Social Beat, Bukowski oder Wochenendpenner?

Eine Leseprobe aus Junger Westen 11. Roland Adelmann im Austausch mit Enno Stahl.

Roland, vielleicht kannst Du einfach mal sagen, was Social Beat ist und woher der Name kommt.

Der Begriff Social Beat ist mehr aus Zufall entstanden, und zwar wollten wir uns eigentlich damals in Berlin treffen, um eine gemein­same Zeitschrift zu konzipieren. Die Idee dazu war bei er Minipressenmesse in Mainz entstanden, und der Jörg Dahlmeyer und der Thomas Nöske haben daraus dann das 1. Social Beat-Festival gemacht.

Von denen stammt auch der Name?

Ja. Es ist im Grunde eine Fortführung des Begriffs Underground, einige können sich mit dem Begriff nicht mehr so recht anfreunden, weil er mittlerweile überfrachtet worden ist. Es bezieht sich aber nicht auf Beat und die Beat-Generation, mit der wir eigentlich wenig zu tun haben.

Da geht die Richtung mehr in den Underground, also Hubert Selby, Al Masarik, Charles Plymell, natürlich Bukowski.

Der Zusammenhang besteht vielleicht darin, daß wir Alltagslyrik schreiben, konkret schreiben, also sozusagen naturalistisch.

Ist Social Beat überhaupt ein Begriff bzw. wird er als Begriff bestehen können?

Das muß sich herausstellen. Wird sich halt zeigen, vor allem weil vermehrt Leute dazukommen, die mit unserer Literatur nichts anfangen können und es jetzt für ihre Sachen ausnützen.

Social Beat ist ja so ein enges Netzwerk verschiedener, kleiner Zirkel, die über das ganze Land verteilt sind und wo eigentlich immer die selben Autoren vertreten sind. Ich sehe ein bißchen das Problem, (daß diese Social Beat-Sache sehr im eigenen Saft schmort, das heißt, mit fehlt da die kommunikative Offenheit, die andere Underground Bewegungen auszeichnet oder in der Geschichte ausgezeichnet hat. Nun weiß ich aus eigener Erfahrung, daß ich auf meine Texteinsendun­gen von Social-Beat-Fanzines eigentlich noch nie überhaupt nur eine Antwort bekommen habe…

Ja nun. Die Zeit ist manchmal knapp. Viele Leute sind auch berufstätig und machen die Zeitung nebenher, da fehlt dann halt manchmal n bißchen die Zeit. Ich weiß es nicht. Ich seh mich nicht als ausgestoßen, kann ich wirklich nicht sagen. Aber mag sein, daß der ein oder andere sich als Verlierer fühlt: „Ich bin dat arme Schwein, die geben mir halt keine Chance eine Nische für mich zu finden.“ Aber ich denke mir, das ist eigentlich nich so sehr der Fall, vielmehr reißen wir uns richtig den Arsch auf, um das Publikum zu gewinnen durch Lesungen oder Festivals zum Beispiel. Ich meine, wir haben beim etablierten Publikum kaum ne Chance, aber ich mach die nicht dafür verantwortlich, daß ich jetzt nicht bekannt werde. Bukowski zum Beispiel war ja auch nich so gelitten, der hat aber seinen Weg gemacht – durch seinen Starrsinn.

Also keine ideologische Position, in Fanzines zu veröffentlichen – was dann auch bedeuten würde, abzulehnen, wenn bei dem einen oder andern ein Großverlag anklopfte und ein Buch machen wollte?Sowohl Texte als auch Gesamtbild verschiedener Social-Beat-Fanzines -das gilt auch für Deine Arbeit – vermitteln mir ein wenig den Eindruck, als sei da ein Underground mit der Brechstange herbeigekrampft. Auch scheint mir eine Distanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu be­stehen, daß nämlich ein eigenes, alternatives Leben beschworen wird, das so gar nicht da ist. Daß also ,die Texte etwas ganz anderes sagen, als das Leben dahinter tatsächlich hergibt.

Nö, absolut nicht.

Das gilt für alle?Ich hab schon so den Eindruck dieses „Wochenendpenners“ als idealem Text-Protagonisten, das heißt, daß mancher aus der Social-­Beat-Sache sich unheimlich einen drauf runterholt, wenn er mal mit nein Penner n bißchen säuft, dann aber unter Umständen unter der Woche als Straßenbahnfahrer schafft, also, da ist ne Kluft zwischen Leben und Punk-Text. Wie kann das sein, diese Wollust, sich als Penner zu stilisieren?

Nee, ich mein, ich hab mich natürlich auch irgendwo seßhaft gemacht. Ich bin da jetzt so an der Schnittstelle zwischen Outlaw und bürger­lichem Dasein. Meine Texte, die ich zum Beispiel darüber, was ich damals als Punk gemacht habe, die kommen dann aus den 80er Jahren, das hab ich in den 80er Jahren erlebt, und das war ne ganz andere Zeit. Die Texte, die ich heute schreibe, über den jetzigen Moment, sind ganz anders. Ich greif natürlich auch oft zurück auf die ganzen Sachen von damals, ich würd aber jetzt nicht so schreiben: „Ich leb in Bochum und am Wochenende treff ich mich mit irgendwelchen Pennern, und geh am Montag dann wieder arbeiten“, um son gewisses Klischee zu erfüllen.

In ne ähnliche Richtung geht, daft in einer Ausgabe des „Bulletten­tango „so schon säuberlich n Zettel beilag als Entschuldigung für Tipp­ oder Lay-Out-Fehler, was ja eigentlich n Gag ist für n Underground-Fanzine… Würd ich normal vielleicht auch sagen, aber wer so richtig Under­ground sein will, müßte eigentlich denken: „Ja, gut. Was solls . . .“. Selbst als Dadaist würde man das sagen: „Schicksal. Zufall. Is eben so.“ Oder dem sogar ne neue Qualität abgewinnen und es gut finden. Aber nun zu Deinen Sachen, immer noch mit gewissen Seitenblicken auf die übrige Social-Beat-Literatur: Welcher imaginare Leser soll damit angesprochen werden, bzw. provokanter gefragt: Wen soil das eigentlich interessieren, dieser tendenzielle Märtyrer-Romantizismus von wegen Aufstehen mit Hansapils und Texasbohnen-Feuerzauber ­ALDI-Dosenfraß?

Jeden, den es interessiert. Geht durch die Bank. Auch ältere Leute lesen sich dat durch, Oberstudienrate lesen sich dat durch oder auch Punks, also hinter meinen Texten steht keine Ideologie, ich schreib halt nur das auf, was mir aufstößt…

Also eben rein individuell.

Ja, ja.

Da steckt somit auch keine sozial-repräsentative Aussage hinter…

Ich schreib also keine Sachen mehr, von wegen: „Ich steh auf, hab nen mächtigen Kater, muß pissen und trink mir erstmal n Bier.“ – weil das auch einfach nich so is, ich trink morgens nich mehr, und zum anderen auch, well ich das irgendwo doof finde, das ist einfach abgegriffen und abgelutscht. Viele Autoren, die bei Social-Beat mitmachen, fahrn auch nich mehr auf dieser Schiene ab. Man muß ja mal die Entwicklung sehen, ich hab das jetzt schon bei einigen Autoren verfolgen können: Die älteren Texte gehen schon so’n bißchen in Richtung Bukowski .. .

Wenn ich jetzt Deine Gedichte aus dem Buch „Blues im Morgen­mantel“ lese, habe ich aber immer noch das Gefuhl von so ner Romantik, kann man auch Nostalgie nennen in der Ur-Bedeutung, also so ein unbestimmtes „Weh“ ..

Weg von dem Begriff „Romantik“ im herkömmlichen Sinne, ich bin im Grunde Mitte der 80er stehengeblieben. Ich fahr nun mal auf so Sachen wie Punk und Blues ab, wie gesagt, auf Bukowski und die alten Leute. Und mit dem, was heute so an Musik rauskommt wie Techno und Jungle und wie der ganze Schwachsinn heißt, damit kann ich mich absolut nicht anfreunden…

Also, was ich damit sagen wollte, war, daß in den Texten der Alltag einerseits ganz hart und ungeschminkt dargestellt wird, daß aber immer noch so was „Weiches“, so was Sehnsüchtiges reinspielt. Ich seh darin n gewissen Widerspruch….

Ja gut, da sind natürlich hier und da Sachen, wo man in so’n Wunsch­denken reinkommt, aber das hat ja doch jeder Mensch und das is irgendwo auch Alltag. Ich geh jetzt nich hin und sag, so und so is dat und Feierabend. Ich denk mir schon, es könnte irgendwie anders sein, obwohl ich auch keinen Menschen irgendwie beeinflussen will, in ne bestimmte politische Richtung zum Beispiel. Jaja, gut. Das is irgendwo auch mein Anliegen, dat ich vielleicht die Leute auch so’n bißchen anstoßen möchte, in ihrer Lebensart, aber ich mach mir jetzt nich die großen Hoffnungen…

Wohingehend willst du die Leute denn anstoßen: daß die jetzt auch nich mehr arbeiten, Hansadosenpils trinken .. .

Vergisses. Dann krieg ich ja keine Arbeitslosenhilfe mehr. Nee, die Sehnsucht is zwar irgendwo da, aber ich hab mich natürlich damit abgefunden, daß die Leute in ihrem Trott bleiben wollen. Es sind keine Bestrebungen da, irgendwas zu ändern. Die Leute, die nichts haben, wolln dazugehören, die Leute, die was haben, wolln nichts abgeben.

Welche Rolle grundsätzlich spielt übrigens Bukowski – ist er der „god­father“? Oder gib es zu ihm auch einen kritischen Zugang?

Ja, also die letzten Texte, die er geschrieben hat, die seh ich eigentlich nur so an, er is etabliert gewesen und hat die Sachen runtergeschrieben, war nun mal Bukowski, und die Leute hamse gekauft.

Wenn man jetzt relativ nah daran ist, welche Möglichkeiten gibt es dann literarisch überhaupt noch: so gut sein wie Bukowski?

JaJa. Erstmal glaub ich, daß kaum jemand in der Lage is, wirklich was Neues zu machen, ob im Kunst- oder Literatur-Bereich. Aber mein Bestreben ist bloß, meinen eigenen Stil zu verbessern. Ich kopiere jetzt nich Bukowski und vergleiche meine Sachen damit, sondern arbeite unabhängig davon – und auch dahingehend, um so’n bißchen von den auto-biographischen Sachen wegzukommen. Solange man noch irgend n Output hat. Das bedeutet, daß man immer noch Stories hat, die wirklich was aussagen … Jetzt nur so zu schreiben, ich sitz zu Hause und sauf mir die Hacken volt, dat is ja Schwachsinn. Solange man auch noch Stories aus seinem eigenen Leben hat, die ne gewisse Sozialkritik beinhalten, dann reißt es noch aus. Aber man muß man ständig unterwegs sein. Fur mich ist vor allem wichtig, Sachen reinzubringen, die ich nich so erlebt hab, die mir aber aufstoßen. Eine Sache war zum Beispiel ne Romanfigur zu entwickeln, die im Ruhrpott angesiedelt ist und die durch das Umfeld in bestimmte Klamotten hineingerät. Im Grunde wäre ich dann journalistisch tätig.

Dir geht’s also auch letztendlich darum, durch die Literatur ne größere gesellschaftliche Relevanz zu erreichen…

Ja.

 

 

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Junger Westen 11, Lesebuch, herausgegeben von Jochen Arlt, Rhein-Eifel-Mosel-Verlag, Abtei Braunweiler, 1996

Die neuen technologischen Möglichkeiten nutzend ist einer Teilauflage eine CD mit Lesungen und Kurzhörspielen beigefügt, die als Zugabe die Vor-und Nachteile einer akustischen Literaturvermittlung dokumentiert und somit einen Einblick in die Audio-Art der 1990-er Jahre liefert. Dokumentiert wird an anderer Stelle, was in diesen Jahren begann, auf der Plattform vordenker.de mit der Reihe MetaPhon.

Weiterführend → Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.