Von Handtellertierchen

 

Menschen sind unterwegs. Zwischen zahllosen Orten der Welt unterwegs. Mit gerichteten Blicken auf handtellergroße Geräte, wechselnd bebilderte und filmbewegte Fensterchen, die sie mit ihren verkrümmten Daumen streicheln. Daumen, die einige Generationen später eine genetische Veränderung erfahren werden. Wo immer sie ankommen, nehmen sie – nicht selten in gieriger Pflichtübung – genormte Nahrung zu sich, die es überall auf der Welt zu kaufen gibt. Bezahlt über kleine Hartplastkkärtchen, die man in kleine Lesegeräte steckt und wartet. Ging man Jahrhunderte lang stets davon aus, lesen könne nur ein Wesen mit lernbereitem Geist, so gilt das längst nicht mehr – die unscheinbarsten grauen Mäuse unter den Geräten, unscheinbar klein und kompakte Monster der Speicherkunst sind in fast jedem Raum platziert, in dem das Tauschgeschäft der Werte herrscht, Werte, die zum Greifen nah und zum Greifen fern auf dich warten. Gezwungen solidarisch wartet die dahinter platzierte Schlange mit dir, bis die Gerätemäuse  mit deiner Passwortzahl gefüttert signalisieren, dass Du zu jenen gehörst, die diese Mäuse füttern dürfen. Du bezahlst den Rest Deiner beschleunigten Lebenserfordernisse mit Daumenstreicheln über viele solcher  Geräte. So klein sind einige, ein kleines geometrisches und an den Ecken leicht abgerundetes elektronisches Tier, die Handfläche bedeckend. Lebendig an ihm ist die durch Deine Körpernähe verursachte Wärme.

Menschen sind mit Fingern in der unermesslichen Welt unterwegs. Finger die tippen und wischen. Worte und Zahlen werden getippt, Bilder und bildähnliche Erscheinungen auf den kleinen Displays werden gewischt, vor- und zurückgewischt.  Diese Wischvorgänge suchen die Erinnerung zu provozieren oder diese auszulöschen. Manchmal kommt auch der Zahlenzeigefinger zum Einsatz, so, wenn wir in die Form der zweidimensionalen Kommunikation wechseln möchten, und wir auch die Stimme zum Einsatz bringen möchten. Dann halten wir das Gerät an ein Ohr und sprechen in den Raum hinein, die Worte und Sprach- und Hintergrundgeräusche aufgesogen durch ein kleines Loch, so winzig, dass nicht einmal eine Wanze hineinkriechen kann. Das fängt Sprechen und Gegensprechen auf und schickt es in alle Winkel dieser Welt.

Wenn Du Fensterchenbediener mit ihren Handtellertierchen unterwegs beobachtest, stellst Du Dir vor, die Welt sei voller Unsichtbarkeiten. Besonders, was jede Ausprägung von Persönlichkeiten betrifft, – sind wir nicht durch bildhaft geschaffene Tatsachen längst bedeutungslos geworden?  Denn das Gegenüber, das wir vor uns haben, verbirgt seinen antastbaren Pixelcode im Äther. Die Orte, zwischen denen sie, diese kleinen Geräte mit den beweglich bebilderten Fensterchen mit gekrümmtem Daumen gestreichelt unterwegs sind, an denen das Wesen Mensch hängt, irgendwie immer hängt und wirklich so hängt, dass es Greifbares aufgeben würde, auch Liebenswürdiges, Tröstliches, Vertrautes, bevor es darauf verzichten würde für nur wenige Stunden, diese Orte, an denen sich die an den Handtellertierchen hängenden Wesen aufhalten und zunehmend weniger bewegen als vielmehr bewegt werden, ähneln einander zunehmend in ihren architektonischen und mentalen Strukturen. Sie sind bescheunigte Orte geworden, unzuverlässig einst, nun gesicherte Promenaden, Portale, Bühnen und  Auffanglager für Signale jeder Collör. Bald wird man diese beliebigen Zielorte blind in aller Welt betreten können. Auch, ohne sich von der Stelle zu rühren. Die bevorzugten Orte mit denselben Namen kannst Du überall in der Welt aufsuchen, und dort überall wird man dieselben Produkte mit den ihnen verbundenen Gesichtern, Sprüchen und Bewegungen finden, deren Erscheinungsformen und vertrauten Benennungen in den kleinen Fensterchen per Bildwechsel, Textrhythmik und regulierbaren Stimmchen angekündigt werden. Jeder weiß über jeden, wo er sich befindet, auch, wenn er ihn nicht kennt. Meistens sitzen sie irgendwo, diese Fensterchengeräte mit der lebendigen Ausprägung einer Autonompersönlichkeit daran. Dieses Irgendwo markiert das Unterwegsbleiben, selbst, wenn wir zu Hause sind. Der Kopf ist angefüllt mit Millionen von Stationen zwischen winzigen Strecken ohne wirkliches Vorwärtskommen mit einem Ziel im Blick. Vor vergrößerten Versionen dieser kleinen Geräte an ihren Arbeitsplätzen tauschen sie weithin – diesmal gekonnt alle zehn  Finger die Tasten berührend, Nachrichten, Stimmen und Konterfeis, unterbrochen von grellen Bildern und Stimmen, die neue Produktfavoriten ihrer gegenwärtigen und kommenden Vorlieben auf rasend pulsierenden Oberflächen ankündigen. In ihren Autos arbeiten ohne Deinen Einfluss längst diese Fensterchen, sie arbeiten zu Hause in ihren Kellern, auf den Dachböden, in Schlaf- und Kinderzimmern, Ab- und Abstellorten, in den meisten Innenwelten ihrer Benutzer. In Läden, Fabriken, in  allen Arbeits- und Bürogebäuden, Zoos, Praxen, Museen, auf den Straßen, Bahnhöfen und Flughäfen. Ja, neuerdings auch in Schulen, Kindergärten und Träumen, strahlen vergrößerte Versionen mit wechselnden Bildern und Stimmen nach berechneten Wiederkehrrhythmen auf uns herab. Hier muss niemand sie bedienen, denn das sind Geräte, die den Menschen selbst unmerklich zu einsamen Dienern ihrer favorisierten gegenwärtigen und künftigen Produkte machen, mit denselben Namen und Aufdrucken, Verpackungen und Gerüchen in aller Welt, an jeden verborgenen und doch erreichbaren Ort, immer an derselben Stelle in der großen Ordnung der Zugriffsfberechnungen.

Damit Menschen – auf diese längst unverzichtbare, unumkehrbar banale, Lebenszeit fressende Weise – überleben können – wo sie auch immer in den Großstädten, auf den Straßen, im Dickicht scheinfremder Ausgesetztheit, in den Expresszügen und Airlines unterwegs sind, mit denselben Vorlieben, Geschmäckern und Mundgerüchen, Körperausdünstungen- und Bedeckungen, mit denselben Daumen- und Zeigefingerbewegungen, schwinden die Wälder und natürlichen Gewässer mit ihren Ufern und einst unkontrollierten Bewachungen und Bewohnern, den Säuge- Wild- und Weichtieren, mit den Vogel- Käfer- und Insektenwelten unter dem Geprassel von Giftfontänen und im Sturzgewitterlärm der Kettensägen und Bagger, verschwinden unter einer alles befriedenden Decke aus gepresstem Giftstaub und Asphalt, über die ihre vereinsamten Besitzer, in motionale Ganzkörpermasken gepresst, in ferngesteuerten Kabinen ihrer längst kalkulierten Auflösung entgegenjagen.

 

 

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Lesen Sie auch das Kollegengespräch, das A.J. Weigoni mit Angelika Janz über den Zyklus fern, fern geführt hat. Vertiefend ein Porträt über ihre interdisziplinäre Tätigkeit, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ebenfalls im KUNO-Archiv: Jan Kuhlbrodt mit einer Annäherung an die visuellen Arbeiten von Angelika Janz. Und nicht zuletzt, Michael Gratz über Angelika Janz‘ tEXt bILd