Interpretationen 4 – Howl

I began typing, not with the idea of writing a formal poem, but stating my imaginative sympathies, whatever they were worth.

Allen Ginsberg

 

Howl ist das bekannteste Gedicht des US-amerikanischen Schriftstellers Allen Ginsberg. Abgeschlossen wurde „Howl“ mit der Vorstellung eines Gedichts – und dessen Vortrag im Oktober 1955 in San Francisco machte Ginsberg über Nacht berühmt. Es wurde „The Poem that Changed America“ eine als Fortführung von Walt Whitmans „Leaves of Grass“, als Gedicht, das im Sinne Ezra Pounds die Sprache völlig erneuert habe mit seinen stakkatohaften Phrasen, wilden Juxtapositionen, mal mit der Stimme des Dichters, dann mit der des Hipsters vorgetragen. Es ist dem Kollegen und Freund Carl Solomon gewidmet, den Ginsberg am New York State Psychiatric Institute kennengelernt hatte.

Howl gilt als herausragendes Gedicht der Beat Generation.

Howl besteht aus drei Teilen und einer „Fußnote“. Der erste Teil ist der längste und bekannteste; die anderen Teile und die Fußnote entstanden erst nach dem ersten Vortrag.

Der erste Teil wird eingeleitet mit

I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix

und fährt dann in einer Aneinanderreihung von Szenen – oft als Relativsätze verbunden – fort. Diese Szenen enthalten sowohl autobiographische und biographische Passagen aus dem Leben der Beat Generation als auch abstrakt-metaphysische und religiöse Symbolik. Wiederkehrende Themen sind Drogen, Jazzmusik und Wahnsinn vor dem Hintergrund der Vereinigten Staaten von Amerika in den 1950ern. Die Verse reimen sich nicht, werden aber durch den Klang der Worte zusammengehalten. Dabei benutzt Ginsberg auch Slang-Wörter:

yacketayakking screaming vomiting whispering facts and memories and anecdotes and eyeball kicks and shocks of hospitals and jails and wars

In einem entsprechenden Vortrag wirkt dieser Teil tatsächlich wie ein langes Geheul oder eine Wehklage. Es ist auch dem jüdischen Kaddisch nachempfunden, eine Übernahme, die Ginsberg später in seinem zweiten dichterischen Hauptwerk Kaddish explizit wiederholte.

Der zweite Teil stellt nach der Klage des ersten die Frage, wer oder was verantwortlich für das beschriebene Elend ist:

What sphinx of cement and aluminum bashed open their skulls and ate up their brains and imagination?

Die Antwort ist Moloch, der nun mit verschiedenen Attributen belegt wird. Interpretationen deuten Moloch oft als die Großstadt, aber auch als das Geld oder den Kapitalismus. Im Gedicht bleibt dies jedoch offen, zumal Moloch auch als metaphysische und psychische Macht erscheint:

Moloch, who entered my soul early! Moloch, in whom I am a consciousness without a body!

Nach den direkten Anklagen und Verfluchungen des Moloch im zweiten Teil ist der dritte Teil von versöhnlicherem Ton bestimmt. Er eröffnet mit der direkten Anrede an Carl Solomon, der sich in der Irrenanstalt Rockland befindet. Die nach jedem Vers wiederholte Beschwörung lautet

I’m with you in Rockland

während sich der Sprecher zu immer fantastischeren Visionen steigert, die im Einsturz der Mauern von Rockland und einer Art Heimkehr des Angesprochenen enden.

Die Footnote to Howl wird vom wiederholten Wort holy bestimmt und spricht, im Vergleich zum Gedicht sehr optimistisch, alles Geschehen heilig:

Everything is holy! everybody’s holy! everywhere is holy! everyday is in eternity! Everyman’s an angel!

1957 beschlagnahmte die Polizei 520 Exemplare des Buches Howl and other poems, in dem das Gedicht veröffentlicht worden war. Gegen den Verleger Lawrence Ferlinghetti wurde Anklage erhoben. Insbesondere die Zeile

who let themselves be fucked in the ass by saintly motorcyclists, and screamed with joy

galt als obszön. Ferlinghetti wurde von der American Civil Liberties Union unterstützt, und nach dem Anhören mehrerer Literaturwissenschaftler sprach das Gericht Ferlinghetti frei und billigte dem Gedicht eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung zu. Durch den Prozess, über den landesweit berichtet wurde, gewannen das Gedicht und der Autor große Bekanntheit.

Das Gedicht enthält eine Vielzahl von Verweisen und teilweise nicht leicht verständlichen Anspielungen. Erwähnt werden unter anderem Ginsbergs Liebhaber Neal Cassady (als „N.C.“), Ginsbergs dichterisches Vorbild William Blake, aber auch Plotin und Anspielungen auf die Shoah (damit bleibt er allerings weit hinter der Todesfuge zuruck).

Ginsberg vermittelte mitunter den Eindruck, das Gedicht in kurzer Zeit in einem Rauschzustand geschrieben zu haben. Dies konnte widerlegt werden; tatsächlich arbeitete er mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre, an dem Werk. Es wirkt dennoch wie ein eruptier Gefühlsausbruch.

 

 

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Howl and Other Poems, by Allen Ginsberg, was published in the fall of 1956 as number four in the Pocket Poets Series from City Lights Books.

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