Monolog im Leserstrahl 3

 

Der winterlich kalte  Septemberwind blättert die Empfindlichkeit der Umgebung auf und legt Spuren, die er schon bald wieder verwischen wird. Er, der Mitwisser,  küßt flüchtig  verführerische Passagen der Gegend mit Schneeflocken; danach wird niemals mehr irgendetwas nachvollziehbar sein. Die liegende Gestalt beschreibt im Scheinwerferlicht des Südeingangs einen eigentümlichen blauen Schatten: Von der Taille aufwärts lehnt eine Riesensilhouette an der verwitterten Fassade des Saalbaus. Fest daran haftender Schnee, den der Wind dagegen gepreßt hat,  gibt ihr an manchen Stellen ein plastisches Aussehen. Auf der Stirn des Riesenschattens erscheint in weißgesprühter Schrift das ungelenke Wort DETERMINATION.  Es ist die Reclame für ein erfolglos gebliebenes, nach Petroleum riechendes  Männerdeo.

Jeder ein wenig erfahrene Kriminalist würde sich peinlich berüht von diesem Bild abwenden und sich unschlüssig fragen, ob er die Ausschaltung des Scheinwerfers oder das Beiseiteschaffen des Originals veranlassen sollte.

Bis zum Eintreffen der Polizei, weiß der Himmel, wer sie gerufen hat, bleibt ein Foto in der Aktenmappe aufgeschlagen. Wer hat den Wind präpariert?  Es ist die Reproduktion eines Gemäldes von Tizian „Der Zinsgroschen“ Darauf offeriert Jesus dem Verräterkuß die feinsinnigste Hand der Welt.

Darunter die Bildunterschrift:

AM NAMEN ERKENNST DU IHN NICHT UND NICHT AN DEM, WAS ER TUT, UM NICHT AUFZUFALLEN. ER ZEIGT ANTEILNAHME UND BESITZT VERSCHIEDENE ANTEILE AN MENTALITAET. WENN ER SINGT, SINGT ER NICHT RICHTIG. MAN ERKENNT IHN AN SEINER STIMME.  SOBALD MAN DARAUF ACHTET WAS ER SINGT, ERKENNT MAN IHN NICHT MEHR. ER IST DIE VORBEREITETE FORM FÜR EINEN ABGUSS… FÜR … ETWAS ANDERES,  WAS ER NICHT IST. BEWEGT ER SICH WIE ALLE, IST DAS HÖCHST UND ZUTIEFST VERDÄCHTIG! DENN ER IST EIN LUXUSGESCHÖPF, DAS NICHTS AUS -UND NICHTS EINLÖSEN DARF. WENIGER ZU SEIN ALS EIN MÖGLICHES BEISPIEL IST PRAKTISCH EINMALIG UND INDIFFERENT NUTZLOS. DAS SUGGERIERT SCHUTZLOSIGKEIT, VORSICHT! SOWAS HAT DER SIMULANT ABZUKNALLEN, ZUMINDEST TEILWEISE, UM DIE V0RBERECHNETE FEHLERHAFTIGKEIT ZU GEFÄHRDEN. BEDINGUNG: ZURÜCKHALTUNG BIS KURZ VORHER. WIEDERHOLUNG ERWÜNSCHT .

Die schwere hölzerne Flügeltür des Saales hält noch Stand gegen den winterlich anmutenden Sturm. Für Momente ist sie unbewegt in ihrer Fassung. Der Himmel ist absolut schwarz,  aus dem der Schnee wie unter unsichtbarem Druck auf die verödete Landschaft am Stadtrand in dichten Schüttungen herabstürzt. Dann reißen die Flügel auf. Wer sie später schließt, ist der Verräter dieser Geschichte. Ein Geschöpf unter Verdacht auf Weltlosigkeit.

Ohne Sirene, nur mit leisem Blaulicht, trifft die Polizei ein, gefolgt von dem ebenfalls lautlosen Unfallwagen. Aus beiden Autos winden sich betont lautlos insgesamt vier betont unauffällige Männer in Zivil. Sie gruppieren sich um den auf dem Boden liegenden Mann mit den vermutlich  zerschossenen Beinen, dessen Schatten an der Wand, lehnt und sie sehen sich gegenseitig an. Ihre Allerweltsgesichter sind sowas von ausdruckslos! Ihre Routiniertheit erscheint dem Liegenden, der ein wenig blinzelt, nahezu hitchcockmäßig bewegend. Durch die Liderschlitze hindurch sieht er, dass sich etwas um ihn dreht, was doch längst ausgestanden ist. Für immer. So deutlich wie vor einer halben Stunde im Schutz seines wärmenden Unterhemdes. Ihn überkommt eine irre Lust, in dieser Lage einfach drauflos daherzuschwatzen. Ihm fällt alles Denkbare ein, was seine grundsätzliche Willigkeit, der Wirklichkeit zu vertrauen,  beweisen könnte. Aber er schweigt, weil sich in seinem Mund eine zähe, metallisch schmeckende  Flüssigkeit sammelt, die er weder ausspucken, noch hinunterschlucken will. Einer der Männer kniet, Betroffenheit  durch verzerrte Gesichtszüge vortäuschend,  vor dem Verletzten nieder. Dieser blickt durch die geschlossenen Lider hindurch dem scheinheiligen Kerl gerade in die Augen. Dessen Kopf aber nähert sich langsam der Brust des Verletzten, dann zerrt seine linke Hand das Unterhemd unter dem Jackett  hervor, das unförmig und schmuddelig überhaupt nicht zum übrigen Outfit passt. Er riecht daran.  Das ist wie bei Katern, wenn sie die Katzenminze oder Baldrian riechen. Er, der Beamte,  will unbedingt mit dem Kopf da unter das Hemd des Verletzten hineinfahren, was natürlich nicht geht. Dabei schnüffelt er aus tiefster Seele am Oberkörper des Verletzten herum. Mancher fühlt sich eben zum ersten Mal als ich, nachdem er den anderen gerochen hat.

Beherbergt mein Verdacht, gelenkt zu werden, als Ich in diesem Geschehen nicht allein  geblieben zu sein,  einen Anspruch auf  Wahrheit? Ich gleite mit meinen Gedanken wie in einem Aufzug abwärts. Dort ist es dunkel, modrig, kalt, unbehaust, dort dämmere ich dahin, oh,  ich bin vor überdrüssiger Wut verdammt gleichmütig geworden, das ist erst der Anfang von Wahnsinn der die vor sich selber nicht zugegebene Melancholie exotisch stempelt nur noch für die Nachwelt.

Abwärts ins Unterschoß meines, eines, seines, deines Daseins! Dunkle Räume ohne Fenster, keine Orientierung, tölpelhaftes Herumtappen steht auf der Quasitagesordnung meiner Pflichtkür. Oh ja, das Milieu dort im Dunkeln könnte überall sein auf der Welt. Wir tauschen unsere Atemluft gegen Erstickungsluft aus, bis alles verbraucht ist. Gibt es darüber hinaus Vermittlung untereinander? Aber ja. Manchmal ein Kichern aus dem Stockwerk darüber, Briefschlitze, Tastaturen, vierundzwanzig Löcher in der Hörmuschel des Telefons. Kann ich mir diese vage Adresse hier überhaupt noch leisten?

 

 

 

Weiterführend →

Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd