The gorgeous Queen of Ruhrgebeat-Trash

Eva Kurowski hat den Jazz proletarisiert!

Die ZEIT

Die Proletendiva Eva Kurowski singt ihre selbst komponierten Lieder in einer völlig eigenen Ausdrucksform. Bodenständig und authentisch, zwischen Jazz, Humor, Chanson, kleiner Welt und großer Welt, wird sie mal als die Billie Holiday des Strukturwandels (gar nicht so falsch, aber nicht wahr), oder als die Ruhrgebiet-Knef (total falsch, aber irgendwie richtiger) beschrieben. Tatsächlich hegt sie wie Billie und Hilde eine große Liebe zum Jazz, und die lebt Eva unüberhörbar mit ihrer Band aus. Daß die Musik von Eva grenzüberschreitend ist, bemerkte man auch in der Comedy-Szene. 2002 erhielt Eva darum den Comedy-Carl-Preis. 2011 wurde sie für ihr Album Reich ohne Geld mit dem Künstlerpreis Hungertuch ausgezeichnet,  dieser Preis ist speziell für Künstler, die neue eigene Wege gehen.

Die Proletendiva Eva Kurowski auf Griechenland-Tour

Ähnlich wie bei The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman von Laurence Sterne, beginnt die Geschichte von Eva Kurowski vor der Geburt: „Es begann damit, daß mein Vater, der ein begeisterter Trompeter, Marxist und Grafiker war, einen Samenerguß hatte, und zwar in meiner Mutter.“ Frei von der Leber weg berichtet die ‚Disöse’ Eva Kurowski in Gott schmiert keine Stullen über eine ‚sozialistische Kindheit im Ruhrgebiet’. Die Autorin ist eine ironische Realistin, sie schreibt einen biographischen Text, der alle Nuancen der Welt- und Ich-Erfahrung aufnimmt und in Sprachklang umsetzt. Ihr Buch liest sich wie ein über Jahre gereiftes Initiationsbuch einer Autorin, die darin ihre Berufung zur Schrift schildert. Indem sie ihre Leser auf falsche Fährten lockt, führt sie sie auf die richtige Spur.

Kartographin des Ruhrgebeats

Die schaumgeborene Eva posiert für den Pirelli-Kalender

Eva Kurowski ist eine Kartographin des Ruhrgebiets, das sie so detailgetreu nachzeichnet, daß das Abbild mit der Wirklichkeit deckungsgleich wird, um alsbald in dieser zu zerfallen. Gott schmiert keine Stullen besteht aus Simulakren, aus quasi parodistischen Nachahmungen des wirklichen Lebens, wir treffen Edelkurt, Jerko, Fasia und Helge Schneider, also lebensechte Menschen aus der Region. Bei dieser sozialistischen Kindheit im Ruhrgebiet ist niemand gleichgeschaltet. Jeder lebt sein Drama, jeder ein anderes. Eva Kurowski weiß es, und sie gestaltet diese Dramen ebenso gewaltig wie zart. Ihre halluzinativ genaue Wiedergabe von Geringfügigkeiten, in deren Verkettung ein Ort und eine Zeit decodierbar werden, macht sie zur Post-Pop-Autorin, einer Heimatdichterin fern aller Folklore und eine Reiseschriftstellerin im eigenen Hinterhof. „Im Hinterhalt des Alltags sind wir verlorene Kinder“, scheint es immer wieder aus dem Subtext von Gott schmiert keine Stullen zu raunen. Doch haben einige die Chance, das Ganze selbstbestimmter zu bestehen.

Leberwurst und Lebensdurst

Was bei ihrer CD Reich ohne Geld an lächelnder Schwermut antönt, findet sich auf knapp 200 Seiten in Gott schmiert keine Stullen, ihre eigentliche Kunst bleibt ganz an der Oberfläche, fast hält sie die Firnis, die unmittelbarste, epidermische Wirklichkeit fest. Kurowskis Menschenporträts, von Erörterungen der eigenen Zerrissenheit durchwirkt, verdichten sich zum Sittengemälde des Ruhr-ge-Beats. Ihre kompositorische Wurstigkeit macht sie mit Ansätzen zur Konzeptkünstlerin avant la lettre wett. Das entfesselte Wort wird in Gott schmiert keine Stullen zu einem erstaunlichem Buch. Es kommt unangestrengt daher, entfaltet seine Lebensklugheit ohne Belehrsamkeit und erweist sich überdies als großes Lesevergnügen.

 

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Photo: Helge Schneider

Gott schmiert keine Stullen, ein Stittengemälde des Ruhrgebiets – von Eva Kurowski, rowohlt

Reich ohne Geld, CD mit „Dschäzzz“ von Eva Kurowski, roofmusic, Bochum

 

 

 

Weiterführend →

In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution. Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Es sei Enno Stahls fulminantes Zeitdokument Deutscher Trash ebenso eindrücklich empfohlen wie Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Ebenso verwiesen sei auf Trash-Lyrik.