Rezensionsessays – von Holger Benkel

Ich will die Dinge durch / meinen Geist beleuchten / und den Widerschein auf den fremden Geist fallen lassen.

Charles Baudelaire

Der Essay erscheint bei Holger Benkel als Denkform, die sich im literarischen Werk einen Gegenstand zu schaffen sucht, der sie möglicherweise vor dem schwarzen Abgrund der philosophischen Begriffsarbeit retten kann. In der Tradition von Michel Montaigne versteht Benkel seine Rezensionsessays als Versuch; er gibt diesen den Sinn des Experiments, der experimentellen Versuchsanordnung, zugleich jedoch die existenzielle Bedeutung des Lebensprinzips, und vertieft beides so ins Abgründige, daß aus dem Versuch sowohl die Versuchung wie der Versucher und das Versucherische sprechen. Welche labyrinthischen Gedankengänge bei diesem Auswahl- und Transformationsprozess durchlaufen werden, wie schnell ein brauchbarer Gedanke zu Abfall und Nebensächliches fruchttragend werden kann, reflektiert Benkel in seinen Essays. Was in seinen Rezensionsessays macht, wird dem Begriff Essay insofern wortwörtlich gerecht, als er immer wieder neu ansetzt. Jedes Schreiben kann immer nur ein Versuch sein, die Welt mit Worten zu erfassen. So folgt denn Versuch auf Versuch; in jedem Beitrag für KUNO wechselt der Autor die Perspektive, umkreist das jeweilige mit Worten und Fakten einen neuen Ausschnitt der Welt, eine neue Schnittmenge der gewählten Themenkreise und Künstlerporträts. Mit Erkenntnisgewinn läßt sich lesen, wie sich die Fäden fortspinnen, die Frage nach der künstlerischen Identität läuft als roter Faden durch.

Die Gattung des Essays hält das freie Denken aufrecht, ohne, daß der literarische Anspruch verlorengeht.

Rezensionsessays über Schriftsteller und Literatur, über Bildende Künstler und Kunst: Wie spannend das sein kann, führt uns Benkel exemplarisch vor. Er setzt sich sowohl mit Personen als auch Texten auseinander und bedient sich dabei verschiedener literarischer Formen. Dieser Autor betreibt keine Heldenverklärung, sondern ein durchaus kritisches Hinterfragen in einer Sprache, die so klar ist, so schonungslos und so genau, dass es fast schmerzhaft wirkt. Genauigkeit ist seine oberste Maxime. Das enge Ineinander von Kunst und Wissenschaft, von dichterischem Denken und Tatsachenneugier kennzeichnet die Gattung des Essays. Tastend formt sich und entwickelt sich darin der Gedanke; der Schreibprozess ist ein Denkprozess. Die Gattung wird hierzulande noch immer zu wenig geschätzt, möglicherweise der losen Enden wegen. Benkel ist ein ungewöhnlicher Essayist – einer, der sich seinen jeweiligen Gegenstand weniger von der Spekulation, als von der gründlichen Lektüre her aufschließt. Seine Rezensionsessays handeln auch von grundsätzlichen Fragen, an denen sich bereits manch einer abgearbeitet hat, die jedoch von Benkel beispielhaft, unumwunden und nachvollziehbar beantwortet werden. Er beschreibt, wie sich Zeit und Identität im Lesen und Widerlesen spiegeln, das Gelesene und Gesehene beeinflussen, wie das Gelesene und Gesehene immer wieder auch von den Umständen abhängt, unter denen es geschrieben wurde.

KUNO schätzt den Rezensionsessay als unreine Form, die erzählerische Passagen genauso wie analytische enthalten könne, selbst poetische Einschübe.

Was den Rezensionsessays von Benkel die Überzeugungskraft verleiht, ist die Intensität, denen er sein Material unterwirft, seine Texte zeigen, was der Fokus auf eine Fragestellung sichtbar machen kann, wie diese Konzentration aufdeckt, was dem Schreibenden selbst verborgen blieb, wohl wissend, daß die Fülle der Literatur, der Kunst und des Lebens eben darin liegen, nie alles wissen zu können. Man sollte die einzelnen Kapitel sacken lassen, wobei nicht alle gleich zugänglich sind, denn für metaphysische Betrachtungen braucht es ein ausgebildetes Sensorium. Diese Rezensionsessays gewöhnen Leser daran, sich nicht allzu sehr an lindernde und eingefahrene Denkschemata zu gewöhnen. Seine Sprache hat eine Tiefendimension, Bilder entstehen beim Lesen und lassen sich nicht schnell zurückschieben. Es ist in jedem Wort eine Wertschätzung zu den Künstlern zu lesen, seine Rezensionsessays wirken nachhaltig und lassen die Leser nicht so schnell wieder los. Wir brauchen einfach erheblich mehr von dem, was über den routinemäßigen Erwartungshorizont hinausgeht. Man kann Benkels philosophie- und ideengeschichtlichen Analysen nicht genug würdigen, sie sind ein Lesevergnügen der besonderen Art.

Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über die Brüder Grimm, Ulrich Bergmann, A.J. Weigoni, zur Lyrik von HEL = Herbert Laschet Toussaint, Haimo Hieronymus, Uwe Albert, André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Holger Uske, Joachim Paul, Peter Engstler, Jürgen Diehl, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, Sabine Kunz, Sibylle Ciarloni und Joanna Lisiak.

 

 

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Essays von Holger Benkel, Edition Das Labor 2014

Weiterführend →

Wir begreifen den Essay auf KUNO als eine Versuchsanordnung, undogmatisch, subjektiv, experimentell, ergebnisoffen.

In einem Kollegengespräch ergründeln Holger Benkel und A.J. Weigoni das Wesen der Poesie – und ihr allmähliches Verschwinden. Das erste Kollegengespräch zwischen Holger Benkel und Weigoni finden Sie hier.

kindheit und kadaver, Gedichte von Holger Benkel, mit Radierungen von Jens Eigner. Verlag Blaue Äpfel, Magdeburg 1995. Eine Rezension des ersten Gedichtbandes von Holger Benkel finden Sie hier.

meißelbrut, Gedichte von Holger Benkel, mit siebzehn Holzschnitten von Sabine Kunz und einem Nachwort von Volker Drube, Dr. Ziethen Verlag, Oschersleben 2009. Eine Rezension finden Sie hier.

Gedanken, die um Ecken biegen, Aphorismen von Holger Benkel, Edition Das Labor, Mülheim 2013

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