Das Spannungsverhältnis vom analogen Medium Buch und den digitalen Medien

Ich jonn su unwahrscheinlich jähn met dir enn der Waschsalon
Weil du häss Ahnung vun dä Technik
Vun der ich nix verstonn

Wolfgang Niedecken

 

Erinnerung wird zunehmend auf neue Technologien ausgelagert, daher einige Gedanken zum Welttag des Buches und den unterschiedlichen Speichermedien künstlerischer Äußerungen. Das Grundproblem der Erinnerungskultur (siehe auch: In eigener Sache), der Zeugenschaft, der Autorschaft, ist die Frage: Wer erzählt, wer verarbeitet, wem eine Geschichte gehört? – „Kultur schafft und ist Kommunikation, Kultur lebt von der Kommunikation der Interessierten.“, schreibt Haimo Hieronymus in einem der Gründungstexte von KUNO. Die ausführliche Chronik des Projekts Das Labor lesen sie hier. Diese Ausgrabungsstätte für die Zukunft ist seit 2009 ein Label, die Edition Das Labor. Diese Edition arbeitet ohne Kapital, zuweilen mit Kapitälchen, meist mit einer großen künstlerischen Spekulationskraft. Dass moderne Literatur nicht nur im begrenzten Format eines Buches seinen Platz hat, belegen der Multimediakünstler Peter Meilchen, der Sprechsteller A.J. Weigoni oder die visuelle Poetin Angelika Janz nachdrücklich. Alle vorgenannten Artisten arbeiten sowohl mehrperspektivisch, als auch interdisziplinär.

Der Begriff Multimedia bezeichnet Inhalte und Werke, die aus mehreren Medien bestehen:

Collage, Text, Fotografie, Grafik, Animation, Audio und Video.

Plaidoyer pour les intellectuels hatte Jean-Paul Sartre auf den von Roland Barthes definierten Unterschied zwischen écrivants (Schreibenden) und écrivains (Schriftstellern) rekurriert, wobei der Schreibende sich der Sprache bedient, um die Konsumenten der „sozialen Medien“ mit Informationen zu versorgen, während der Schriftsteller die Sprache als kritisches Kommunikationsmittel begreift und auf die „Mitteilung des Nicht-Mitteilbaren (des erlebten In-der-Welt-Seins)“ abzielt. Seit der Gründung des Labors stand das transmediale Erzählen im Vordergrund der künstlerischen Spekulationen. Im multimedialen Bienenstock lanciert die Edition Das Labor auf der Plattform vordenker.de mit MetaPhon eine Reihe, in der Facetten der multimedialen Kunst und des Hörbuchs zugänglich gemacht werden, die nach den herkömmlichen Marktgesetzen unerschlossen bleiben. Der Markt wird entmystifiziert. Das aufgeklärte Publikum erwartet Künstler, Wissenschaftler, Akteure, die den Vorhang aufreißen, um in anderen Formen zu erzählen. Die Kunstakademie hatte sich in den 1970er Jahren als installativer Diskursraum auf die Ratingerstraße ausgedehnt. Als künstlerische Grenzgänger betrieben A. J. Weigoni und Frank Michaelis mit der Literatur, in einem hocharbeitsteiligem Virtuosentum mit den Schauspielern Marion Haberstroh und Kai Mönnich, eine multimediale Hörspielerei zwischen Performance, Theater und Lesung, und setzen Elemente der Minimalmusik ebenso ein, wie die des Jazz. Diese Arbeiten von widersetzten sich jedweder Vorstellung von einem „ordentlichen Werk“. Es ging bei dieser Zusammenarbeit um eine Synthese, die Alchemie des Zusammenbringens, die Erweiterung der Vorstellung, was mit Literatur, Musik und Kunst möglich ist.

Wer immer bis zu diesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem Triumphzug, der die heute Herrschenden über die dahinführt, die heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als Kulturgüter.

Walter Benjamin

Streams und mp3 haben Musik zu etwas Flüchtigem gemacht. Wer eine CD kauft, sehnt sich nach dem Musikhören als Gesamt­erlebnis. Auf einer HiFi-Stereoanlage gehört, haben CDs als Erinnerungsspeicher großartige Qualitäten: Charme, Wertigkeit und Klangschönheit. Das wissen inzwischen immer mehr Sammler zu schätzen. Bei einer Audio-CD unterliegt die Abtastung keinerlei Limitierungen bezüglich geometrischer Unzulänglichkeiten und Gleichlauf. Auch entfällt unter anderem das bei der Schallplatte unvermeidliche Rillen-Grundgeräusch (Rumpeln, Grundrauschen), welches vor allem bei sogenannter klassischer Musik Einbußen in der Musikdynamik verursacht. Wer sich bei I-Tunes Musiktitel runterholte, kauft jetzt wieder CDs. Für Menschen, die den ganzen Tag auf Bildschirme starren, ist die CD eine willkommene Abwechslung. Ein Hörbuch entschleunigt und reduziert die Reizüberflutung. Das Handgemachte, Ehrliche, Authentische spricht gerade vernetzte, gestreßte Großstädter an, die zwar all ihre Daten in Clouds hochladen, aber zur abendlichen Erdung etwas Warmes, Greifbares und künstlerisch Wertvolles suchen. Das Hörbuch bedeutet weiterhin einen Zugewinn, zumal es Autoren gibt, die durch ihre Art zu Rezitieren die Lektüre nicht nur klanglich bereichern.

Tom Täger und A.J. Weigoni kommt das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.

lyrikwelt.de

Geht das Verständnis für die Kulturleistung Poesie verloren, zerfällt Gemeinschaft buchstäblich aufgrund von mangelndem Verständnis. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik der von KUNO sehr verehrten Ines Hagemeyer.

Die Klassiker des Andersseins

Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Der Nonkonformismus bezeichnet eine individualistische, unangepasste, unabhängige Haltung gegenüber sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Normen. Man schwimmt dabei nicht immer direkt gegen den Strom, aber auch nicht mit ihm. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.

 

 

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Weiterführende Vertiefungen zu transmedialen Projekten:

Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd

Einen Essay zur Ausstellung 50 Jahre Krumscheid / Meilchen lesen Sie hier. Zur Ausstellung erschien das Buch / Katalog-Projekt Wortspielhalle mit der Reihe Frühlingel von Peter Meilchen und einem Vorwort von Klaus Krumscheid. Einen Essay zum Buch / Katalog-Projekt 630 zu finden Sie hier.

 Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO faßt die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen. Last but not least: VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, ein Essay von A.J. Weigoni in dem er dichtungstheoretisch die poetologischen Grundsätze seines Schaffens beschreibt.

Hörproben Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren, von An der Neige und des Monodrams Señora Nada in der Reihe MetaPhon. Zuletzt bei KUNO, eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung.