Monat: Februar 2010

Der Wunsch nach Übersicht

  Hier wird der Wunsch nach Übersicht hinfällig. Hier ist die Welt in Ordnung. Am Brezelstand. Es erübrigt sich die Frage, weshalb die Leute anstehen. Was sie im Sinn haben, ist eine oder mehrere Brezeln zu kaufen. Die Brezeln riechen…

Umbenennung

In Berlin gibt es mehr als 50 Straßen mit kolonialhistorischem Bezug. Eine von ihnen wird an diesem Sonnabend in Kreuzberg umbenannt. Die Ehre des Straßenschildes gebührt in Zukunft einer Aktivistin gegen Kolonialismus und Rassismus. Ab heute wird in Kreuzberg das…

Der Auftrag

  N@sty B. robbt weiter. Sie kommt daher mit einer fiebrigen Verrücktheit, die in eine brennende Intensität umschlagen kann. Eine Sehnsucht, das Leben zu fassen, um jeden Preis, auch den der Zerstörung, der Selbstzerstörung. Unterleib und Oberkörper sind in den…

Wahrheit

  Erzähle nicht die Wahrheit, wenn Dir etwas Interessanteres einfällt. Karl May       Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur,

Die Kiste II

  “Du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass jedesmals, wenn du in diese schäbige Kiste greifst, auch etwas Schönes dabei herauskommt”, hatte sie ihm vorgeworfen. Das zornige Gesichtchen mit roten Wangen versehen. Sie war nach seiner Behauptung in Rage geraten.…

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eine Müdigkeit die kein Schlaf heilt ein Sturm der nach innen bläst Gott hat man das Gesicht ausradiert *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch…

Lebensbeobachtung

  Ein Künstler erschafft ein Werk, das anderen, oft intentionslos, etwas mitteilt und gibt, indem der Rezipient das Werk benutzt, um sich selbst etwas mitzuteilen und zu geben: Der Künstler vermittelt (s)einen Erkenntnisfortschritt (seine Lebensbeobachtung etc.), so dass der Rezipient…

Epilog zu Schriftstellerbegegnungen 1960-2010

  Für jede Begegnung und jedes gegenseitige Kennenlernen spielen Begegnungsmöglichkeiten, Begegnungsgelegenheiten, Begegnungsumstände, Begegnungsebenen, Begegnungsmittel u.a. eine in jedem Fall mitbestimmende, ja oft eine entscheidende Rolle. Unabdingbar aber ist die persönliche Bereitschaft, einander, dem anderen überhaupt begegnen zu wollen. Dafür muß…

TANKSTELLE

  Die Konstruktion des Lebens liegt im Augenblick weit mehr in der Gewalt von Fakten als von Überzeugungen. Und zwar von solchen Fakten, wie sie zur Grundlage von Überzeugungen fast nie noch und nirgend geworden sind. Unter diesen Umständen kann…

Adieu

    Adieu, mein Freund. Die Guillotine ist der beste Arzt.         Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur.

Turbokapitalistischer Realismus

Ich höre einen Rhythmus, der mich durch die Sätze treibt. Der Rhythmus eines Satzes erlaubt eine bestimmte Anzahl Silben. Eine Silbe zu viel – und ich suche nach einem anderen Wort. Es gibt immer ein anderes Wort, das fast dasselbe…

Gedanken und Einfälle

  In dunklen Zeiten wurden die Völker am besten durch die Religion geleitet, wie in stockfinstrer Nacht ein Blinder unser bester Wegweiser ist; er kennt Wege und Stege besser als ein Sehender. – Es ist aber töricht, sobald es Tag…

Um sich seiner Behinderung zu entledigen

  Um sich seiner Behinderung zu entledigen, arbeitete er einen Plan aus, der jede Komplikation auszuschließen imstande war. Er holte weit aus, bevor er etwas anfing, er hielt kurz inne, bevor er sich entschloss, es auszuführen. Er prüfte das Begönne,…

Über das Schreiben

  Eine Periode, die, metrisch konzipiert, nachträglich an einer einzigen Stelle im Rhythmus gestört wird, macht den schönsten Prosasatz, der sich denken läßt. So fällt durch eine kleine Bresche in der Mauer ein Lichtstrahl in die Stube des Alchimisten und…

wortlos

  zwei wörter irren unbegrenzterweile (lassen zwanglos unflektiert sich treiben wollen nichts als sich am andren wort bloß reiben) zwecklos durch die krüppelige zeile   ursprünglich ist es – unverfälschtes schnuppern berühren blicken ballen schweifen das eine kriegt (natürlich) einen…

things change

  r (und wenig bleibt so) mein selbstgemachter kahn ist vom stapel. ich segle im hafenbecken von genua, zusammen mit unzähligen booten des volkes von seattle. „attack“ steht auf dem weißen tuch. draußen auf hotelschiffen tagen die häupter europas. sie…

Gute Nacht

  Wenn Sie nach menschlicher Berechnung ausgeschlafen haben, so klopfe ich bescheiden an.       Lou Andreas-Salomés oft gerühmte persönliche Ausstrahlung, ihre Bildung und intellektuelle Beweglichkeit, die Freundschaft mit namhaften Zeitgenossen und ihre unkonventionelle Lebensführung sicherten ihr einen Platz…

Weltflucht

  Ich will in das Grenzenlose Zu mir zurück, Schon blüht die Herbstzeitlose Meiner Seele, Vielleicht ists schon zu spät zurück. O, ich sterbe unter euch! Da ihr mich erstickt mit euch. Fäden möchte ich um mich ziehen Wirrwarr endend!…

so leise

  lärm vergriffen / schmutz siechend / das licht nicht erreichbar / die künste lau / multimorbides hirn in gefühlskakophonie / hört sonnen schwellen / sieht todrot alles blau der wälder als das grün längst kein grün mehr war und…

Inbildverweise

  Inbildverweise bringen Farbe aus Präpositionen in urbanes Denken. Wir schenken uns Simultanes, wenn wir unsere Narben ineinandefügen. Bleib nur im Bilde, in Milde gerührtes,im Schilde geführtes Verstehen!     *** Weiterführend → Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J.…

Zur Sache

  Seine Ideen nach allen Seiten zu verteidigen hat nicht viel mehr Sinn, als sich überallhin entschuldigen, daß man geboren ist. Ich schrieb in der vorigen Nummer ein paar sehr einfache Worte, um zu sagen, was wir vom heutigen Ausstellungswesen…

EPILOG

  Ich glaube daran, dass die Ewigkeit in einer kontinuierlichen Vernetzung von beweglichen vergänglichen Einheiten Bestand hat, wobei damit nichts über die Richtung, die Dauer oder die Art der Bewegung gesagt wird. Ich glaube daran, dass, wann immer eine endliche…

IM ARZTZIMMER

  ich sitze in einer arztpraxis im wartezimmer, an dessen wand ein computer hängt, der op-spiel heißt. die aufgabe des spielers besteht darin, mit gezielten schlägen, schnitten, amputationen oder blutstürzen, wobei letztere, perfekt ausgeführt, ganze organe herausspülen können, den patienten…

Eisginster

  Feuergoldenes, zitronensaures Blendwerk, während die Kälte in den Wäldern knarrt und die Luft wie eiskalte, wochenalte Wintermagermilch erscheint, ungenießbar wie der Schnee, nährstoffarm wie der Winter und mit einem todesstummen hohen Ton erklingend wie ein Vibrato von Eisnadeln. Harry Martinson…

Wilder Garten

Herr Nipp saß auf der Gartenbank, zufriedenen Anscheins, vor der grauen, sonnenbeschienenen Wand des Hausanbaus. Vor Jahren, gemeinsam damals noch, geplant und gebaut, in einem furchtlosen Erweiterungswillen, man würde zusammen alles stemmen können, würde die andere Welt anhalten, eine eigene…

Drei Franzosen

  Proust, Gide und Valéry, das ist, wenn man so will, das gleichseitige Dreieck der neuen französischen Literatur und Souday hat mit seiner kriti­schen Feder den umgeschriebenen Kreis darum geschlagen. Es wurde also eine fast kanonische Figur. Und dazu paßt,…

Über Täter

  Die bösen Eltern, die feindliche Schwester, die frühe Impotenz -? Oder doch einfach die verdünnte III. Rindenschicht? Einhergehend mit Zellreichtum bei gleichzeitiger Kleinheit der Zellen, Muster, wie man sie von Meerkatzen kennt. Störungen im limbischen System? Gyrus parahippocampalis zum…

Eine Erinnerung an das Trauerspiel „Der Turm“

  Mit seinem neuen Trauerspiel »Der Turm« greift Hofmannsthal auf die Gestaltenfülle des Barock zurück. Als der geheimnisreichsten einer aus der Menge tritt Calderons Prinz Sigismund in ein neues Leben. Dem Drama liegt ein Stoff im eminenten Sinne, der des…