Schlagwort: A.J. Weigoni

Vorspiel zum Tod

  Als Angelina wieder einmal auf eine kulturelle Selbstbestätigung angewiesen ist, geht sie allein ins Theater. Da ihr die Zeit wegläuft, muss sie sich mit einer Droschke transportieren lassen. »Ins Theater wollen Sie?«, erkundigt sich der an Travis Bickle erinnernde…

Zu Wort kommen lassen

Die wirkliche Freiheit erfordert Aufmerksamkeit und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag. Das ist…

Dirty Speech

Als ich zum ersten Mal nach Köln kam, sah ich nur noch Fratzen. Fratzen in der Straßenbahn, Fratzen auf Plätzen und Straßen. Mit ihren kleinen Büdchenfressen, ihrer kleinen Büdchenmentalität, mit ihrer Kölsch- und Halve Hahn-Mentalität und dann noch Literatur oder…

Elberfeld im dreihundertjährigen Jubiläumsschmuck

„Lott es doot, Lott es doot, Liesken leegt om Sterwen, dat es, god, dat es god, gäwt et wat tu erwen!“ Ich bin verliebt in meine buntgeschmückte Jubiläumsstadt; das rosenblühende Willkomm gilt mir, denn ich‘ bin ihr Kind, die flatternden…

Durch Sprache kenntlich werden

Kretins… it was perfectly horrible… they should certainly be killed. Virginia Woolf A. J. Weigoni, Schriftsteller und Literaturpädagoge, stellt in seinem Originalton-Hörspiel »Zur Sprache bringen…« Bewohner des Benninghofs der evangelisches Stiftung Hephata vor, die im landläufigen Vokabular Behinderte heißen. Das…

Die Mauer wird zu einem Photo in einem Geschichtsbuch

Hier ist er also, der große Zeitroman für Marcel-Reich-Ranicki. Wend Kässens, NDR 3, Literatur vor Mitternacht Der Langsamschreiber lässt sich Zeit mit einem ersten Roman. Weiterführend → Zur historischen Abfolge der Stacheldrahteinkerbung in die Landschaft (incl. „Todesstreifen“), eine historische Einführung.…

KRASH Verlag, der Name war Programm

1989 war ich Underground. Und das war gut so. Denn wir wollten ums Verrecken nicht so sein wie die anderen – die Bölls, Grass‘, Walsers. Wenn man Trash und Indierock hört, kann man Wasserglaslesungen mit Blumenbouquet weniger goutieren. Literatur und…

Poetische Osmose zwischen dem lyrischen Ich und der Welt

A text that alludes to Eliot’s Waste Land, was set to music by Tom Täger,using minimalist techniques and sound effects like the rustle of paper. Judith Ryan · The Long German Poem in the Long Twentieth Century Folgt man den…

Horchposten

Das Ohr ist ein Organ der Angst, hätte der Mensch nur Augen, Hände, Geschmacks– und Geruchssinn, dann hätte er keine Religion, denn jene Sinnesorgane sind Organe der Kritik und des Skeptizismus. Ludwig Feuerbach Mit literaturpädagogischen Kursen versucht A.J. Weigoni die…

Exil und Sprachheimat

A text that alludes to Eliot’s Waste Land,was set to music by Tom Täger,using minimalist techniques and sound effectslike the rustle of paper. Judith Ryan · The Long German Poem in the Long Twentieth Century In ihren poetopathologischen Aufzeichnungen kämpft…

Buchflaneure, eine Rückschau auf die MMPM

Das Buch auf solche Weise aufzuschlagen, so daß es winkt wie ein gedeckter Tisch, an dem wir mit all unseren Einfällen, Fragen, Überzeugungen, Schrullen, Vorurteilen, Gedanken Platz nehmen. Walter Benjamin Zuhören, Lesen und Schreiben sind aufeinander bezogene und einander bedingende…

Etwas Wertvolles im Zeitalter der schnellen und endlosen Reproduzierbarkeit

Auf der 17. Mainzer Minipressen-Messe wird Künstlerbuch Unbehaust von Haimo Hieronymus und A.J. Weigoni vorgestellt   Unbehaust ist schrecklich, aber der Text gibt auch die Möglichkeit eines In-der-Sprache-Wohnens. Das ICH kämpft mit dem Auflösungsprozess des Körpers, das Bewusstsein widersetzt sich…

Nachtblaumetallisches Dæmmerungsdunkel

  schwankende Planken hell & dunkel kein Raster fuer Grau/Zonen allenfalls das Wasser\Zeichen der Schrift scheint… noch durch: Zeichen = Verzeichnungen aus zehrender Schwere wird schwebende Leichtigkeit aus philosophischer Schwermut nachklingendes Schweigen…   Botschaften des ein gefrorenen Atems: das Schwarz\weisse…

4. Welttag der Poesie

  Am 21. März wird jedes Jahr der Welttag der Poesie gefeiert. Er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern“. Die KUNO-Redaktion empfiehlt an diesem Tag daher Preziosen aus dem Bereich Hörbuch. Das…

Was uns verbindet ist das Papier

Die expressive Farbigkeit von Haimo Hieronymus, die man als vital bis aggressiv empfinden kann, korrespondiert mit dem Stachel der Analyse in Weigonis Texten wie umgekehrt die relativierende Denkhaltung derselben mit den ambivalenten Bedeutungen der Farben Schwarz, Rot und Weiß, die…

Zum unbehausten Menschen · Revisited

  Als Nietzsche vor über einhundert Jahren den Tod Gottes proklamierte, erschuf er die Sinnleere des Lebens wie auch die Eröffnung ganz anderer Freiheitsräume, als wir bis dato kannten. Seitdem durchirrt die Menschheit diese Räume und verliert sich. Im Zeitalter…

Unbehaust, ein poetisches Polymorphem

Der Vorhang öffnet sich sehr schnell. Ertappt. Auf der Bühne steht die Patientin Jo Chang mit schreckstarren Augen. Sie befindet sich allein, in auswegloser Lage. Lässt einen Stapel Blätter fallen. Schlittert über das bereits am Boden liegende Papier. Versucht Halt…

Der Essay als Versuchsanordnung

Der Essay trägt dem Bewusstsein der Nichtidentität Rechnung, ohne es auch nur auszusprechen; radikal im Nichtradikalismus, in der Enthaltung von aller Reduktion auf ein Prinzip, im Akzentuieren des Partiellen gegenüber der Totale, im Stückhaften. Theodor W. Adorno Eine Rückblende auf…

Schland_Replika

Weiterführend → Anmerkung der Redaktion: Zur Ausstellungseröffnung wird der Super-8-Film Schland mit einem Ohr-Ratorium von A.J. Weigoni uraufgeführt. Frank Michaelis, Saxophon (Komposition), Marion Haberstroh und Kai Mönnich, Schauspieler. – Remastered von Tom Täger für die Edition Das Labor, Mülheim an…

Verblendungszusammenhang

    endzeitgemæsse Betrachtungen von Fortschrittsskeptikern aus dem Fundus der Alptraumikonografie treffen in den Augenwinkeln auf Ewigkeitsillusionisten im: Borderline–Universum   Heroische Pessimisten begreifen die Wonne des Unbestimmten & betreiben an der Frontlinie des Symbolischen ein Durchqueren der Wortfelder im ewgen…

Das blutrote Äußere

„Das blutrote Äußere hält, was der Titel verspricht.“ (Sonntagsnachrichten, Wanne–Eickel)   Als letztes Gossenheft wurde mit Unterstützung von Dietmar Pokoyski Massaker produziert.  Geziert von manch semantischem Husarenstück… Klischees werden clever arrangiert, Stereotypen gekonnt gegeneinander ausgespielt und vorm inneren Auge des…

Redewendungsreferenz

  Ratten\ schwænze schlængeln sich zwischen den Haar wurzeln ueber Deine hirn rissige Kopf haut & næseln næchtens nach … Nixennahrung       *** Letternmusik, Gedichte von A.J. Weigoni, zuerst erschienen beim Rospo-Verlag, Hamburg, 1995 – remastered 2016 für…

3. Welttag der Poesie

Am 21. März wird jedes Jahr der Welttag der Poesie gefeiert. Er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern“. Die KUNO-Redaktion empfiehlt an diesem Tag daher Preziosen aus dem Bereich Hörbuch. Blutrausch erzählt…

: 2 = Verweisungszeichen zur Literatur

  Ähnlich wie beim Fussball gibt es auch in der Literatur zahllose Experten, die als Bundestrainer immerzu die elf richtigen Vorsätze andenken, um bestenfalls zu Adi Preißlers Erkenntnis zu gelangen:
“Entscheidend is auffem Platz.“ I Allegro Es ist nicht leicht im…

Nonkonformistische Literatur zwischen 1989 und 2001

Das Gossenheft ist eine neue Richtung in der Literatur. Dr. Ulrich Janetzki / LCB, Berlin 1989 erschien im KRASH-Verlag das erste Gossenheft mit dem Titel Jaguar, der Verlag aus der Domstadt griff auf eine Tradition zurück. Die ersten Groschenhefte erschienen…

Aufklärung ist eine Erfindung, damit wir uns sicher fühlen

  Bis der Leichenwagen der Mordkommission kam, kaute der Schleusenwärter an seinen Fingernägeln. Seine Mutter hatte ihm das Knabbern an den Nägeln vor vierzig Jahren abgewöhnt. Hatte Senf auf seine Hände gestrichen. In diesem Moment wünschte sich der Schleusenwärter, sie…

Schleusenwärter

  Die aufgehende Sonne hatte die Farbe von glühendem Stahl. Alles blieb ruhig im Hotel Alt Crange, den Häusern, den Wohnwagen. Noch. Der Müll der Cranger Kirmes blieb auf den Straßen kleben. Der Goldrausch war vorbei. Die Menschen hatten sich…

Gefühlsentleerte Welt

  Während alle zum Himmel sahen, starrte er auf die Erde. Bronischewskis Laune war ins Bodenlose gesunken. Er hatte vielen Frauen in den Ausschnitt gestarrt, um den Fitzel eines roten BH’s zu sehen. Die Hitze hatte ihn zehn lange Tage…

Pannaskopp

  Hinter der Telefonzelle auf dem Schleusengelände lehnte der Sterbende mit dem Rücken an der Rückwand. Man hätte ihn für einen Betrunkenen halten können. Giancarlos Tod umgab die gleiche Leere, die sein Leben geprägt hatte. Um das fette Faktotum wölbte…

Chill–Out

  Indes: Träumend, beinahe wie die Generation ihrer Eltern, lagen Ansgar und Shari auf dem Rasen und ließen sich das Gras schmecken. »Hmmm… gutes Zeug!«, atmete Ansgar nach einem tiefen Zug aus. »Is‘ echt gut für’n Chill–Out!« Shari nuckelte an…

Leidenschaftliche Hingabe als Akt der Selbstvernichtung

  Magische Öffnung des Blicks. Giancarlo sah den Weg zur Schleuse mit der Gleichmütigkeit eines Melancholikers hinauf, der die Ziellosigkeit zum Lebenssinn erklärt hat. Hielt ihm der schwarze Engel ein flammendes Schwert entgegen? Die Schwarze Witwe und der Fallsüchtige, kommunizierend…

Magnetisch

  Alleingelassen in der Zelle der Erinnerung. Mae sah auf, als sie Schritte auf dem Boden spürte. Vor ihr stand so plötzlich eine Frau mit langen schwarzen Haaren, dass sie unwillkürlich an die Geistergeschichten denken musste, die man ihr als…

Zeche Unser Fritz

  Mae konnte von ihrem Platz das Treiben der Menschen beobachten. Sie sah die balzenden Pärchen am Kanalufer, dachte wehmütig an ihren Josef. Hörte das Seufzen, das Stöhnen, ein Wasserglucksen, ein Rauschen. Die Schleusentore wurden geöffnet. Ein Schipper fuhr mit…

Grausamkeit ist Teil der menschlichen Natur

  Sie bewegte sich langsam, fast schwebend. War den Weg zur Schleuse hinaufgeschlendert, vorbei an den letzten Buden, dem Feuerwehrwagen. Vereinzelte Paare und Passanten schlurften gleichgültig an ihr vorüber. Der Kanal lag glitzernd vor ihnen, erinnerte an flüssiges Blei. Die…

Erfahrungszusammenhang

  Wenn man in der Provinz aufwuchs, gehörte man als Langhaariger bereits zu den üblichen Verdächtigen. Wir liessen uns allerdings nicht von Mädchen mit indischen Kleidern Blumen ins Haar pflechten. Wir verstanden uns als Nonkonformisten. Das analoge Internet ging per…

Baller dat Magazin leer

  »Alles auf Kohle hier und deshalb wird jetzt Kohle gespart: Wer hat noch nicht, wer will noch mal? 10 Schuss 5 Mark!« Die schleimverklebte Stimme des Mannes hinter der Schießbude klang dumpf durch das Mikrophon. Ansgar ballerte auf die…

Amazone

  Er war gefangen in den Geschichten aus der Geschichte. Bezaubert durch Gerüche und Gerüchte. Giancarlo fühlte sich für einem kurzen Moment auf einer Opernbühne, schnupperte das Parfum der Frauen… Blieb stehen, ließ sich fallen. Schloss verwirrt die Augen, als…

Kimme und Korn

  Verwirrspiel. Die hyperaktiven Hipster waren uneins über die Richtung. Vordergründig. »Will was zum Kuscheln«, quengelte Shari an einer der vielen Schießbuden. Sie meinte ihn damit. War gespannt, wie er darauf reagieren würde. Reagierte logisch, statt aggressiv mit ihr zu…

Wegen Betriebsstörung geschlossen

  In der Woge von Menschenleibern fühlte sich Giancarlo geborgen. Jacqueline griff nach seiner Hand. Das Atmen fiel ihm schwer, trotz der Hitze hatte er am ganzen Körper eine Gänsehaut. Im Nacken hatte es zu kribbeln begonnen. »Oh Gott…«, stammelte…

Verspanntheit

  Giancarlo spürte, wie sich die Verspanntheit unerträglich in seinem ganzem Körper ausbreitete. Er hatte mit Jacqueline den Armen Ritter verlassen. Petra Kauss registrierte ihr Fortgehen mit gemischten Gefühlen. Die drei Kinder kamen zurück und beanspruchten mit ihren lebhaften Erzählungen…

Anbaggertypen

  Kurz vor dem Feuerwerk legte die Kirmes ihre Schminke ab. Die Fröhlichkeit in den Biergärten wurde porös und hohl. Anbaggertypen starteten voll durch, um eine Biernutte für diese Nacht mit nach Hause nehmen zu können. Der Zauber der alteingesessenen…

Rattenscharf

  »Konntest die Glotzer nicht von ihrem roten Palmers–Bustier lassen. Und dann hat sie dich einfach umgehauen!« Shari reizte Bronischewski mit einem kalten Lächeln. Er spürte seine Wut. Würde sie am liebsten übers Knie legen und ihr den Arsch versohlen.…

Spleenige Marotten

  Mae lotste den arroganten Beamten auf dem schnellsten Weg am alten Schloss Crange entlang, vorbei an den Budengassen, vorbei an den Fachwerkhäusern. Galonska, der sie begleitete, hatte sich über Tilkowskis Auftrag gewundert, das Grab des Hundes zu suchen. War…

Alles ist nur ein Traum

    Die Eingebung stellte sich selbst–verständlich bei ihr ein, nachdem Reiner Kauss zu seiner Familie gegangen war. Jacqueline war völlig irritiert, ein neues Gefühl strömte auf sie ein, sie empfand ein Mit–Leiden: „Ich muss ihn abschütteln“. Sie dachte darüber…

Klaustrophobischer Subjektivismus

  Ansgar schwieg. Er hatte sich sämtlicher Beweise entledigt. Das Andere lag in einem geheimen Depot, vergessen und vergraben am Kanal. Sie würden tagelang danach suchen müssen. Tilkowski sah Bronischewski an. Glaubte, dass sich sein Gesicht eine Spur ins Rot…

Kompromisslosigkeit eines Jägers

  Jacqueline streichelte unauffällig mit den Fingerkuppen an der Außenseite seiner Oberschenkel entlang. Kratzte mit den Fingernägeln über den Stoff. Abermals schaute Giancarlo erstaunt auf. „Sie hat gelächelt. Das Neonlicht blendet mich für einen Augenblick. Darf die Lider nicht mehr…

Reality–Check

  Ansgar und Shari waren schlagartig nüchtern. Nicht der Kaffee aus der Sonderwache brachte sie von ihrem Trip runter. Ihr neues Selbst entstand durch permanenten Reality–Check. Immerfort meldeten die Sinnesorgane, in welchem Zustand sich ihre Körper und dessen Umgebung befanden.…

MS Franziska

  Ein Virus oder ein Festplattenriss im Hirn? Im Sprinttempo lief Gedachtes in Giancarlos Kopf Amok: „Sie taxiert mich. Checkt mich ab. Zoll um Zoll. Sieht mich an. Ganz genau. Meine Augen. Nase. Mund. Brust. Hände. Beine. Meine Schuhe. Muss…

Verblasste Tattoos

  »Brauchen Sie Hilfe?« Bronischewski sah in die verwässerten Augen eines Mannes, der die Sechzig überschritten hatte. Verblasste Tattoos erzählten Geschichten von fernen Ländern. Ein alter Seebär, der schon in gefährlicheren Gewässern gestrandet war. Kurz bevor die Glut der filterlosen…

Postpunk

  »Fuck it anyway, wie oft soll ich noch sagen: Ich weiß nicht, wo diese Votze steckt!«, schrie der Typ mit dem Aufdruck: „Ich trinke, rauche Shit, lese Pornos und bin ständig geil“ auf dem Shirt. Hauptsache controversial. Er wand…

Verdampfermaschinen und Karbidlampen

  Jeder nannte sie Mae, kaum jemand hatte die Folie für diesen Spitznamen je auf der Leinwand gesehen, niemand hatte den bösten Satz des ersten platinblonden Sexsymbols der amerikanischen Traumfabrik aus den 1930–er Jahren im Original gehört: „Is it a…

Schifferschaukel

  Galonska hielt sich konsequent im Schatten von Bronischewski. Der blieb stehen und sah sich die Schifferschaukel an, das einzige Fahrgeschäft, bei denen der Fahrgast die Bewegung selbst erzeugt. Sah sich mit einer Jugendliebe auf der Schaukel stehen. Erinnerte sich…

Vorspiel zur Selbstauslöschung

  Karnickelfangschlag. Jacqueline konnte seine Angst riechen, bevor sich der Schweiß zeigte. Seine Furcht wuchs ins Unerträgliche. Sie musste lediglich abwarten und ihn behutsam zur Grenze des Wahnsinns geleiten. Er würde ihr als reife Frucht in den Schoss fallen. Würde…

Tanzende Derwische

  Kawumm. Am Autoscooter krachten die Wagen rhythmisch aufeinander. Die hämmernde Musik wurde bis zum Anschlag aufgezogen. Ein strunziger Dee Jay hatte sich erdreistet, Maschine Gun zu covern. Lauter Einzelteile und kein Ganzes mehr. Das Licht flackerte im Takt. 177…

Armer Ritter

  Verschnaufpause. In Zeitlupe ließen sich Giancarlo und Jacqueline auf die blauen Plastikstühle im Biergarten Zum armen Ritter niedersinken. Sie sah auf den Kanal. Das Wasser spiegelte die Lichter der Kirmes wieder. Verzerrt und doch zauberhaft. Er fragte sich, ob…

Wir bleiben in Verbindung

  In der Polizeisonderwache Crange tigerte Martin Tilkowski unruhig auf und ab. Spürte die stetig ansteigende Fieberkurve. Wie sagt der Volksmund in dieser Region so treffend: „Die Kacke is‘ am dampfen.“ Und, so meinte der Alte eine Ankünftigung vorauszuahnen, es…

Klassische Boxer–Geschichten haben kein Happy–End

  Giancarlo dachte angestrengt über sie nach. „Ganz grün ist sie im Gesicht. Hat die Augen geschlossen. Ihr Gesicht ist zart und verschmälert sich von den feinen Jochbeinen zum Kinn. Der Mund sensibel geformt, die Lippen liegen locker übereinander…“ Ihm…

Flying Circus

  Hier war sein Revier. Bronischewski kannte die Cranger Kirmes, erkannte seine Pappenheimer. Ihm war aufgefallen, dass Galonska ihm schon eine Weile in gebührendem Abstand folgte. „Verdammte Spürnase…“, klagte er sein trostloses Daseinsverständnis an, „der Sinn meines Lebens besteht für…

Kariesverursachende Plaquesäuren

Jacqueline setzte vorsichtig einen Fuß nach dem anderen auf die Stufen. Checkte die Lage. Der Toilettenwagen war leer. Sie drehte den Wasserhahn an, ließ ihn so lange laufen, bis das Wasser einigermaßen kalt war. Spülte den Mund aus. Wischte sich…

Wurzelbürste

  »Bei den normalen bulimiekranken Weibern kanns’te echt nicht unterscheiden, ob sie 12 oder 24 Jahre alt sind«, spuckte es höhnisch von der Seite. Bronischewskis Kopf ruckte nach rechts. Seine Dienstmütze verschob sich dabei ein wenig, und zu der schnarrenden…

Plombenzieher und Kalorienbomber

  Ein halbes Dutzend Kinder lief zwischen den Bänken hin und her. Sie waren müde, hundemüde und konnten doch nicht einschlafen, weil sie Angst hatten, etwas zu verpassen. Diese Furcht spornte sie an, und so vertrieben sie sich die Zeit…

Klemmenkaschiert, lässig und abgeklärt

  »Ludwig, wir sind nicht beim BND«, gab Martin Tilkowski zu bedenken. »Du hast sie entwischen lassen…«, er hielt für einen Moment inne, »sie hat dich niedergeschlagen. Eine völlig Abgedrehte, wie du sagst…« Er ließ sich noch einmal die Worte…

Café Profittlich

»Ehj, wollen wir gleich noch an den Kanal und dann ins Café Profittlich?«, erkundigte sich Ansgar bei Shari, als sie aus dem Scooter stiegen, griff ihre Hand und wollte sie fortreißen in einen Strudel, in die Nacht der Nächte. »Dann…

Bayernzelt

  Unwillkürlich straffte sich Giancarlos Rücken. Er zögerte für einen Moment, als er hinter Jacqueline trat. Konnte sie sich sofort in dem großen Ehebett vorstellen. Aufgrund seiner strengen katholischen Erziehung hatte Giancarlo es bisher als Sünde betrachtet, sich dort überhaupt…

Abschreibungskosten

  Mit langsamen, gleichsam tastenden Schritten verließ Ludwig Bronischewski den Cranger Friedhof. War verunsichert und hatte das Funkgerät an seinem Handgelenk ganz vergessen. »Ludwig, melde dich…«, quäkte es aus dem Funkgerät. Das war sein Chef Martin Tilkowski, »… alles bei…

Das amorphile Mädchen

  »Wo ist sie abgeblieben?« Shari suchte mit fiebernden Augen die Menge ab. Sie hatten Jacqueline auf dem Kirmesparcours verloren  »Soll deine Freundin werden, oder was?«, reagierte er eifersüchtig. Sah Shari wie durch ein Vergrösserungsglas. Erkannte sie nicht wieder. »Brauchste…

Funkgerät

  Beschämt erwachte Ludwig Bronischewski auf dem Cranger Friedhof. Leckte mit der Zunge seine Zähne ab. Schmeckte Blut. Tastete mit dem Zeigefinger an seinen Kiefer. Der Polizist richtete sich langsam auf. Grell tanzten Laserstrahlen am Himmel. Sein Kopf dröhnte, als…

Die letzte Nacht der Cranger Kirmes brach an

  Jacqueline fühlte sich beobachtet. Spürte die Blicke fast körperlich. „Der Polyp? Oder der dämliche Ansgar und seine aufgegeilte Shari? Hat jemand den toten Hund als sein Eigentum erkannt und Strafanzeige gestellt?“ Sie seufzte. Hätte den Betrunkenen besser versenken sollen.…

Wasserstandsmeldung

Rückblick in eine Zeit, in der nicht täglich die Befindlichkeit abgefragt werden musste.   Als sich A.J. Weigoni dem Schreiben widmete, ahnte er nicht, welche Zähigkeit er würde aufbringen müssen, um den Glauben an sich und diesen Roman nicht zu…

Liliputrad

  Am letzten Sonntagabend war die Kirmes belebter als die Tage zuvor. Trotzdem fielen Giancarlo drei Personen auf, die hastig den Cranger Friedhof verließen, in verschiedene Richtungen liefen, ohne Mühe ein Teil der Masse wurden und in der Menschenmenge untertauchten.…

Meldung machen

  Jacqueline wurde das grelle Licht einer Taschenlampe direkt unter die Nase gehalten, während Shari und Ansgar versuchten, auf der Erde in schweißtreibenden Gefilden zu wühlen. »Was machen Sie hier?«, erkundigte sich der Polyp scharf. Leuchtete mit seiner Taschenlampe auf…

Die Wasseroberfläche schillerte in der Dämmerung

  Giancarlo versuchte sich Richtung Cranger Tor vorzuarbeiten. Wie Billardkugeln berührten sich die Menschen und stießen schnell von einander ab. Kein Entkommen. In den Hinterhöfen hatten es sich die Anwohner vor dem Grill bei einem Fass Bier gemütlich gemacht. Holztische,…

Über den Gräbern

  Konkurrenz belebt das Geschäft. Die Losbudenbesitzer schrien heiser in ihre Mikrophone. Nur der Gurkenverkäufer saß friedlich da, vor sich das whiskyfarbene Kukumber–Fass. Es roch nach Dill und Essig und Hefeknödeln. Ein Zahn fehlte in seinem Mund. Er gab das…

Carnevale in Venezia

  Schweißgebadet wachte der völlig überarbeitete Giancarlo an seinem Schreibtisch aus einem wirren Traum auf. „Carnevale in Venezia. Lorettas Lachen. Ob sie da schon einen Liebhaber gehabt hatte?“ Sinnlose Fragen frickelten sich um die Sekunde, als sie einander für immer…

Unschuldiger Killerblick

  Froschperspektive. Das Flimmern vor den Augäpfeln war verschwunden. Pochende Schmerzen unter der Schädeldecke blieben ihr als schwacher Nachhall erhalten. Sollte sie noch einmal in den Ring? »Er zieht die Deckung hoch und lässt ihn kommen«, kommentierte das Gothic–Girl. »Der…

Kirmesboxer

  Der Gong ertönte. Jacqueline und ihr Gegner begrüßten sich in der Mitte durch ein Abtasten mit den Handschuhen. Sie sah ein freundliches Zwinkern in seinen Augen. Antwortete mit einer Rechts–Links–Kombination. Er wusste, dass er sich nicht zurückzunehmen brauchte, und…

Farbflash

  Jacqueline schlenderte ihren Lieblingsweg den Kanal entlang. Unterhalb des Eierbergs. Früher hatten sich dort die Kirmesarbeiter mit den einheimischen Schönheiten getroffen. Hatten ihnen mit Geschichten aus der fremden Ferne imponiert. Geraubte Küsse und andere Genüsse. Der Eierberg war, wenn…

Getz‘ geht’s looooos

  Die Menschen in Wanne–Nord erwachten am letzten Tag der Kirmes schneller. Während die Dämmerung über dem Rummelplatz lag, waren die ersten schon wieder unterwegs. Schlurften zur Maloche, blass im Gesicht, dunkeläugig, mit Schlaf in den Augen. Grau und geduckt…

Eichhörnchen

  »Boah ehj, bin ich im Arsch!«, jaulte Maikel, streckte vor der Tür die Arme aus und japste nach unverbrauchtem Sauerstoff. Die Luft war warm. Er wunderte sich, dass noch Nacht war. »Wills’te etwa schlappmachen?«, erkundigte sich Jacqueline scheinheilig und…

Geli

  Die Tür öffnete sich. Neben dem Zigarettenautomaten quetschten sich Werner, Martin und eine Frau herein, die Geli nicht einordnen konnte. »Ah!«, posaunte der Grope, »… Mylady!« Rosi zwinkerte Geli zu. Weiteres erübrigte sich unter Freundinnen. Die Barfrau drehte die…

Querschlag

  Absacker ist obsolet. Der Querschlag hätte eigentlich treffender Einschlag heißen müssen, zahllose Abstürze haben in dieser Nachtbar stattgefunden. Kaum jemand in Wanne–Nord, der hier nicht vom Hocker gekippt oder auf dem Tresen eingeschlafen war. Im Querschlag konnte man sich…

Schublade

  Giancarlo blickte abermals aus dem Fenster. Sah die Frau, die ihm am Vortag auf dem Pferdemarkt aufgefallen war. Bemerkte, dass sie ohne Begleitung zur Feldküche ging. „Auch jemand, der einsam ist“, dachte er mitfühlend. Wollte sich seiner Arbeit zuwenden.…

Der Mond von Wanne–Eickel

  Vor allem die Kinder kamen auf ihre Kosten. Der Regen von Bonbons, Luftballons, Kaugummis, Bällen und anderen Kleinigkeiten war enorm. Die Älteren hatten Regenschirme verkehrt herum aufgespannt, um möglichst viel in Plastiktüten einsacken zu können. Jacqueline half einem weißhaarigen…

Heimathafen

  Jacqueline hatte sich einen guten Platz in der Menge gesucht. Sie stand angelehnt an einem Stehtisch vor einem Ladenlokal, wie es nur im Ruhrpott möglich ist, eine Kombination aus Videothek und Kneipe. Vorne die bunten Plakate und Pappfiguren mit…

Verlorene Arbeitszeit

  Giancarlo blickte versonnen aus dem Fenster seines Büros auf den vorbeirauschenden Umzug. Da er am Tag zuvor nicht gearbeitet hatte, war auch seine Sekretärin gezwungen, im Büro die verlorene Arbeitszeit aufzuholen. »Herr di Benedetto?«, sprach sie ihn mit leiser…

Festumzug

  Dunstschleier über Crange. Rechtzeitig zum Beginn des Umzuges hörte der Sommerregen auf. Zwar hatte der Niederschlag keine nennenswerte Abkühlung der subtropischen Temperatur gebracht, aber den Staub, der sich mehlartig über Wanne–Nord gelegt hatte, in die Kanalisation gespült. Nachdem das…

Zeremonie der amoralischen Unschuld

  Sie klappte die Lider hoch und war wach. Setzte die nackten Füße lautlos auf den Boden. Schlich in die Kühe. Zog die Schublade auf. Griff zur Waffe um die Wut zu entladen. Ging mit der Walther PPK im Anschlag…

Flackerblick

  »Boaaah, voll der Flash!« Ansgar stakste aus dem Wagen. Streckte sich. „Bild‘ ich mir dat ein, oder hab‘ ich Probleme mit der Wirbelsäule?“ Beim Thriller gab es immer Probleme. Es würde sich niemand wundern, wenn die Achterbahn eine Bruchlandung…