Von Wichsern, Gutmenschen, Spitzbuben und Coronazis

 

In einer Zeit, in der sich alle liebhaben sollen und man am liebsten alle Schimpfwörter verbieten würde, weil sich irgendjemand davon verletzt fühlen könnte, kommt Falko Hennig mit dem „Schimpfwörter-Sammelsurium“ um die Ecke. Und da stehen sie alle drin: der Arsch, der Gutmensch, der Berserker, der Neger, das Opfer, die Schlampe. Und noch viel, viel mehr.

Das Buch basiert auf Falko Hennigs Kolumnen aus der Schimpfwortforschung, die er von 2012 bis 2021 für die Berliner Zeitung in der Rubrik „Unterm Strich“ schrieb. Entsprechend sind die Einträge zu jedem Schimpfwort in seinem Buch kurz, knackig und feuilletonistisch gehalten. Es sind allerdings nicht exakt dieselben Texte wie in den Kolumnen, sondern, wie Hennig in der Einleitung schreibt, meist die längere Fassung – was also für die Kolumne rausgekürzt werden musste, hier findet man es.

Es ist ein humoriges, augenzwinkerndes und sehr detailreiches Büchle geworden. Es ist ein Büchle geworden, das man gern ständig auf dem Nachttisch liegen hat und in dem man immer mal wieder schmökern muss. Ich habe es mir angewöhnt, beim Zubettgehen ein Kapitel zu lesen – nicht mehr, aber auch nicht weniger, und das war genau richtig.

Man merkt, dass Falko Hennig Spaß daran hatte, den Schimpfwörtern hinterherzuforschen. Er stöberte in Lexika, grub in Literaturklassikern auf der Suche nach spektakulären Vorfahren der heute gebräuchlichen Schimpfwörter und fördert so oft wahre Goldnuggets zutage. Er vertieft sich in die Wortetymologie, zitiert Gedichte, erzählt und informiert, und das macht er wirklich gut. Vieles war mir neu, obwohl ich selbst ein begeisterter Etymologe bin, und ich fand es hochinteressant, von Hennig in die Geschichte der Schimpfwörter entführt zu werden. Dass beispielsweise der „Berserker“ etymologisch ein „Mensch im Bärengewand“ ist, wusste ich nicht. Oder die facettenreiche Entwicklung des Wortes „Fotze“ – kannte ich bisher nur teilweise. Für mich als Sprachforscherin, die immer noch am liebsten in den Steinbrüchen der Wörter herumbuddelt, ist das Buch eine Schatzkiste.

Schön ist auch der objektive und sachliche Stil Hennigs. Im Kapitel „Gegenwart“ werden die „C-Wörter“ analysiert, also die Schimpfwörter, die seit 2020 im Zuge von Corona unseren Wortschatz erweitern: Covidiot, Coronazi, Impftrödler, Wirrologe, Querdenker und viele mehr sind da versammelt. Wohltuend ist: man bekommt diese oft emotional hochbelasteten Wörter hier völlig unpathetisch serviert, ohne die zähe, klebrige „Haltungs“-Soße, die ja aktuell noch gerne und reichlich überall drübergekippt wird. Vielmehr beschränkt sich Hennig darauf, die Corona-Wörter sachlich zu beschreiben: wie sie aufkamen, wen oder was sie bezeichnen (sollen), wer sie gebraucht und wer nicht. Auf diese Weise kann man diesen Eintrag im Buch auch noch in hundert Jahren lesen, wenn deie politisch-moralische Hysterie verpufft ist und man einfach gern wissen möchte, was sie bedeuten, ohne gleich hyperventilierend und shitstormgepeitscht in eine Gesinnungs-Ecke verfrachtet zu werden.

Ich fühle mich auch geehrt, in diesem Buch in der Danksagung aufzutauchen. Das hängt damit zusammen, dass Falko Hennig für seine Kolumne vor einigen Jahren auf Facebook die Frage in die Runde warf, ob jemand wisse, warum eine bestimmte Sorte schwäbischer Kekse „Spitzbuben“ heißt. Ich wusste die Antwort und schrieb sie ihm; sie steht jetzt in diesem Buch.

Insgesamt also eine sehr gelungene und lohnende Publikation. Erfreulich auch, dass es wenig Tippfehler gibt – anscheinend legt der Omnino-Verlag mehr Wert auf Lektorat als so mancher Kleinverlag.

 

 

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Schimpfwörter-Sammelsurium, von Falko Hennig. Omnino-Verlag Berlin 2022

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