Der Kreuzfahrer

Hans Adalbert von Maltzahn

zum Angedenken

Die Kreuzfahrer bringen Geläut in die Stadt Jerusalem und die Sünde überwuchert die stolzen Muselblumen der Wege. Ich zerblättere die Sünde wo ich sie finde, die heimlichen Knospen des Christen, der mich einlud zu seinen Töchtern in den Garten. Die haben blaue Augen und gelbe Haare und sie sagen, der Schnee ist auch gelb. Und es wird schneien in ihrem Garten, denn Bäume mit kühlem Laub stehen darin: wie nennen doch die Schwestern die Blumen auf den Beeten? Es läutet wieder, immer, wenn neue Kreuzfahrer durch das Tor in die Stadt ziehen. Schön sind die und groß, wie Türme aufgerichtet. Auf ihren Helmhauben steht das Kreuz. Ich trage, seitdem ich in Jerusalem im Garten des reichen Kaufmanns bin, das heilige Kriegskleid meiner Heimat, im Gürtel den Dolch, der ist gebogen und unentwendbar, wie die Mondsichel. Die Schwestern meinen, so sei es Sitte bei uns in der Stadt. Sie schwärmen für mich und bedauern, daß ich kein Prinz bin; streuen Vergißmeinnicht den Kreuzfahrern über den Pfad, die sehen die kleinen himmlischen Tropfen nicht; manchmal jedoch streifen ihre Blicke die Engelsgesichter mit tapferer Andacht. In Betten schlafen die beiden Blauäugigen in der Nacht und sie lachen über mich, als ich sie fragte, zu was die wären. Über ihren Betten schwebt ein Vergißmeinnichthimmel – – – unser Jenseits ist verschleiert. Wenn ich eine der Töchter des Christen wäre, ich schenkte dem Kreuzfahrer, der am Morgen durch das Tor in die Stadt zog, ein Bett aus atmendem Holz, wie ihre Haut so weiß, denn er fror in der milden Frühsonne. Ich drohe mir mit meiner blitzenden Sichel, seitdem er über den Zaun in den Garten blickte, und mähe das süße Gegold meines Herzens. Seinen Namen weiß ich zu nennen, die Schwestern lasen ihn im Kirchenbuch über seiner Schulter hinweg – getürmt und steil ist seine Schrift – ich folge den Ungläubigen in die Kirche. Seitdem dämpfen Wölbungen der Moscheen meine aufgerichteten Träume. Es sind nun zehntausend Christen in Jerusalem, wollen die Sünde ausrotten – – es kann nicht soviel wachsen. Und Kreuze sticken des Kaufmanns Töchter auf zarten Liebesbändern, die keimen auf, wie die glatten Wege der Heimlichkeit. Aber die Kreuzfahrer küssen der Engelhände Kreuzarbeit mit siegreichem Lächeln. Ihn sehe ich nie unter den Beschenkten; sucht er doch meinen Mund im Frühstern. Das heilige Kriegskleid meiner Heimat trägt nun mein Vetter Ichneumon von Üsküb, aber seine Arme zittern vor Liebe und können sich nicht gegen den Feind halten. Sein ganzes Heer rauscht, wie ein Herz, wie mein Herz und sie alle sind geliefert den Christenhunden. Ich liege unter dem Himmel der beiden Schwestern, ich habe die asiatische Distel; Stacheln sitzen in meinen Gliedern, und die unbarmherzigste bohrt sich in mein Herz. Engel, zwei – – sehen blau über mein Angesicht und kämpfen mit der Taube Mohammeds, die will meinen Schleier zerpflücken. Ich mag aber die Engelguten nicht leiden, weil sie Christinnen sind. Und steige doch in der Nacht heimlich über den Zaun des Gartens in das Kirchenschiff. Dort auf dem Balkon sitzt der Ritter und spielt die Orgel, im langen, feierlichen Hemd, Choräle, Totenbalsam dringt aus den sterbenden Tönen. »Ritter, die Könige von Sinai ließen Klageweiber für ihre Toten heulen und zu den Freudenfesten ihrer Harfen färbten sich die Lippen der Greise rot und ungeborene Knaben pochten an leibgoldene Tore. Als ich vor dem Kirchenaltar anhub nach deinem Choral zu tanzen, sank mein Leib ein: grämige Mondscheibe, der eben noch der spielendste Stern war inmitten der Sterne«. Da fiel Schnee auf die Wangen des Ritters und ich sah, daß der Schnee weiß war, nicht der Schwestern Haarfarbe gleich. Stehn immer am Zaun mit ihren gefärbten Schneehaaren und bescheeren die Kreuzfahrer mit süßer Frömmigkeit. Und sie möchten ihnen ein Bett bereiten aus atmendem Holz, wie ihre Haut geglättet. Du aber, Ritter, sollst auf einem tanzenden Stern schlafen in der Nacht! Und ich klettere mühsam über den Zaun des Gartens, aus meinem Zeh wächst ein kleiner Distelstrauch. Und der Krieg wütet in Bagdad. Die Wüste ist unserer Krieger Schild. Aber mein Vetter verliert jede Schlacht. Eine Abtrünnige ist das heilige Gewand der Stadt, sein Kriegskleid dem Feinde zugetan. Ich werde halbgenesen in meine Heimat getragen, Bagdad des heiligen Kleides wegen Rede zu stehen. Mein Vater hält [82] meine beiden Hände umschmeichelt, ihre Finger sind wie müde Strahlen. Aber Kriegslust blendet meine Augen. Ichneumon von Üsküb steht schon vor unserem Palast. Ich ziehe den letzten Distelsplitter aus meinem Zeh – – abbarebbi, lachajare, lachajare! Begeisterte Kriegsmusik trägt mich auf ihren Schultern durch die Straßen. Ich schlage die Christenhunde noch in derselben Nacht. Mein Vater hütet meinen Mut und meine Tapferkeit, wie zwei Enkelkinder. Nie zog eine Prinzessin von Bagdad in die Schlacht. Nur der Vetter läßt seine schnüffelnde Lippe hängen: er habe sich im Zitronenwald aufgehangen und konnte nur morgens den Baum nicht wiederfinden. Wenn der Mond rund ist, wollen wir nach Jerusalem. Aber die hohen Krieger im Kriegsgebäude sind nicht einverstanden mit den Aufzeichnungen meiner Feldpläne. Ihre Sinne verwirren sich auf der Tafel; doch der Großwesir belehrt sie: Allah’s Geist sei über mich gekommen. – Manchmal fühle ich, meine Blicke sind blau und fliehen meines Vaters Angesicht. In meinem Auge steht der junge Kaiser Conradin in der Helmhaube und dem Kreuz. Aber mein Vater prüft täglich meine Ausrüstung und die Fußgelenke meines Dromedars: alt ist er geworden. Ismael Hamed, der Sohn des Großwesirs, wird ihm in der Zeit, wo wir die Eindringlinge der Hauptstadt vertreiben werden, Gesellschaft leisten. Der versteht seine Sonderlichkeiten zu verzärteln. Und mein Vater wünscht, daß ich vor der großen Schlacht mit Ismael Hamed Hochzeit feiere. Ich erkläre aber meinem ehrwürdigen Pascha, die Mumien im Gewölbe seines jungen Freundes entsprächen nicht der Zahl, die einer Prinzessin von Bagdad zukämen. Meine Dienerin hatte einen Traum, ich saß hochzeitlich gekleidet in der Prachtsänfte Ismael-Hamed-Mordercheis, Ismael Hamed sein Sohn lag im Gewölbe. Der Großwesir wüßte schon meine ringende Seele um die Schulter zu tragen, aber meine Küsse schließen sich vor Spätsommerlichem. Er beschenkt mich mit den eigenartigsten Geschenken: Einen Ring, in seinem Stein spiegelt sich der Sinai und Ohrgeschmeide, in ihrem Gehang läutet eine winzige Uhr alle zwei Stunden zum Gebet. Und zwei Albinoneger, die mich in den Krieg begleiten sollen, daß mich die Schwermut nicht befalle. Immer, wenn mich die vier weißäugigen Augäpfel mit den roten Punkten anglotzen, lache ich, daß meines Dromedars Buckel wackelt. Abbarebbi, abbarebbi, lachajare! Mein Träger setzt mit mir über die weitesten Schluchten, trabt dem Heere voraus über frühbeschienene, üppige Pfade, über Lippen rotentlang. Schon sehen wir die Tore der Stadt. Meine Krieger fallen zur Erde und murmeln Sprüche des Korans. O, wie ich den schlichten Turm des Kreuzes hasse! Die frommen Muselmänner aus Mekka und Medina, die Leute aus Jemen, aus Tyris, Beduinen, die Bewohner von Ninive und den anderen Eufratländern, die Egypter, die Philister, die Edomiter, Amoniter, Hethiter, die Stämme der Juden: Chaldäer, Saduccäer, Judäer, die Urenkel Davids, die Söhne der Leviten und ihre Väter, die hohen Jehovapriester, Talmudgelehrte aus Damaskus stehen auf mit mir wider das Christentum. Ich blicke über mein stolzes Heer, abbarebbi, lachajare – – – – – – auch Ismael-Hamed-Morderchei folgt meinem Zuge – – – Lachajare!

Die beiden Töchter des reichen Kaufmanns werfen sich vor die Füße meines Dromedars, beschwören mich um Christi willen. Ihre Vergißmeinnichthimmel bluten, wie die Wunden der Ritter. Hinter den Hügeln der Stadt kam es zum Kampf. Wir drangen in die lästigen Kirchen der Ungläubigen ein. Ich und meine Krieger zerschmetterten die Altare und Heiligtümer; oben auf des Turmes Kreuz spießte Ichneumon von Üsküb den Knappen des jungen Kaisers auf. Ließ dem Vetter zur Strafe für seine Grausamkeit den Turban nehmen. Ich träume des Nachts verborgen hinter der Wimper des Ritters; ich hörte ihn Choräle spielen in der Zeit seines Gottes Häuser starben, stand unermüdlich mit dem Rücken an der kleinen Pforte des Balkons gelehnt, hinter der er im langen feierlichen Hemde saß. Ich küßte ihm die Kniee, ich die Prinzessin von Bagdad – – – blutige Zeichen hinterließen meine Küsse. Ich muß so sanft weinen, ich, Allah’s Kriegerin; auf toten Worten legte ich meine Hand zum Schwur. Ismael-Hamed-Morderchei tritt in mein prunkendes Zelt, er ist europäisch gekleidet wie die Herren des fremden Amtes unserer Stadt; streicht er über die erwägende Stirn, tritt eine höfliche Kühlung zwischen ihm und dem Sprecher ein. Sein Bart ist keine Wolke, wie der meines Vaters; durch den Scheitel seines Kinnhaars leuchten Steine aus Edeltrunk. Mit wohlgepflegter Gebärde nimmt er aus meiner Hand das Schreiben des jungen Kaisers Conradin entgegen, der um Frieden bittet. Seine beiden Abgesandten halten sich staunend umschlungen. Sie glauben, ich bin aus Tausend und einer Nacht. Den Großwesir ergötzt es, ihre Vorstellungen zu bestärken. Auf das Gefunkel meiner Stirne weist er, auf meine Hände, die Bilder des Mondes sind, nichtsdestoweniger den Speer zu werfen verstehen. Mich überrascht sein Spott, mit dem er das königliche Schreiben durchfliegt, ich kann es nicht glauben, daß die helllockigen Boten von meinem Vetter bestochen sind, aber der Großwesir liefert sie nach abendländischer Sitte wieder dem feindlichen Heere aus. Vielleicht sind sie am Abend schon tot. Ichneumon von Üsküb meldet sich krank. Des Feindes Schwert zerspaltete an seinem eigensinnigen Gesäß; aber ich höre durch das Schreien des vergossenen Blutes seine Lockrufe und ich vermisse meine glotzäugigen Scheusäler; die lieben ihn, er läßt sie zur Belustigung wie zwei Hunde über seinen Arm springen. Er weiß, ohne sie kann ich das Herz des Kaisers nicht durchbohren. Der naht in der vordersten Reihe des Feindes. Das heilige Kriegskleid umhüllt mich, wie eine erstickende Sonne, meine Arme beginnen zu vertrocknen, und mein Atem qualmt in die Augen meiner Krieger … Wie nie Dagewesenes öffnet sich mein Angesicht über späte Tanzleiber und Tempel. Meine beiden Neger trillern ihren gellenden Kriegsschrei, immer wenn mein Speer die Brust eines Ritters durchbohrt. Der Großwesir treibt die Spaßmacher vor meinem Dromedar her, sie schlagen mit ihren Zähnen harte, betäubende Musik, und tanzen dazu: Abbarebbi, abbarebbi, abbarebbi, abbarebbi, lachajare! Hu hu u u u u u u u u u

Als Conradin der junge Ritter und Kaiser begraben war, kam seine Mutter zur Pilgerfahrt nach Jerusalem, und wie sie meinen Negern begegnete, lachte sie über die Unnatur. Ich küßte ihr Gewand – – abbarebbi, lachajare, lachajare ……. abbarebbi!!

 

 

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Der Prinz von Theben, ein Geschichtenbuch von Else Lasker-Schüler. Paul Cassirer, Berlin 1920

Ab 1910 wendet sich Else Lasker-Schüler allmählich von der weiblichen Erzählposition ab und lässt Jussuf – der in etwa als biblischer Joseph genommen werden kann – zu Wort kommen.Im vorliegenden ziemlich archaischen Geschichtenbuch tritt Jussuf, der titelgebende Prinz von Theben, allerdings nur in der Geschichte Abigail der Dritte auf und stirbt am Ende dieser überschaubaren Episode. Folgerichtig ist in den nachstehenden letzten drei Geschichten des Buches höchstens von dem toten Prinzen die Rede.

Die erste Geschichte – Der Scheik – und die letzte – Der Kreuzfahrer – sprechen unter anderen jeweils die Sühne zwischen den Religionen an und machen somit das restliche, zumeist schaurig-schreckliche Geschehen ein klein wenig erträglicher.

„Die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte“, sagte Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler. Sie bewegte sich wie eine Märchenfigur durch Berlin und fiel mit ihrer exzentrischen Erscheinung auf.
Else Lasker-Schüler, geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld.

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