Lichtstreifen wanderten über die Bücherregale

Sag mir etwas, das nicht verschwindet. Was war, ist weggeraten. Auf der Hand klebt der Gedanke den Flügelschlag eines Vogels lang.

Alfred Kolleritsch

Alfred Kolleritsch. Photo: Dnalor 01

Der Lyriker und Romanautor Alfred Kolleritsch machte Graz für eine Weile zum Zentrum der deutschsprachigen Literatur. 1959 war er Mitbegründer und von 1968 bis 1995 Präsident des Forum Stadtpark in Graz. 1960 gründete er eine der wichtigsten österreichischen Literaturzeitschriften, die manuskripte, als literarische Plattform des Forum Stadtpark, in der er vor allem experimentellen Autoren eine Möglichkeit der Veröffentlichung bot und die er zuletzt mit Andreas Unterweger herausgab. Dies war in der Gründungszeit ein gewagtes Unterfangen. Zuerst erschienen die manuskripte dreimal, dann viermal pro Jahr. Einen „begleitenden Lernprozess“ für das eigene Schreiben nannte Kolleritsch rückblickend die Arbeit an der Zeitschrift, geschult sicherlich auch an der Notwendigkeit, zahlreiche Textangebote abzulehnen – wer auf diese Weise den eigenen kritischen Blick schult, wird ihn auch an die eigenen Texte anwenden müssen. Bereits ein Jahr nach der Gründung waren neben der „Grazer Gruppe“ auch Autoren der „Wiener Gruppe“ mit ihren Arbeiten in den manuskripten vertreten. Der Autorenkreis erweiterte sich von Jahr zu Jahr und ab 1976 fanden auch Symposien statt. Seit 1995 sind die manuskripte unabhängig vom Forum Stadtpark und werden vom „manuskripte Literaturverein“ herausgegeben. Kolleritsch verhalf mit den manuskripten Autoren wie Barbara Frischmuth, Klaus Hoffer, Gert Jonke, Helmut Eisendle, Gerhard Roth, Peter Handke und Elfriede Jelinek.

Es gibt, glaube ich, keinen, der sich im Schreiben der Vorläufigkeit so bewußt ist wie Kolleritsch. […] Denn dieser Schriftsteller zwingt uns garantiert zu nichts, er zeigt uns nur alles.

Elfriede Jelinek

Wie seine Prosa sind Kolleritschs Gedichte häufig rätselhaft und dunkel, bohrend und nachdenklich, versuchen sie der Welt gleichermassen denkend wie betrachtend auf den Grund zu gehen. Für seinen dem Gedichtband „Einübung in das Unvermeidbare“, für den der Grazer 1978 den Petrarca-Preis verliehen bekam (sein alter Kumpel Handke saß in dessen Jury), später erhielt er für sein lyrisches Gesamtwerk auch den Georg-Trakl-Preis. Gestern starb er in Graz.

 

 

 

 

Weiterführend →

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