Bukowskis Briefe

Hundeschnauze

In Charles Bukowskis guten Gedichten spüre ich das kalkulierte Vorgehen wie die Hundeschnauze an der Backe – cool konzipierte Lässigkeit, authentisch, originell, wirkungsvoll, schreibt Theo Breuer in Aus dem Hinterland. Lyrik nach 2000. Andere Autoren kommen zu anderen Urteilen. Robert Creeley lehnte es ab, mit Bukowski in derselben Zeitschrift zu erscheinen. Hermann Peter Piwitt spricht vom albernen Bukowski. In Luftfracht, Harald Hartungs 1991 erschienener Anthologie internationaler Lyrik sind keine Gedichte Bukowskis zu lesen. Henry Miller schätzte Bukowski, und Jean Genet nannte ihn den größten Dichter Amerikas. Während Schriftsteller und Literaturkritiker sich kontrovers zu Bukowski äußerten, war er ein Liebling großer Teile des lesenden Publikums, für viele ein Mythos. Allein in Deutschland wurden mehr als 4 Millionen Exemplare seiner Lyrik- und Prosa-Bücher verkauft.

 Schreie vom Balkon

Bukowski begann mit 35 Jahren zu schreiben – Gedichte, Short Stories, später auch Romane. In Deutschland erschienen seine Gedichte in der kongenialen Übersetzung von Carl Weissner zuerst in Benno Käsmayrs Maro Verlag (1974), später in mehreren großen Verlagen wie Kiepenheuer & Witsch oder dtv. Carl Weissner begleitete seinen Freund Charles Bukowski als Übersetzer und Literaturagent bis zu dessen Tod im Jahre 1994. Elf Jahre später gab er Bukowskis Briefe aus der Zeit von 1958 bis 1994 in deutscher Übersetzung heraus. Die Sammlung erschien in dem bibliophil gestalteten Band Schreie vom Balkon bei Gingko Press in Hamburg, es ist ein Buch, dessen Lektüre zum Verständnis und zur Wertung von Bukowskis Werk und Leben wahrscheinlich mehr leisten kann als das Studium mancher literaturkritischer Untersuchungen der Gedichte und Prosatexte.

 Gutes Training

Bukowski war eifriger Briefschreiber. Wer in den sechziger Jahren Post bekam von ihm, notiert Weissner, der hatte etwas richtig gemacht. Lieferte man ihm drei Seiten, die ihn interessierten, bekam man drei bis fünf zurück.

Ich finde Briefe ein gutes Training für die schlaff gewordene Seele, stellt Bukowski fest. Natürlich brauchte er auch die richtigen Partner. Weißt du, du bist einer der wenigen, schreibt er an einen Freund, mit dem ich Tacheles reden kann, ohne befürchten zu müssen, daß du nicht mitkommst oder beleidigt bist. Was ihn bis ins Alter nicht verläßt, ist die Alkoholsucht: Nichts mehr zu trinken, meldet er dem Adressaten, also Ende vom Brief.

 Verwirrspiel

Bukowski hatte keine abgeschlossene akademische Ausbildung, ein paar Semester Journalistik in Los Angeles sowie ein Kurs für Creative Writing (der ihn anwiderte) waren schon alles. Aber er war besessener Konsument von Büchern. Tscheschov, Celíne, Artaud, Dostojewski waren geschätzte Vorbilder. In den Briefen schreibt er immer wieder über Bücher, die er gerade gelesen hat. Doch hin und wieder gibt es auch eine Bemerkung, die das Verwirrspiel um seine Person in Gang hält: Lesen macht mich hibbelig und angesengt und vollgeschwappt. Tote fettige Druckerschwärze. Das Zuknallen des Sargdeckels.

 Große Dichtung schärft ihre Klingen für kapitales Wild

Bukowskis Vorstellungen von Lyrik wurden insbesondere geprägt von der Lektüre der Gedichte Walt Whitmans und Allen Ginsbergs. In einem Brief an den Herausgeber einer amerikanischen Literaturzeitschrift verteidigt er seine narrativen, reimlosen Gedichte so: Was ist denn verkehrt an einem Prosa-Statement von 4 oder 7 oder 37 Zeilen, wenn es zwecks Klarheit und besserer Lesbarkeit wie ein Gedicht daher kommt? Und: Ich weiß, daß Lyrik zum großen Teil das Händchenhalten von einsamen Herzen ist. Aber zum Teufel, für solche Leute gibt es Klubs und Tanzabende und verschämte Küßchen auf der Terrasse. Große Dichtung schärft ihre Klingen für kapitales Wild. Das Gedicht Immer dem Fuchsbalg nach beginnt mit dem Satz: Das vollkommene Gedicht wird nie einer schreiben. Und es endet mit dem Satz: Dafür wollen wir den Göttern dankbar sein. Vielleicht liegt in diesen beiden Sätzen die Essenz seiner Poetik.

Und genau das wollte ich auch

Die meisten Aussagen über Bukowskis Leben und Werk stammen von Autoren, deren Lebenssphäre der seinen total entgegengesetzt ist. Bukowskis Leben ist von klein auf und bis in die mittleren Jahre gekennzeichnet von materieller Not, Krankheit, Alkoholismus, Spielsucht, ständig wechselnden Beziehungen zu Frauen und Einsamkeit. Unter diesen Lebensbedingungen entstehen die literarischen Texte und Briefe, ja, sie resultieren aus diesen Bedingungen:

In Inglewood war ich mal nachts um 2 betrunken unterwegs, und kam an einem Bestattungsinstitut vorbei, du weißt ja, wie die hier sind, die großen, wo lange flache Stufen hinauf führen zu so was wie einer weißen Kolonial-Grandeur, und das Ding wird die ganze Nacht grell angestrahlt. Ich stieg da rauf, legte mich auf die oberste Stufe und verlor das Bewußtsein, bis die Polizei kam und mich mitnahm. Und als der Richter das Urteil verkündete, hat er mich nicht bloß wegen Trunkenheit und Erregen verurteilt, sondern auch noch wegen Verkehrsbehinderung – ist das zu fassen? Es waren nicht viele Autos um diese nächtliche Stunde unterwegs, aber es hielten so viele, daß der Verkehr stockte, weil alle diese Leiche da auf der obersten Stufe anstarren wollten. Ich vermute mal, daß sie mich für tot hielten, und genau das wollte ich auch – dem beschissenen Volk mit dem eingepennten Leben mal die aalglatte Schlagader anstechen.

Poète maudit

Bukowskis Texte, Physiognomie und Lebensform bilden eine Einheit, exemplifizieren einen Typus, eine Gattung. Sartre nannte ihn einen amerikanischen poéte maudit. Eine Untergrundzeitschrift erklärte ihn 1965 zum Outsider des Jahres. Er wurde immer wieder von Zweifel am Wert seiner literarischen Arbeit heimgesucht (eine Erscheinung, die den meisten Autoren vertraut ist). In einem Brief notiert er: Ich fühle mich nicht so sehr wie ein Schriftsteller, sondern eher wie einer, dem ein Trick gelungen ist, und meine Verächter sehen es vermutlich genau so.

Das Material kalt halten,

fordert Gottfried Benn. Daß diese Sichtweise und Methode Bukowski, man kann schon sagen: eingeboren war, spürt man in fast allen literarischen Texten und Briefen. ›Kälte‹ als Grundstimmung, auch sich selbst gegenüber, führt – vorausgesetzt, ein Gefühl für Balance und Rhythmus des Satzes kommt hinzu – nahezu zwangsläufig zu Lakonie, die ihre starke Wirkung in den Texten Bukowskis nicht zuletzt daraus bezieht, daß seine Themen für eine lakonische Behandlung (zumindest aus Sicht des ›Normalbürgers‹) gerade nicht geeignet sind. Der lakonischen Begabung, verstärkt durch eine durch das Trinken verursachte Eintrübung der kritischen Aufmerksamkeit, fällt das Schreiben leicht, das ist gut, aber in dieser Kombination auch nicht ungefährlich: Der Schreiber schreibt zuviel, auch zu viele mißlingende Texte. Das genau war Bukowskis Defizit, der ein uneinheitliches Werk hinterließ, aber nach dem sicherlich zutreffenden Urteil von Helmut Krausser (DIE ZEIT, Dezember 2005) dennoch zu den größten und originellsten Talenten des 20. Jahrhunderts gezählt werden muß.

 

 

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Charles Bukowski, Schreie vom Balkon, Gingko Press, Hamburg 2005.

Charles Bukowski, Ein schlampiger Essay über das Schreiben und das verfluchte Leben und ausgewählte Gedichte, Maro Verlag, Augsburg 2011.

Weiterführend →

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