Recap

 

Wenn wir uns den Gesammelten Gedichten der Else Lasker-Schüler hingegeben haben, möchten wir an die Kunst nicht denken und das erhöhte Wort der Dichterin noch einmal nachsprechen: „Ich werde heimwärts von deinem Atem getragen“. Die Liebe zu Menschen ist ihre ganze Welt und alles andere nur ein Teil dieser Welt, – Wald, Meer, Sterne: und da sie alle immer Gleichnis sind, bleiben sie nicht bloßes Gleichnis mehr. Das Gefühl ist größer als sie: sie haben Raum darin. „− den Rauscheton Spielt die Nacht und weiß nichts vom Geschehn.“ Jenes Tönen ist das Geschehn. Ihm halten die altjüdischen Sagen still, verlieren die äußerliche Bewegung und regen sich nach den Gesetzen seines Taktes, ihm fügen sich nach den gleichen Gesetzen die Balladen von gestern und heute. Die Liebe zu den Menschen entdeckt, erklärt, macht mythisch. Darum sind die Charakterbilder der von der Dichterin begrüßten Weggenossen bei aller Verklärung scharf und wahr. Sie hat die herrliche Gewohnheit, von vielen ihrer Freunde und Kameraden zu reden und sie wirklich zu meinen. Sie kann das wagen, weil es ihr unmöglich ist, den Bezirk des Dichterischen, der ihr Gefühl ist, irgend zu verlassen. Sie lebt einsam darin, und einsam sind wir ja nur, wenn uns die Welt gehört: ohne ihrer gewärtig zu sein, sind wir bloß vereinzelt. Und sie singt wie eine Einsame, der alles angehört; alles ist gleich fern und gleich nah und merkt auf, gerufen zu werden; alles ist verbunden; weniges nur braucht genannt zu werden, so ist alles genannt. Aus dieser Durchdrungenheit mit Seele das Alls bildet die Dichterin häufig den Reim der Dinge, den man mit dürrem Wort Parallelismus nennt. (Auch der vokalische Reim ist, wenn wir aufs Wesen sehen, ein Parallelismus, und auch der Rhythmus ein Reim.) Oft geht er durch die Entwicklung eines ganzen Gedichts fort. Seine Musik weiß nichts vom Geschehn und ist das Geschehn. Bei einer Meerfahrt fährt der abgemessene Horizont des Auges mit uns, und wir wissen doch: hinter diesem Horizont ist auch Flut. Mit Worten wie ,immer‘ oder ,alles‘ weist Else Lasker-Schüler gern auf das Unsichtbare. Da seine Größe ihr angehört, umwittert es uns mit ihrer Güte, Gnade, und Tapferkeit. Unser Herz fühlt einen tiefen, verehrenden Dank für das Dasein dieser Gedichte.

 

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Else Lasker-Schüler aka Prinz Yussuf (1912)

„Die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“, sagte Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler. Sie bewegte sich wie eine Märchenfigur durch Berlin und fiel mit ihrer exzentrischen Erscheinung auf.
Else Lasker-Schüler wurde geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld. Sie starb am 22.1.1945 in Jerusalem.

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KUNO würdigte die Poetin mit einem Rezensionsessay. Poesie zählt für die Kulturnotizen weiterhin zu den wichtigsten identitäts- und identifikationstiftenden Elementen einer Kultur, dies bezeugte auch der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung.