Von Sekretärinnen und Taxifahrern

  An einem von Starkregen bedrohten Nachmittag treffe ich im Parque Centroamérica im Herzen Quetzaltenangos, das bis zu 2400 Meter hoch auf den Sedimenten eines ehemaligen Bergsees liegt und nach seinem alten Mayanamen Xelajú meist Xela (sprich: Schela) genannt wird,…

Fick dich ins Knie, Melancholie

Ein Abend mit Gisbert zu Knyphausen und Band Man geht hin mit den schlimmsten Befürchtungen und sie werden noch übertroffen. Man erwartet eigentlich zu viel und wird doch nicht enttäuscht. Im Gegenteil. Ein kalter Abend in Hamburg Ende Januar. Man…

Leben in Möglichkeitsfloskeln XIII

Das Glück oder Unglück ist nur eine Frage völlig beliebiger Umstände, die wir dann schicksalhaft nennen. Aber das ist je eh klar: Das Zufällige IST unser Schicksal. Weiterfühend → Lesen Sie auch den Nachruf über Peter Meilchens Lebenswerk und den Essay 50 Jahre…

Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem

  Nächtlicher Schauplatz des Hexen-Sabbaths: Eine breite Bergkoppe; zu beiden Seiten Bäume, an deren Zweigen seltsame Lampen hängen, welche die Scene erleuchten; in der Mitte ein steinernes Postament, wie ein Altar, und darauf steht ein großer schwarzer Bock mit einem…

Mein erstes haus

  Ich weiß nicht, wie ich dem stadtbauamte für die reklame danken soll, die es mir mit dem verbot, an der fassade weiterzuarbeiten, gemacht hat. Ein lang behütetes geheimnis kam dadurch ans tageslicht: ich baue ein haus. Mein erstes haus!…

Die uräus-Handpresse aus Halle

Mit dem Kämpferischen im Autor, der auch Verleger und Buchdrucker ist, korrespondiert der Name seiner uräus-Handpresse. Die altägyptische Uräus-Schlange gilt als äusserst wehrhaftes Wesen. Und das Wort Uräus wird übersetzt mit: die sich Aufbäumende. Holger Benkel Weit davon entfernt als…

Du bist eine Lilie

  Du bist eine Lilie Aus Lodern und Schnee – Ein Licht, ein graziles, Aus Düften gedreht. Ich lieb den Gedanken, Daß du mich so liebst, Als gäbs keine Schranken Im Sehnsuchts-Betrieb. Timalien, Tangaren Umschwirren dich bunt – Ihre Syrinx-Fanfaren…

Peter Handke: Falsche Bewegung

Handkes Goethe-Rezeption in ihrem Kontrast zu den „Lehrjahren“ als Gegenwartserkenntnis und poetische Bewegung „Ich fürchte jedoch, dass die Menschen, wenn einmal die verwaltete Welt existiert, ihre Kräfte nicht frei entfalten werden, sondern sich soweit an rationalistische Regeln anpassen, dass sie…

Verwunschen

  Das Institut war untergebracht in einer Gründerzeit-Villa mit drei Stockwerken. Auf den ersten Blick ein romantisches Haus, auf den zweiten total verbaut: es gab eine idiotisch breite Treppe im Eingangsbereich, die die halbe Etage einnahm. Auf ihr hätte der…

Der letzte amerikanische Nonkonformist

Was Zappa an Varèse und Strawinsky inspirierte – Klangblöcke und Elektronik, komplexe Taktzahlen und metrische Verschiebungen, Geräuschfarben und seltsame harmonische Fortschreibungen –, das mutete er auch seiner Rockband und dem Publikum zu Hans-Jürgen Schaal Auch wenn sich Zappa in frühen…

Rückblick auf Stefan George

Zum 70. Todestag von Stefan George erinnert KUNO an ihn mit einer Studie über den Symbolisten, die Walter Benjamin angefertigt hat. Stefan George schweigt seit Jahren. Indessen haben wir ein neues Ohr für seine Stimme gewonnen. Wir erkennen sie als…

Alles im Arsch

„Maria Stuart“ von Friedrich Schiller   Königin Elisabeth steigt als Glamour-Star die steile Treppe zur Show hinab. Die Show ist die Staatspolitik. Irgendwie stimmt das ja auch. Die Minister benehmen sich wie die feinen Zuhälter der sogenannten freien Wirtschaft. Na…

Barackenleben

  Gleich rechts hinter dem Bahnübergang, unweit der ehemaligen Käserei, deren häßliche Verfallenheit sich als Inbild des Wendeelends seit Jahren am Rande des Dorfes, einstige DDR-Metropole für Fleischproduktion, bald kaum etwas mehr zu erzählen haben wird, unweit des hellblau gekachelten,…

Erbsengruß

  Bis gegen halb vier morgens hatte er im Bett gelegen, wach, unendlich müde, sich von einer Seite auf die andere gedreht, hatte auf dem Bauch gelegen und war letztlich nach hartem Kampf auf dem Rücken, ganz plan liegend, eingeschlafen.…

Botschaft als Wunsch

  Weiterführend →  Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung…

Am Arsch der Welt

„Das ist eine Tragödie!“, dachte ich. Hel erzählte eine der entsetzlichen Geschichten aus dem Südlimburgischen. Dort schnappte er im Sommer die Fortsetzungsmärchen aus dem Alltag im Dreiländerloch auf, Variationen der Entfremdung, die im Abseits der Welt ganz von allein aus…

Die Kunst ist das Sinnesorgan der Gesellschaft.

  Vilém Flussers zentrales Thema war der Untergang der Schriftkultur. Obwohl seine Überlegungen unentwegt um das Thema „Krise“ kreisten, weigerte er sich, ein Pessimist zu sein. Mittelpunkt seiner Welt-, Menschen- und Gesellschaftssicht war stets das Thema Kommunikation. Nur noch Historiker…

Auf Anrufe warten

  Es ist durchaus gewagt, ein mobiles Telefon mit zur Badewanne zu nehmen. Wenn man jedoch ganz dringend auf einen bestimmten Anruf oder zumindest auf eine Meldung wartet und diese partout nicht kommen will, wird einen auch das Wasser und…

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und die Geste der Liebe bückt sich ohne Opfer *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Vertiefend zur…

Betrachtungen über den Weltlauf

Es gibt Leute, die sich die Epochen, in welchen die Bildung einer Nation fortschreitet, in einer gar wunderlichen Ordnung vorstellen. Sie bilden sich ein, daß ein Volk zuerst in tierischer Roheit und Wildheit daniederläge; daß man nach Verlauf einiger Zeit,…

Zettels Traum · Revisited

Riesenbuch Als Zettels Traum 1970 erschien, war der Roman – oder was immer das für eine Art Buch sein mag – die Sensation der Literatursaison: »Riesen­buch«, »Buch der Bücher«, »Überbuch«, »Arno Schmidt, Außenseiter der Außensei­ter«. Kritik und Leserschaft überschlugen sich…

Schicksal und Menschenbild

Zum Todestag von Franz Schubert erinnert Peter Paul Wiplinger an einen Roman von Peter Ebner Kaum erschienen, ist das Buch auch schon fast wieder vergriffen. Eine neue Auflage steht bevor. Das spricht für den Erfolg dieses Romans. Das spricht für den…

Schreib/Maschine

fuer Gœnner der Verschreibkunst     hack… hack… hack\Attack tip—top—toe konvulsivisch zuckEnd FingerSpitzen brechen Nægel nicht Nieten pfLastern mit: kuehler Præzision, heissbluetiger Kælte & routinierter Beilæufigkeit   > als Archæologe des Sentiments unterwegs vorwærts in die StossRichtung strudeltief in: Scham…

Rheinische Thalia

  Nach so vielen Journalen, gelehrten und empfindsamen Zeitungen, welche Deutschland von Jahr zu Jahr überschwemmen, bin ich ungewiß, wie das Publikum diese neue Einladung aufnehmen wird. Zu oft schon geschah es, daß hinter die heiligen Worte Patriotismus und allgemeines…

ankatrin

  Ich denke, dass wir ums Interpretieren und Rationalisieren nicht herum kommen, Katrin, hier widerspreche ich dir. Wenn du sagst, der Schacht von innen muss nach außen geöffnet werden, stimme ich dir voll zu – und umgekehrt auch: Von außen…

Archiv des kalten Krieges

  Während sich dieser Tage die Frage stellt, wer das Erbe des Kalten Krieges antritt, staunen im kalifornischen Culver City in Justin Jampols Wende-Museum die Besucher über die Buntheit und Modernität der DDR, wahrscheinlich kommt nicht einmal in Deutschland irgendwo…

Die Jetzt Dinge

  Weiterführend →  Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung…

Ehrenstr.

  : rollt sich aus dem Schlaf & Steppdeck Stirnrunzeln wirrer Schopf verklebt – X-Ray schaut in den Tag hell Uhr tickt weiß nicht wo öffnets Fenster nicht warm aber sonnig bißchen Hygiene sonnig-guter Tag 1 Schluck Cola erssma raus…

Schmerzhafte Unterhaltung

  „Wenn er nachts plötzlich aus dem Schlaf hochschrickt, nicht weil er etwas gehört hat oder schlecht geträumt, sondern weil dieser stechende Schmerz seinen Tribut fordert. Dann muss er sich unter der Bettdecke zusammenkrümmen und atmet stoßweise, als sei er…

An die Verstummten

  O, der Wahnsinn der großen Stadt, da am Abend An schwarzer Mauer verkrüppelte Bäume starren, Aus silberner Maske der Geist des Bösen schaut; Licht mit magnetischer Geißel die steinerne Nacht verdrängt. O, das versunkene Läuten der Abendglocken. Hure, die…

Zwei Rätselbilder

  Unter den Ansichtskarten meiner Sammlung gab es einige wenige, deren Schriftseite mir deutlicher in der Erinnerung haftet als ihr Bild. Sie trugen die schöne, leserliche Unterschrift: Helene Pufahl. Das war der Name meiner Lehrerin. Das P, mit dem er…

TOTENSCHÄDEL

lieg ich unterm hügel auf kräutern gebettet bedeckt nur haut noch meine knochen  taumle ich in den tag hinein trag ich meinen kopf  am gürtel wieg ich ihn im nest der hände  leuchten lichter in der urne des gesichts  hinter…

Chiffrierungsprozess

  Wie es begann: A.J. Weigoni schreibt das schmierige Leben einfach ab, ohne ihm irgendeine Bedeutung zu entnehmen, und fühlt sich noch wohl dabei. Geschrieben muss werden. Der Skrupellosigkeit dieses Betätigungsdranges entspricht die der Mache. Sie ist modern frisiert und…

Eine Fratze

Unsere Krankheit ist unsere Maske. Unsere Krankheit ist grenzenlose Langeweile. Unsere Krankheit ist wie ein Extrakt aus Faulheit und ewiger Unrast. Unsere Krankheit ist Armut. Unsere Krankheit ist, an einen Ort gefesselt zu sein. Unsere Krankheit ist, nie allein sein…

Warum der Markt keine Gesetze hat

  Marktgesetz. Das klingt so beruhigend. Denn was sich rational in einem Gesetz fassen lässt, verliert mit einem Mal seinen irrationalen Schrecken: Kennt man erst mal das Gesetz, wird jede ökonomische Bedrohung zu nüchternen Werten einer abstrakten Formel verharmlost. Ein…

Schreib wie du willst – aber

finde deine Art der Selbstdisziplin. Ohne sie ist noch nie ein gutes Kunstwerk geschrieben worden. Ich meine keine Disziplin der Regeln und der gesellschaftlichen Normen. Ich meine die handwerkliche und künstlerische Arbeit, die erforderlich ist, um das Talent und die…

Das Gelöbnis treuester Gefolgschaft

Die Revolution ist da, und die Geschichte spricht. Wer das nicht sieht, ist schwachsinnig. Nie wird der Individualismus in der alten Form, nie der alte ehrliche Sozialismus wiederkehren. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde Gottfried Benn als Nachfolger Heinrich…

Ein Dach aus Laub

  In ihrem Essay „Handschrift“ betont Else Lasker-Schüler, die für ihr faszinierendes lyrisches Künstlerbuch Theben zehn Gedichte mit der Hand geschrieben sowie zehn Lithographien geschaffen hatte, die sie für 50 Vorzugsausgaben der auf 250 Exemplare beschränkten Originalausgabe zusätzlich mit der…

Wellpappe

  Schon seit einigen Jahren ist Herrn Nipp bekannt, dass man mit Wellpappe sehr vielfältige Dinge herstellen kann. So werden seit Jahrzehnten Kisten hergestellt, in denen so ziemlich alles zu transportieren ist, von riesigen Maschinen, die in Panzerpappe gut geschützt…