Lasker-Schüler ist die stärkste und unwegsamste lyrische Erscheinung des modernen Deutschlands. Karl Kraus Die Wupper ist nicht nur ein Fluß, der sich durch das bergische Land schlängelt. Er verbindet unterschiedliche Ortschaften, wie die ehemaligen Großstädte Barmen und Elberfeld. Die…

Gezeitengespräch 2

  Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.   Zeitfern (nächster Tag): Immer Hoffnung, dass du was sagst. Ist das Realität? Meinungen haben schon immer ein Intermezzo…

Freaks

  Aufgrund der engen Verbindungen von Prodigien und Monstern – nicht nur in der etymologischen Bedeutung des lateinischen „monare“ als „mahnen“, „warnen“ – muss man den eigentlichen Beginn der Geschichte der Monster bereits in den Mythen und Schöpfungsgeschichten orten. Es gibt keine…

Die konstruktiven Ideen der neuen Malerei

  In der Chronik des Lorenzo Ghiberti steht eine merkwürdige Betrachtung, die ein lehrreiches Streiflicht auf die künstlerischen Ideen seiner Zeit wirft. Ghiberti spricht von Masaccio und erwähnt dabei bewundernd und als Zeichen des ungeheuren Fortschrittes, den die Malerei durch…

BILD 2. Ein Kaff

  auf dem Gipfel eines Berges, der rundum von anderen, höheren umgeben ist. Zwölf Hütten, eine Kirche, eine Kneipe, ein Brunnen. Die größte der Hütten ist eingestürzt. Die Fenster sind mit Brettern zugenagelt, das Dach beschädigt. Es gibt kein Nest…

Meine Seele eine blaue Schrift

Kommentare zu frühen Gedichten Heinz Küppers[i] Ich stelle im Folgenden drei Gedichte aus den späten 50er Jahren in den Rahmen ihrer Zeit – mit einigen wenigen biografischen Erklärungen, deren es aber nicht bedarf, um die Gedichte zu verstehen. Heinz Küpper…

Zum Todestag von Hans Fallada

In dem in Buchform 2012 publizierten Essay „Der Schein, das Sein und das Nichts“ habe ich Bücher und Gestalten von Hans Fallada neu interpretiert: mit Hilfe der Psychologie nämlich. Dabei nahm ich Alice Millers Bücher sowie eigene Definitionen zur Hand.…

Über den Aus-Drucks-Willen

Haimo Hieronymus hat das Spielen mit den Möglichkeiten und die Reflexion über das Spielen zur Grundlage seiner Kunst gemacht. Laik Wörtschel Kunst als letztmögliche Form des Spiels. Hieronymus verbindet, vergleicht, stellt in Frage und findet letztlich für jedes Bild eine…

Von Hinkenden

  Vor zwei oder drei Jahren verkürzte man das Jahr in Frankreich um zehn Tage. Wie manche Veränderung muß auf diese Verbesserung folgen? Es hieß eigentlich, Himmel und Erde auf einmal bewegen. Dessenungeachtet ist nichts aus seiner Stelle gerückt. Meine…

Anthologie auf das Jahr 1782

Großmächtigster Zar alles Fleisches, Allezeit Vermindrer des Reichs, Unergründlicher Nimmersatt in der ganzen Natur! Mit untertänigstem Hautschauern unterfange ich mich, deiner gefräßigen Majestät klappernde Phalanges zu küssen und dieses Büchlein vor deinem dürren Calcaneus in Demut niederzulegen. Meine Vorgänger haben…

Der Dichter und diese Zeit

Ein Vortrag Man hat Ihnen angekündigt, daß ich zu Ihnen über den Dichter und diese Zeit sprechen will, über das Dasein des Dichters oder des dichterischen Elementes in dieser unserer Zeit, und manche Ankündigungen, höre ich, formulieren das Thema noch…