Agitprop · Revisited

Vorbemerkung der Redaktion: Früh wandte sich Wladimir Majakowski gegen die alte Kunst und die klassischen Traditionen und arbeitete darauf hin, eine neue Literatur und dichterische Sprache zu schaffen. Seine Sprache ist eine Sprache der Straße, und er entzaubert die Illusion einer idealistischen und romantischen Poesie mit seinen intensiven, provokanten Tönen. Seine Liebe zu Lilja Brik, der Ehefrau seines Verlegers Ossip Brik, und die daraus erwachsende unkonventionelle Dreierbeziehung prägten seine Arbeit ebenso wie Krieg und Revolution. In die  Wirbelsäulenflöte schrieb er anderthalb Jahrzehnte vor seinem Tod, wie er sein Leben beenden könnte:

Immer öfter denke ich:
Wär´s nicht gescheiter,
auf die Stirn einen Schlusspunkt mit Blei zu setzen?

Eine Zeitlang der sowjetische Vorzeigedichter schlechthin, strahlt Majakowski über die Poesie seiner politischen Begegnisse hinaus. Er hat allgemein das Bild des Dichters in der Gesellschaft verändert. An 6. April 1925 fand die Premieren-Lesung von Der fliegende Proletarier durch Majakowski im Moskauer Bolschoi-Theater statt.

Majakowskis Text ist ein in der Weltliteratur einzigartiges Beispiel für die Verbindung von Poetologie und politischer Lyrik. Die Verse verhandeln bis ins Detail die ästhetischen Debatten der Avantgarde und jungen Sowjet-Kunst: vom Futurismus und Konstruktivismus bis hin zur Literatur des Fakts und dem proletarischen Agitprop. Die Verfahren der neuen Massenmedien, die in den 1920er Jahren aufkamen – Radio, Kinofilm, Pulp-Literatur, Werbung, Comic, Plakat – verbindet Majakowski in seinem Text auf eine Weise, wie dies keinem anderen Dichter gelungen ist. Zudem ist sein Text ein Paradebeispiel der utopischen Literatur. Die Thematisierung von Luftkrieg und Raumfahrt ist angesichts der geostrategischen Auseinandersetzungen, die um den „Kontinentalblock“ geführt werden, bis heute aktuell.

Der Dichter
                        aber sichtet
                                               auch das
                                                                was erst in zweihundert
Jahren ist
                        oder –
                                    gut hundert.

Die Übersetzung ist von einer fast wörtlichen Werktreue und erlaubt sich nur dort kleine Freiheiten der Nachdichtung, wo es darum geht, die durchgehende Reimstruktur des Textes nachzubilden und für den Leser erlebbar zu machen. Auch die vereinzelten Verwendungen von Alltagsjargon sind durchaus im Wortsinn des Originals oder entsprechen der Haltung und Tonalität Majakowskis selbst. Dies richtig zu gewichten, muss Literaturkritik schon leisten können.

Ich lechze heute nur nach einem Trunke:
nach dem Gift, das Gedichte enthalten.

Und schließt etwas sentimental:

Seht: Ich bin auf Papier genagelt mit Worten auf meinem Munde!

Das Poem stellt in jedem Fall einen der wichtigsten Klassiker der Avantgarde-Literatur dar. Die im Buch vorhandenen Illustrationen treffen genau den Geist der Zeit. Nachwort, editorische Notiz und Zeitleiste helfen zum kontextuellen Verständnis und werden literaturwissenschaftlichen Kriterien gerecht. Als Lektüre unbedingt zu empfehlen!

 

 

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Der fliegende Proletarier, von Wladimir Majakowski. Übersetzung: Boris Preckwitz, Illustrationen: Jakob Hinrichs, Nachwort: Jan Kuhlbrodt, Edition ReVers 3, Berlin 2014

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.