Die Kunst Bücher zu schreiben ist noch nicht erfunden. Sie ist aber auf dem Punkt erfunden zu werden. Fragmente dieser Art sind litterarische Sämereyen. Es mag freylich manches taube Körnchen darunter seyn: indessen, wenn nur einiges aufgeht!
Novalis
Wie kaum eine andere Galerie in Deutschland hat ‚Der Bogen‘ in Arnsberg immer Wert auf die handwerkliche Erarbeitung von Künstlerbüchern gelegt. Unbeirrt setzen diese Artisten den kulturbetrieblichen Trends die unleugbare, virtuell nicht reproduzierbare Schönheit bibliophiler Buchausgaben entgegen, verbunden mit einem entschleunigten Prozess der Entstehung des Buches und einer exklusiv begrenzten, jedoch auf Nachhaltigkeit angelegten Verbreitung. Das benjaminsche Diktum der Aura eines Kunstwerks reicht von den Materialbüchern des Jürgen Diehl, über die Schland-Box von Peter Meilchen, bis hin zu Haimo Hieronymus und A.J. Weigonis Erkundungen über die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung findet sich eine Vielfalt des Ausdrucks, die ihresgleichen sucht.
um herkömmliche kunst lesen zu können, genügt es, das alphabet zu kennen. um neue kunst lesen zu können, muß man das buch als struktur begreifen, seine elemente erkennen und deren funktion verstehen.
Ulises Carrión
aus: Anekdotisches, Künstlerbuch von Haimo Hieronymus, 1996.
Diese Tradition setzt mit einer Katalogreihe fort. Die quadratische Form der Kataloge hat sich als praktische Größe für die Abbildungen erwiesen. Dem Alphabetikon Katalog von Haimo Hieronymus folgte die mit dem lime_lab ausgezeichnete Wortspielhalle von Sophie Reyer und A.J. Weigoni, das von Karl Hosse angeregte Gezeitengespräch und die von Stephanie Neuhaus initiierte Super Speed Art Exhibiton Tour.
Ein Buch ohne Druckfehler ist unanständig.
V. O. Stomps
Frühlingel-Cover: Peter Meilchen
In einer Situation, wo Preisrekorde auf Auktionen regelmäßig mit künstlerischer Bedeutung verwechselt werden, bietet sich die Arbeit an Künstlerbüchern als Korrektiv an. Nach den Künstlerbüchern Unbehaust und Faszikel beschließen der bildende Künstler Haimo Hieronymus und der Lyriker A.J. Weigoni mit dem Künstlerbuch Idole ihre Trilogie. Ihr bisher gezeigter Aus–Drucks–Wille erinnert im Zeitalter der totalen Kommunikation vor allem daran, daß künstlerischen Äußerungen eine handwerkliche Befähigung zugrunde liegt. Diese Prägespuren sind sicht– und fühlbar. Die Malerei sei „stumme Poesie“, die Poesie hingegen „beredte Malerei“, hieß es in der Antike, als man über den Wettbewerb der als verwandt betrachteten Künste nachdachte.
O ihr lieben Bücher, ihr allein seid freigiebig und freimütig, ihr gebt jedem Bittenden und laßt jeden, der euch treu gedient hat, in die Freiheit ziehen.
schreibt im 14. Jahrhundert Richard de Bury in seinem in lateinischer Sprache verfassten „Lob der Bücher“, dem »Philobiblon«. Rar und kostbar, wie die noch von Hand geschriebenen Bücher zu dieser Zeit waren, verteidigt sie Bury gegen Übersetzer, die ihr Handwerk nicht ausreichend beherrschen:
Wie gut wären die Bücher dran, wäre nicht das verhängnisvolle Wagnis des Turmbaus zu Babel gewesen und hätte sich nur eine einzige Sprache über das ganze Menschengeschlecht verbreitet.
Und auch über die Maler gibt es zu klagen, die nicht des Lesens mächtig seien – und doch Bücher illustrierten. In der Hand des Künstlers Haimo Hieronymus wird das Buch zu einem Reflexionsinstrument, mit dem sich die Grenzen der Akkumulation des Wissens ergründen lassen (siehe auch der Hinweis auf seine Bücher der 1990er Jahre). Sei es die Assoziation von Wärme, der Geruch oder die Schönheit des Papiers schlechthin: Mitunter holt Hieronymus seine Botschaften sogar mit der Kettensäge aus dem Material. Sei es die Zersprengung und semantische Neudeklination der Sprache in den Gedichten von Weigoni. Doch immer sind sowohl Hieronymus Kerben, als auch Weigonis Wortgefüge gleichzeitig auch Spuren in dem oder gegen das Alltagserleben. Seit fünf Jahren entwickeln und gestalten die Artisten gemeinsam Künstlerbücher und übersetzen Wort–Botschaften in eine sinnenhafte Bildsprache, die vor allem die kulturellen Funktionen des Buches bezeugen, seine Funktionalität hingegen befragen.
aus: Herbstbuch, von Haimo Hieronymus, 1991
Bei den Preisen fragt man sich, ob der Titel des Buches nicht ein Orakel für die Macher darstellt… Wenn diese Qualität künstlerischen Anspruch aufweist, berichten wir gern darüber, und schöne, aufwendig hergestellte Bücher, die den Inhalt gestalterisch auf hohem Niveau umsetzt wer liebt es nicht, dieses Rauschefest der Sinne? (www.zugetextet.com)
Im Kabinett der menschlichen Leidenschaften ist alles möglich, aber nur die Kunst schafft jene Distanz, aus welcher wir uns plötzlich wiedererkennen. Hier, im Medium von literarischer oder bildnerischer Darstellung, tritt uns der homo sapiens geläutert entgegen. Und das ganze Repertoire – vom Heroischen über das Leidende und das Gewöhnliche bis zum Erbärmlichen und Grotesken – besitzt nun die Fassung, die dem Studium zugänglich ist. Selbst Realisten wie Balzac und Zola waren Meister der Verwandlung. Was sie gesehen und aus der Banalität des Alltäglichen herausgegriffen hatten, erschien alsbald im Spiegel eines Texts, der seine Geschichten zu Exempla erhob – zu Lehrstücken, deren Moral auch Einspruch duldete, deren ästhetische Gebärde jedoch über die Zeiten hinausweisen wollte. Hieronymus und Weigoni erkunden die Möglichkeiten der Linie zwischen Schrift und Zeichnung, der Schnittstelle zwischen Kunst und Sprache. In mehreren Ausstellungen haben sie die Verwendung von malerischen und sprachlichen Zeichen als Elementen der Bildkomposition oder die Vereinnahmung der Sprachzeichen durch die Malerei vorgeführt. Ein Bild beschreiben heißt für diese Artisten auch, es mit Schrift übermalen. Die Beschreibung übersetzt es in ein anderes Medium. Ein Bild stellt das andere in Frage. Eine Schicht löscht jeweils die vorige aus oder ab, und die Optiken / Perspektiven wechseln. Die Grenzen zwischen Plastik, Malerei und Wort sind fließend. Manchmal geht Schrift dynamisch in Grafik über. Das Gedicht selbst gerinnt zur Collage, zu einer Mischung aus Beschreibung, Grafik und Episode. Der Text fließt, hält an, rollt und wird in schier endlosen Bilderketten mit Genitivkonstruktionen aneinander gereiht. Haimo Hieronymus glaubt, daß großer Kunst eine tiefe Ordnung zugrunde liegt, daß sie das Faktische übersetzt und neu strukturiert, sie wieder auf gewalttätige oder untergründige Art und Weise auf an das Nervensystem loslässt. Jedes Bild ist ein ironisches Such- und Rätselbild, jedes handelt von der Auflösung und Zerlegung des Bildes, jedes dekonstruiert sein Motiv und feiert, verschmitzt grinsend, doch nur eines: den Triumph der Malerei. Bei Hieronymus durchlebt die Malerei ihre Auferstehung aus dem Geist der Reproduzierbarkeit. In der Verbindung aus Zeichnung und Malerei findet er das Potenzial, akkumuliert sich die benötigte Kraft, das Plus an empfundener Intensität aufzunehmen und in Bildsprache umzuwandeln, das sein leidenschaftliches Verhältnis zur Vorlage und seiner Umwelt bestimmt.