Geh mal Arbeiten! Arbeiten Arbeiten

war ein Klassiker von Hadayatullah, bei dem wir gerne und ausgelassen mitgegrölt haben wie euphorisierte Literatur-Hooligans. Er war schon so was wie der Übervater für uns. Ihm war keine Lesung zu weit, ihm war keine Anstrengung zu gross, er mischte in der Social Beat-Ursuppe mit wie ein junger Spund, besass auch einen großen Vorteil gegenüber uns: Er trank nicht und nahm auch keine Drogen. Er war immer einer der Höhepunkte unzähliger Veranstaltungen, gewann 1995 mit einem siebenminütigen Rap-Gedicht die zweite deutsche Literaturmeisterschaft durchgeführt vom Krash-Verlag in Köln – eine Zeitung titulierte ihn dabei als «Bühnenvulkan». Und das war er tatsächlich. Als mich 1995 ein Betreiber einer Indie-Disco namens Planet aus Bochum ansprach, ob ich nicht Lust hätte, einen Slam zu veranstalten, dachte ich nur, ach du Scheisse, wie soll ich das denn organisieren, ausgerechnet hier, wo das Interesse an Underground-Literatur gegenüber Metropolen wie Darmstadt, Braunschweig oder Hannover äusserst gering war. Der gute Mann hatte eine Show im legendären Nuyorican in NY gesehen und war von dem Format völlig begeistert, nur wer sollte denn da lesen? Also überlegte ich mir, Einzelshows zu veranstalten, um mich überhaupt einmal an die Sache heranzutasten. Als erster fiel mir dafür Hadayatullah ein, der Bühnenvulkan eben, der auch bereitwillig antrat. Die Show als Fiasko zu bezeichnen, wäre übertrieben, aber aufgrund von Organisationsmängeln – so waren bereits viele Leute abgezogen, weil sie fehlinformiert zu früh aufgetaucht waren, Einlass war jedoch erst um 22 Uhr (sic!) – waren nur ein Handvoll Leute gekommen. Hadayatullah bemerkte deshalb süffisant, dass ich ihn wohl extra in das Haifischbecken gestürzt hätte, statt selbst auf die Bühne zu steigen, womit er nicht Unrecht hatte. Es wurde aber trotzdem ein netter Abend, nicht zuletzt, weil wir Wolfgang Welt kennen lernten, der unbedingt Hadayatullah treffen wollte.
Aber noch mal an den Anfang der Geschichte. Das erste Mal, dass ich mit ihm in Kontakt kam, war durch seine Zeitschrift Holunderground. Damals konnte ich ihn nicht recht einordnen, kannte Jürgen Ploog, Daniel Dubbe, aber Anfang der 1990er eröffneten sich viele neue Welten für mich. Die Ereignisse sollten sich schliesslich 1993 auf der Mainzer Minipressenmesse überschlagen, und so trafen sich gut 20 übermotivierte Literat*innen bei Olli Bopp auf der Terrasse, die in neue Dimensionen vorstossen wollten. Mittendrin Hadayatullah, für uns der Alterspräsident, der uns mit Rat und Tat beiseite stand, hatte er doch wenige Jahren zuvor versucht, mit den 60/90-Treffen den literarischen Untergrund neu zu beleben. Manchmal kann mensch das eben nicht steuern, und es muss erst eine bierselige Runde her, das Unmögliche möglich zu machen. Wir waren jung und zu allen Schandtaten bereit, und Hübsch begeistert ob unseres Tatendrangs, was ihn wohl wieder zu neuen Höchstleistungen anspornte. Unbestritten war er eine zentrale Figur in der ersten Hälfte der 1990er mit der deutschen Literaturmeisterschaft als absolutem Höhepunkt eben, egal, was mensch von diesen Wettbewerben hält.
Nach dem Abend im Planet sassen wir noch lange in unserem Wohnzimmer auf unserer legendären Couchgarnitur, auf der so viele Dichter ihren Rausch ausgenüchtert hatten; ein Designerstück aus den 1970ern, das bei Freunden ungenutzt im Keller herumgestanden hatte. Ich hatte natürlich erhöhten Redebedarf, quetschte Hadayatullah regelrecht aus, aber wie es oft bei mir ist, hab ich leider völlig vergessen, worüber wir im Detail geredet haben. Auf jeden Fall meinte er gegen 4 Uhr, dass er langsam schlafen müsse, lächelte mich dabei wieder süffisant an, meinte, er sei schliesslich nicht mehr der Jüngste und bräuchte eine gewisse Regeneration. Ich mit meinen 25 Jahren hatte an so was wie Schlaf überhaupt nicht gedacht und merkte plötzlich, auch ein Bühnenvulkan wird mal müde. In den Folgejahren veränderte sich der Social Beat rasend schnell, schliesslich überholte ihn die Slam Poetry, womit ich mich zurückzog. Andere wie Jan Off, Jaromir Konecny und eben Hübsch räumten in den ersten Jahren dabei ab, Lesungen fanden aber immer weniger statt, und so traf ich ihn nur noch selten. Vor seinem Tod hatte ich ihn einige Jahre nicht mehr gesehen, aber jedes Mal, wenn ich an die Couch denke, muss ich auch ihn denken. Ich wollte sie schliesslich einem 70er-Jahre-Design Museum verkaufen, weil so viele Erinnerungen mit ihr verbunden waren, aber weil sie den Betreibern doch etwas zu verschlissen war, kam der Deal nicht zustande, und im strömenden Regen mussten wir sie an den Strassenrand stellen. Am Morgen war sie verschwunden. Vielleicht schläft ja irgendwo Hadayatullah auf ihr, nach einem anstrengenden Rap-Vortrag.

 

 

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.