lakonie mit sprengstoff

 

die gedichte von frank schäfer sind knappe, lakonische, oft intellektuelle und philosophische texte, mit nur wenigen strichen gezeichnet. der autor aus allenbach im hunsrück, geboren 1966, studierte philosophie in stuttgart und freiburg, was man seinen texten durchaus anmerkt. das wort feiung, das eine immunologische bedeutung hat, ist verwandt mit gefeit. und gefeit sein, also gesichert und geschützt, muß der mensch wohl künftig gegen manches, das er selbst verursacht. in mehreren gedichten finden sich worte, die an jean pauls oder arno schmidts wortprägungen erinnern, so »unverpilgert« in »Allenfalls«.

»Nach innen auf«: »In einigen Schädeln / brennt immerzu Licht. Einer, der starrt damit bis / zur / Wand. Er / muss damit aufhören, der dehnt so das Auge / nach Innen / Auf.« das klingt schmerzhaft. womöglich entsteht das schädellicht auch durch träume, die raum brauchen, damit die seele über große entfernungen und jahrtausende hinweg reisen kann. es gibt menschen, die nicht nicht denken können, im schlaf aktiver träumen und das geträumte teils schon im traum verarbeiten.

»Eine andere Art Glück«: »Und manchmal geht / Einer ganz / ins Scheitern, und eine andere / Art / Glück / triumphiert.« bewußtes scheitern kann von vielen zwängen befreien, die einengen und abhängig machen. ein selber denkender und kreativer mensch entspricht häufig nicht den maßstäben für erfolg. menschen sehen häufig in der anerkennung an sich mehr ein qualitätsmerkmal als in einer leistung. denn sie urteilen gemeinhin nach etiketten, die konventionen entsprechen, und nicht begabungen und fähigkeiten. karl kraus indes schrieb: »Philosophie ist oft nicht mehr als der Mut, in einen Irrgarten einzutreten. Wer aber dann auch die Eingangspforte vergißt, kann leicht in den Ruf eines selbständigen Denkers kommen.«

»Abgeläutet«: »Schwer / ist, die Bilder zu teilen in / Abgrund und / Grund; // mitunter / wirbelt eins die Stirn auf / bis / abgeläutet / wird.« das benennt, erneut auf den kopf bezogen, die schmerzlichkeit des denkens, schicksalsmomente sowie endpunkte von wahrnehmungen und erfahrungen. brunnen geben lebenswasser und können zugleich zur hölle führen, sind also grund und abgrund, lebensquell und unterwelt. »Gezinkt«: »Es stechen die Zeichen / die Welt, studieren die Würfel, sie / würfeln, sie werfen Kunst, sie / werfen / uns / Unspielbares.« es gab orakelwürfel, die ein schicksal voraussagten. das heutige wahrsagen ist eine verflachte profane nachfolgeform davon.

in »Brisanz«, dem letzten gedicht des bandes, heißt es »Diese Zeit ist / reif, die Zukunft in den Kopf zu werfen, / mit / Sprengstoff.« wir befinden uns in einer lage, insbesondere ökologisch, in der inzwischen zwar viele menschen erkennen, oder zumindest ahnen, daß sich etwas grundlegendes ändern muß, doch aus angst vor privaten verlusten oder prinzipieller skepsis gegenüber veränderungen und neuerungen, individuell und gesellschaftlich nicht imstande sind, den nötigen wandel aus eigenem antrieb vorzunehmen und mitzugestalten, der dann später notgedrungen und mit verwerfungen geschieht, und womöglich auch mit sprengstoff in köpfen und seelen zerstört.

 

 

 

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Stille Feiung, Gedichte von Frank Schäfer. Allenbach, 2021

Weiterführend → Poesie zählt für KUNO weiterhin zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.