Politische Gedanken

  Wir leben in einer extrem oberflächlich gewordenen Gesellschaft, in der viele nur darauf bedacht sind, die richtigen Moden für sich zu finden: Im Konsumieren von ‚Musik’, in der Kleidung, in der Darstellung der eigenen Rolle ohne nennenswerte Persönlichkeit, in…

Lyrik DuMont

  Neben mir liegt ein Stapel Bücher – gelesen und gesammelt seit 1998 – mit außergewöhnlicher Ausstrahlung. Es sind Bücher, die bereits durch ihre ausgesuchte Aufmachung – mit weißem, blauem, rotem, gelbem und grünem Leineneinband, Lesebändchen, im Schuber – erstklassige…

Fingerspitzengefühl

  Wenn die Kälte draußen so weit unter Null gefallen ist, dass in schlecht isolierten Dachgeschosswohnungen sogar die Wasserleitungen zufrieren, dann kann von Winter gesprochen werden. Vorher nicht. Dies hatte Herr Nipp für sich und die gesamte Menschheit beschlossen und…

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Frühjahr du Würger wütest unter uns dass wir glücklich sein sollen alle fortgehn im Schönen wenn so hell der Tag weiter Weg im Abendregen hängen *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie…

Bangen, vereitelt

  So hat es angefangen: Die filigrane Gewalt gescheitelt, verschämt, bevor sie verrohte.   Später cyclames Verlangen Ich hab mich beeilt, als man mir drohte.   Nichts ist mit mir (durchgegangen). Ich hab mich geteilt (in Halt! und Bald. und…

4. Welttag der Poesie

  Am 21. März wird jedes Jahr der Welttag der Poesie gefeiert. Er soll an „die Vielfalt des Kulturguts Sprache und an die Bedeutung mündlicher Traditionen erinnern“. Die KUNO-Redaktion empfiehlt an diesem Tag daher Preziosen aus dem Bereich Hörbuch. Das…

Der Sommer

  Wenn dann vorbei des Frühlings Blüte schwindet, So ist der Sommer da, der um das Jahr sich windet. Und wie der Bach das Tal hinuntergleitet, So ist der Berge Pracht darum verbreitet. Daß sich das Feld mit Pracht am…

Sakrileg?

Ein paar Gedanken zu Dan Brown, Sakrileg Ein amüsantes, ein sympathisches Buch! Es trägt mit ernster Miene satirische Züge, hat viel Witz und scherzt – etwa wenn Jean Cocteau als Großmeister der Prieuré de Sion bezeichnet wird oder wenn auf…

The Breuer, Essayist

  Michael Gratz, ein Gönner der Verschreibkunst, kündigte den Lyriker Theo Breuer in der Lyrikzeitung in seiner Funktion als Essayist als THE Breuer an. Wir sind froh, daß dieser Kenner der deutschsprachigen Literatur bei kulturnotizen den ein oder anderen Essay…

Hans Heinrich von Twardowsky

(Seinem treuen Freund Moritz Seeler) Hans Heinrich, der liebenswürdige Parodiendichter und Schauspieler, trug vor einigen Tagen zum wiederholten Male dem entzückten Publikum seine Verse vor; nun schenkt er sie in einem Buch aufbewahrt allen denen, die Freude an seinen Gedichten…

Gerüst

  Die blonde Mutter hat schön gerollte Haare in weiblich anmutender Länge. Sie trägt schöne weiche Sachen, helle, pastellfarbene, fließende. Der Vater kaufte der Mutter immer teure Sachen. Kleider machen Leute, sagten die Eltern immer. Kleider sind ein Gerüst für…

Karl Marx

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern. 11. These Marx’ über Feuerbach. Vor zwanzig Jahren hat Marx seinen gewaltigen Kopf zur Ruhe gelegt, und trotzdem wir erst vor wenigen Jahren erlebt…

Die Futuristen

  Was dem Hundezüchter die schwarzen Lefzen und andere Merkmale der reinen Rasse seiner Hunde sind, das ist für den modernen Bilderkenner der Begriff der »peinture«. Wer sich nicht näher auskennt, sieht in das Züchterbuch. Die »peinture« ist bei Bildern,…

Etwas von dieser Welt

  kinder im keller kinder im gefängnis kinder in schubhaft kinder auf den straßen kinder in fabriken kinder an webstühlen kinder am bau kinder in krankenhäusern kinder in waisenhäusern kinder in zeltlagern kinder in der wüste kinder im urwald kinder…

Space-Operette

There is no dark side in the moon, really; as a matter of fact it’s all dark. Gerry Driscoll Heute vor 30 Jahren (in Worten: dreißig!) erschien Pink Floyds The Dark Side of the Moon. Da ich nicht zu den…

Auch du bist Chandos

  Rainer Maria Gassen zugedacht alpha   Dein Klaglied klingt so wahr, es deutet scharf die Krise, die du Liebender im Traum erlittst, der dich so furchtbar stammeln lässt und sprachlos macht wie nie zuvor;   ein Traum als Elegie…

Das Versuchswildsein

  Erst die Milch, dann das mütterliche Haar. Dann das Brot, später das Brotbild, davon noch einmal das vereiste Bild von Brot.   1. geprüft, dann angesperrt, später ins feingeflochten Verkochte, ans Brot, wie sich Brot noch binden läßt, gehetzt.…

Sebald • Revisited

Eine der in der Salle des pas perdus wartenden Personen war Austerlitz, ein damals, im siebenundsechziger Jahr, beinahe jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewelltem Haar, wie ich es sonst nur gesehen habe an dem deutschen Helden Siegfried in Langs…

Baden

  Jäh wachte er auf, frierend wie meist dann. Er hatte sich gegen acht, nein es musste halb neun gewesen sein, denn die Kinder waren unter deren Protest erst nach den Nachrichten zu Bett gebracht worden, wohl wissend, dass sie…

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Streut sich aus dieses Rauschen auf Hoffnung Mond errötet vor lauter Mohn Abend ist´s *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen…

Das Psychologietheater

  Es ist evident, daß alle Psychologie ein Sicheinfühlen in die fremde Existenz, ins Objekt, in den Gegenstand voraussetzt. Um etwas »Psychologisches«, etwas über die Seele einer Sache, eines Menschen, eines Unternehmens aussagen zu können, bedarf es einer Fähigkeit des…

Mein Bruder Fridolin

Fridolin Wiplinger besuchte wenige Monate vor seinem Tod Heidegger und begann das Gespräch mit den Worten: »Was mich seit einiger Zeit umtreibt, ist der Anfang Ihres ›Briefes über den Humanismus‹ aus dem Jahre 1946.« Nach Heideggers Verweis auf »die Theoria…

Kommunismus, Philosophie und Klerisei

Hätte ich zur Zeit des Kaisers Nero in Rom privatisiert und etwa für die Oberpostamtszeitung von Böotien oder für die unoffizielle Staatszeitung von Abdera die Korrespondenz besorgt, so würden meine Kollegen nicht selten darüber gescherzt haben, daß ich z.B. von…

Zwischen Konsonanz und Dissonanz

  Eine schmerzlose Wiedergeburt, die mehrere Augenblicke der Größe aufweist. Melody Maker Dem Begriff ´Prog-Rock` konnte ich nie etwas abgewinnen, obzwar man das Album In the Court of the Crimson King wahrscheinlich dazurechnet. Was mich an den Klängen interessiert, die…

Die Eisenbahn

  Oben auf dem Oller, wie die Wuppertaler die Bodenkammern zu nennen pflegen, befand sich das Laboratorium meines jüngsten Bruders, »das Giftzimmer«, darin Flaschen mit verschiedenartigen Salzen und Säuren und allerlei Chemikalien seltsamsten Farbeninhalts standen. Namentlich die grünspangelben Schwefelwürfel wirkten…

Über den kritischen Lakonismus

Rezensenten sind literarische Polizeibeamte. Novalis Es gereicht Rezensenten, sie mögen nun Bücher, Menschen oder Verhältnisse beurteilen, zum größten Ruhme, wenn sie wie die Spartaner leben, nur Kupfergeld besitzen und schwarze Suppen essen; denn wer Vertrauen braucht, erhält es nur, wenn…

Hamburg

  Wie ein großer, eben gefangener, noch zuckender Fisch liegt Hamburg an der Nordsee. Ewige Nebel lagern auf den zugespitzten schuppigen Dächern seiner Häuser. Kein Tag hält seinem blassen, windigen, launischen Morgen die Treue. Mit Flut und Ebbe wechseln dumpf…

Schriftstellerbegegnungen

  Der jüngste Dichter, dem ich in meinem Leben begegnet bin, war Gert Jonke; damals gerade 16 Jahre alt. Das war im „Café Ingeborg“ in Klagenfurt in den frühen Sechzigerjahren. Jonke war ein schmächtiges Bürschchen, sehr schweigsam, sehr freundlich, sanftmütig.…

Aus Herrn Antrobus‘ Tagebuch

  Wir sind einen Kalendertag weitergekommen. Es gab keine Gasexplosion. Genügend Unglück stand in der Zeitung. Wir blieben verschont.   Unsere internen Katastrophen verursachen kein Geräusch. Wir werden nicht auffällig. Wie es aussieht, wird hier kurzfristig keiner zur Axt greifen.…

Was am »Grundriß« fehlt

Das Elementarische und Intime sagt von sich nicht selber aus. Mithin bleibt das Wesentliche als solches ungesagt. Verschweigt sich aber so sein Positives, dann kann es noch zum Bekenntnis werden vom Negativen her: an seinen Fehlern und Mängeln kann es…

Was uns verbindet ist das Papier

Die expressive Farbigkeit von Haimo Hieronymus, die man als vital bis aggressiv empfinden kann, korrespondiert mit dem Stachel der Analyse in Weigonis Texten wie umgekehrt die relativierende Denkhaltung derselben mit den ambivalenten Bedeutungen der Farben Schwarz, Rot und Weiß, die…

Garten

Das Vorbild aller Gärten ist der Zaubergarten, das Vorbild aller Zaubergärten ist das Paradies. Die Gärtnerei, wie jeder der einfachen Berufe, hat kultischen Hintergrund. Ernst Jünger   Ganz zufrieden nach Hause gefahren war er abends. Mit Blick über die vom…

Das biografische Gesicht unter Verschluss

Rue Vieille du Temple, Paris. Kleine Läden, schmutzige Schaufensterscheiben. Dahinter verhöhnen seltsame Präsentationen den Abstand des Flaneurs zu den Gelassen stiller Rituale. Sie ziehen dich in Intimität, in vertrauliche Zusammenhänge hinein, die man riechen kann. Alles Hingestellte, Ausgestellte, wirkt vorläufig,…

Von einem kleinen Wiener Buch

  Anatol ist ein Einakter-Zyklus von Arthur Schnitzler. Als Buchausgabe erschien er im Herbst 1892, vordatiert auf das Jahr 1893. Das einleitende Gedicht stammt von Loris, einem Pseudonym des jungen Hugo von Hofmannsthal, der mit Schnitzler befreundet war. Die Stücke…

Notenbegründung

  Jeweils einen Pott Kaffe in der Hand, den brauchen sie jetzt ganz dringend, denn rauchen darf man in öffentlichen Gebäuden nicht mehr, stehen drei Lehrer in ihrem angestammten Reservat innerhalb des Lebensraums Schule. Für sie geschaffen, nach ihnen benannt…

Mein Traumberuf

  Nein, Astronaut wollte ich nie werden. Was aber sicher nicht so sehr an meiner ausgeprägten Höhenangst liegt. Die hätte sich ja vielleicht ab 380.000 Kilometer über der Erde etwas gelegt. Doch darüber will ich jetzt nicht groß spekulieren, der…

Der Fallensteller

  Ein gerettetes Stück unbestimmter Sprache Nur für geschlossne Augen ist der Raum geschaffen, und für Singvögel. Wieviele heute Fallen stellen, bleibt dunkel. Der Hof war von der Außenwelt abgeschlossen, nein, wie abgeschlossen. Er war ja durch wenige Fenster einsehbar,…