Gezeitengespräch 4

Vorbemerkung der Redaktion: In diesem Jahr machen wir das vergriffene Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse auf KUNO recherchierbar.

 

Zeitfern:   Die Eiszeit kommt. Wir denken an Urlaub vermehrt. Weil dort die Sonne lacht. Keine Blässhühner. Aber Strand, Kormoran. Möwen sowieso. Das Geräusch der Eiswürfel im Glas. Dort wo die Nacht endet. Das Herz raschelt, in meinen Schlafbäumen. Der Winter radikal, wird erwartet. Eisblumen könnten blühen.

Die Jalousien geschlossen. Die Augen schieben sich durch die Spalten. Es liegt Schnee. Ich hätte was anderes erwartet. Diese Stille schlägt wie ein Stachel, weiße Striche vor Augen.  Und Lots Frau ist ein entfernter Schneemann. Erinnerst du dich, Zeitnah, an dieses Lichtgefüge beim Öffnen des Fensters am Morgen. Dieses fremde Weiß. Das Herz wurde weit, ob dieser Fremdheit. Und Spuren im Schnee. Und darunter gekehrt die toten Blätter, das Geröll. Das Meer im Traum. Wir kriechen nicht mehr mit Knieschützern, wir brauchen jetzt dicke Winterschuhe. Die Liebe wird enger im heimischen Raum. Man rückt zusammen. Haut auf warmer Haut. Wir kuscheln und bleiben ineinander, aneinander. Die Restsüße zieht unsern Gaumen zusammen, von der Liebe, die wir hatten. Früh ist es dunkel. Schön. Wir schütten mehr Licht aus. Du hörst auf Farben. Formen fließen, lieber Zeitnah, ich wollte eigentlich über den Sommer reden. Doch diese Jalousien Blendwerk  Blicke haben mich zurück geworfen. Also nochmal, die Eiszeit kommt. Trotzdem: Da schwimmen Eisberge Weiß und sauber. Doch nochmal hier genau hinsehen: Da gibt es auch Staub, der Geruch weißer Wände, Blaue Schatten. Hitze. Salz. Eine Sättigung liegt über den Straßen, der kurze Waffenstillstand des Sommers? Hoppla, doch Sommer. Du bist dran, schreib was. Ich bin etwas verwirrt. Winter oder Sommer?

Zeitnah (jetzt wieder jetzt)Hatte gescheut zu schauen, zu lesen sowieso, brauchte Abstand von unserem Gespräch, du magst das entschuldigen bitte. Zu viele Bilder im Kopf. Bilder, die gehängt werden wollen oder etwas gehangen? Ausstellung. Und genau dann die Frage, ob wir unsere Bilder überhaupt dem Anderen mitteilen können. Die Assoziationen teilen? Der Schein der Flammen aus dem Kaminofenfenster dieser Tage auf ihrer Haut vielleicht. Was sehen wir da und was, bitteschön, fühlen und riechen wir. Den Geschmack der körperlich Liebe sicherlich, aber immer die Vergleiche mit einem Damals. Weißt du noch, wie sie sich anfühlte? Ich habe es vergessen, versuche trotzdem manchmal dem nachzuspüren, zu fassen, was mich begeistert gebunden hat. Dieser Körper,  dort  in feuchter Erwartung und Seligkeit. Was bitte war das? Nur Lust, unsere absolute Lust nach Vereinigung, völlig, oder spielte auch das Ausleben von Fantasien eine Rolle, auch von Macht und Abhängigkeit? Schon allein der Gedanke lässt mich, angestachelt durch die treibend bunte Hippiemusik und ein Glas Wein erröten.

Du versuchst mich mit deinen Anklängen an einen virtuellen Urlaub, gemeinsam nie, du auf der Insel in der Nähe eines Wogenden oder trügerisch ruhigen Meeres, ich auf einem Berg, zwischen Himmel und den grünen Matten, die winzige Blütenwunder in sich bergen. Ja, jetzt kommt der echte Winter, endlich. Endlich, aber nicht für immer, auf die Zeit zu warten, die wir in der Ferne wandeln können. Urlaubserlebnis zur Seelenerholung. Alles lässt die Bilder fluten in uns und da sind wir dann gemeinsam weg, irgendwo und ganz konkret wird der Stift, der Pinsel, der sein Zeichen setzt. Als Andenken unseres Denkens.

Zeitfern: Pinselstriche halten das Leben fest. Jede Erfahrung ein Kürzel. Wir bannen den Tod. Wir üben ihn ein. Die schlechten Enden werden mit Farbe bedeckt. Zugedeckt. Es gibt dieses Farbenschicksal: Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Schwarz wie Ebenholz. Auch zugedeckt. Zeichen setzen? O.K., Zeitnah, lass und für zwei Dialoge schweigen von der Liebe. (Obwohl sie immer brennt.) Ein bisschen Melancholie im Januar. Ja, gestattet. Heute ein Rotkehlchen gesehen. Der Apfelbaum, entfernt von meinem Fenster trägt noch einen Apfel, rot, gelb, leuchtend. Ganz oben in der Spitze. Er will nicht fallen. Dieses Rot. Wir reden jetzt nicht über die Liebe. Mir fällt auf, Männer reden viel von Liebe. Tag und Nacht. In alten Filmen ist dieses Wort raumfüllend. Wir wollen unseren Dialog winterfest gestalten, kühl. Es soll Schnee fallen, kommen. Wie A.J. Weigoni sagt: Ein Szenario für Klangmaler. Also: Reden wir über den Moment, der vergeht vor der Errötung. Bleich weiß. Hart ist hart, sagte der Pathologe und setzte das Seziermesser an. Klarer Moment. Weiße Kälte. Schon wieder Winter. Aber wie versprochen, keine Liebe. Januar-Melancholie.

Zeitnah (hier und jetzt):   Nein, mein Lieber, natürlich keine Liebe, denn wenn immer wir davon sprechen, geht wohl ein Teil von ihr verloren, verliert sich im Raum, so dass wir nicht wieder finden können. Nein, die Liebe geht nicht verloren, sie hat nur die blöde Eigenschaft – wie jede Energie – sich zu verteilen. Gleichmäßig im Raum, in Zeit und wird nach und nach den Raum füllen, wie jene Rose, die Magritte gemalt hatte. Die den Raum geflutet hat. Ihn vielleicht demnächst sprengen wird. Ein Physiker erklärte mir das Gesetz der Energie. Entropie.

Wir wollen aus der Distanz in diese eben welche hineinbetrachten. Die Dinge und Menschen und natürlich ihre Verhältnisse zum Sein. Großkotziger Philosophengedanke. Nein, den will ich auch nicht. Jenes Kunstvokabular mag ich nicht. Mag es weder zu fassen, noch anzuwenden. Wenn sich die Wortbeschreibungen des Lebens so weit vom Leben entfernen, dass sie einer Beschreibung bedürfen, dann handeln sie sich um reine Selbst-Gefälligkeit.

Der Januar zog einfach vorbei, hinterließ keine Spuren. Der Schnee ist andernorts gefallen. Weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz. Und ein Stück Gold, das vom Himmel fällt, jedes Mal, wenn ich dich sehe, Zeitfern.

Zeitfern:   Auf Hügeln ausgestreut liegen die Steine, von meinem Tun im Leben. Du hast erkannt: Sie sind nicht hart, sondern durchsichtig, weich und zugänglich, bündeln alle Reflexe des Lebens. Bilder und Wörter geschrieben, gemalt füllen die Nischen. Damit ich weiß, wohin ich gehe. Und die Orte, angenehm. Und nicht verdunsten. Und da bist du auch ein Ort. Neben mir im Kopf.

Die Steine könnten auch Brote sein. In meiner Erinnerung aufgelaufen. Kind ich. „Hol mal ein Graubrot beim Bäcker.“ Ich holte gerne dieses Graubrot. Lang und gewichtig. Es roch gut. Wurde in eine kleine Papierbahn, dünn, eingehüllt. So konnte ich es unter den Arm nehmen. Das Geld war abgezählt. Auf dem Weg zurück brach ich lustvoll die vorderen harten Krusten ab. Das war ein Geschmack. Ein Genuss ohne Ende. Daheim angekommen, noch kauend, gab es jedes Mal Kritik. Sieh mal, wie das Brot wieder aussieht. Kannst du das mal lassen. Den Knapp musste ich dann essen. Die Strafe machte das Brot weniger lecker. Ich nenne das, liebevolle Strafe.

 

 

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Gezeitengespräch von Haimo Hieronymus und Karl Hosse in der Edition Das Labor, Neheim 2014

Weiterführend

Eine Einführung zum Projekt Gezeitengespräch findet sich hier. Zum Thema Künstlerbücher finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Vertiefend auch das Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier. Künstlerbücher verstehen diese Artisten als Physiognomik, der Büchersammler wird somit zum Physiognomiker der Dingwelt. Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421