Fritz Huf

 

In Frankfurt am Main saßen wir uns gegenüber beim Maler Starke. Nach dem Abendschmaus boxten wir uns. Er trug, seiner holländischen Freundin zuliebe, Sackhosen wie die Fischer im Hafen von Rotterdam, ich meinen Arbeiterkittel. In der Frühe saß ich ihm zu meinem Tonbild, aus mir den thebetanischen Prinzen zu holen, steinhart, unentwegt, souverän, fromm, Sternsichel auf der Stirn. Wir sprachen nie, feierten diese Sitzungen. Doch einmal sagte einer von uns beiden: Kunst ist der Zustand nach dem Tode. Der andere von uns antwortete da: Oder vor dem Leben.

Dann kamen von Ober-Ursel ein paar große Kunstkenner, seine neuesten Werke zu betrachten und ihn, den Bildhauer selbst. Die Hände in den weiten Taschen. Braun glänzten seine Augen wie Herzkirschen. Und seine kindliche Freude über jedes Lob! »Herr Professor, essen Sie Mohrrüben, Mohrrüben; ganz Indien hat keinen Wurm mehr seitdem.« Jedem Abschiednehmenden reichte er mit auf den Weg ein Buch von seinem weisen Indier und Fakir Mazdaznan.

Nun wohnt Fritz Huf in Berlin schon zwei Jahre. In seinem Atelier stehen, nicht mehr aus Ton oder Terrakotta, schlanke Rosenweiber oder heilige Dreimädchengestalt und dazwischen mein prinzliches Gebild. Hufs wundervolles Spiel wurde bewußte, starke Arbeit; er selbst ein Kind, wurde Geschöpf. Fritz Huf ist ein Geschöpf, das nicht wandelbar ist, aber das sich verwandeln kann. Seine Kunst ist ein Gorilla, der ist nicht heiter, aber bösgreifend wie das Leben. Mitleidslos reißt er an dem Stein, daß der Fleisch werde, und verzaubert den Menschen zu Stein. Auf einem breiten Block steht Wegeners Kopf: kecke Wucht, Böser Fastnacht. Die blonde Frau mit den Tigeraugen und den süßherben Brombeerlippen ist die dichtende Fürstin Mechthild Lichnowsky. »Und hier«, erklärt mir Fritz Huf geheimnisvoll, »der ist ein großer Arzt.« Und da – der Kopf des Doktor Blei hinter dem Vorhang wirkt: Reptil aus grausam grauem Glas.

Gestern schrieb ich Fritz Huf: Gorilla vom Rütli (er ist nämlich Schweizer), kommen Sie hierher ans Meer, hauen Sie mir ein steinernes Etui für dies unendliche, rauschende Perlengeschmeide.

Immer Ihr Prinz

 

 

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Essays von Else Lasker-Schüler. Mit einer Einbandzeichnung der Verfasserin. Verlegt bei Paul Cassirer in Berlin 1920

Weiterführend → Lesen Sie auch KUNOs Hommage an die Gattung des Essays.