Social Beat & Beat

 

2021 gab es von Januar bis Mai eine Ausstellung über den legendären Social Beat im Literaturhaus Stuttgart. „Social Beat & Beat: Ein literarischer Urknall“ hieß das Ganze. Bei Killroy Media gibt es jetzt die DVD zur Ausstellung. – Ein Kommentar von Ní Gudix:

Das Wort „Urknall“ im Zusammenhang mit Social Beat ist lachhaft. Social Beat war kein Urknall, sondern ein Fürzchen. Ein Pups im Kies. 1994/95, dann war es vorbei. Und wenn Jörg A. Dahlmeyer auf Facebook schreibt, die Festivals seien „wie Woodstock“ gewesen, ist das genauso albern.

Im Video sieht man u.a. Joachim Schönauer und Boris Kerenski in der Ausstellung. Dort sind bunte Plakate zu sehen, Büchertische mit den Social-Beat-Bibeln drauf, etwa der Anthologie „Downtown Deutschland“ aus dem Isabel-Rox-Verlag oder der Trilogie „Social Beat SLAM!poetry“ aus dem Hause Killroy, und Gemälde der großen Vorbilder von Jim Avignon hängen an den Wänden. Und es wird dann erzählt, wie der Social Beat aus dem Beat entsprang.

Das Problem beim Social Beat war aber meines Erachtens nach, dass er zuviel Fake und Kopie war und zuwenig originell. Schon sein Name erinnert ja an die Vorbilder; ohne die Vorbilder des amerikanischen Beat und des deutschen 68er-Undergrounds gibt es den Social Beat gar nicht. Kerouac, Ginsberg, Burroughs und Konsorten, dann natürlich Bukowski, Bukowski, Bukowski, und schließlich Rolf Dieter Brinkmann, Hadayatullah Hübsch, Jürgen Ploog, Jörg Fauser – der Social Beat schleppt ständig nur die Schilder mit sich rum, auf denen die Namen der Vorbilder stehen, und ohne diese Schilder ist der SB überhaupt nicht existent. „Wir können das auch!“, das ist das, was die Social Beater dem Publikum mitzuteilen hatten. Die Literatur der 90er Jahre in Deutschland kann auch wild, enthemmt usw. sein, wir können auch so schreiben wie die großen Rebellen des Beat! – Das ist ja schön und gut, aber für eine literarische Bewegung ist das zuwenig. Nur ein bisschen Lookalike und Möchtegern reicht nicht. Sicher, der SB richtete sich gegen die „etablierte“ Literaturszene, und das war zunächst auch ein echtes Aufbäumen und Sich-Frei-Schreiben, aber er verfestigte diese Pose im Laufe der Jahre, oder besser gesagt: die Rebellion wurde zur Pose, stagnierte und verkümmerte. Spätestens 1997 war der Social Beat als solcher erledigt.

Wenn man die Dichter nicht persönlich kannte und nicht zu den Festivals fuhr, sondern nur die Gedichte und Stories las, dann sprang der Funke nicht über. Ich war Mitte der 90er Jahre Studentin in Konstanz, ich bestellte mir Zeitschriften wie Cocksucker und Krachkultur, weil ich diese neue literarische Bewegung kennenlernen wollte – und war dann ziemlich angeödet. Einige Texte hatten wirklich Pfiff und Power, aber im wesentlichen hatte ich den Eindruck: seichte Geschichtchen, und die Pointe hatte irgendwas mit Sex, Suff und Drogen zu tun. Und das war’s dann auch schon.

Für die, die dabei waren, war es bestimmt eine tolle Zeit und eine geile Sause. Man kann das auch in der MAULhURE von 2022 nachlesen, in der man ein Special „30 Jahre Social Beat“ findet. Kersten Flenter, Robsie Richter, Roland Adelmann und diverse andere schreiben darin ihre persönlichen Rückblicke auf ihre wilden Jahre.

Schade, dass man in der DVD davon nichts sieht. Auf dem Cover ist der junge Michael Schönauer abgebildet, offenbar „voll in action“ auf einer Bühne, und ich hatte gehofft, auf der DVD altes Filmmaterial oder Fotos der Social-Beat-Festivals zu sehen. Statt dessen nur ein braves Abfilmen der Ausstellung und altgewordene Rebellen, die von früher reden. Naja – schade…

 

 

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Die DVD ist ab sofort gegen eine Schutzgebühr von 10 € hier im Buch-Shop erhältlich des KILLROY media Verlags erhältlich.

Social Beat – Stimmen aus dem popliterarischen UntergrundTaschenbuch (14,5 x 21 cm), 40 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, Edition Hibana 2021

Rückblick in einer Zeit, in der sich junge Autoren in der Pose des Rockstars gefallen haben.

Weiterführend →

Obwohl die nonkonformistische Literatur ehrlich und transparent zugleich sein wollte, war gegen Ende der 1960er nur schwer zu fassen, die Redaktion entdeckt die Keimzelle des Nonkonformismus in der die Romantiker-WG in Jena. Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.