Tom Täger und A.J. Weigoni kommt das Verdienst zu, die Lyrik nach 400 Jahren babylonischer Gefangenschaft aus dem Buch befreit zu haben.
lyrikwelt.de
Das in der Edition Das Labor erscheinende Hörbuch Gedichte faßt die langjährige Studioarbeit von Tom Täger und A.J. Weigoni einerseits zusammen, gibt aber auch einen Ausblick auf das nächste Buch. Die am 18. Januar 2015 erscheinenden Schmauchspuren sind ein erneuter Beweis der sich immer noch steigernden Gedankenschärfe und Ausdruckskraft dieses Poeten. Buchstaben formen sich zu Wörtern, mehrere davon ergeben Strophen, Strophen lassen zwischen den Zeilen Platz. Und genau dort setzt Weigonis Stimme an. Die schriftliche Lyrik und ihre Klanggestalt sind für diesen Lyriker gleichrangige Größen. Wenn man seine Gedichte hört, wie er sie spricht, merkt man Wortverbindungen, Wiederaufnahmen, Anspielungen, die in erster Linie dem Rhythmusgefühl geschuldet sind. Weigonis Gedichte sind konzentrierte Miniaturen, seine verdichtete Sprache bildet ein System, das sich aus dem Leben bezieht und in dieses zurückwirkt. Der Wortklang ist ein starker Katalysator für dieses Hörbuch, da bereits ein Wort beim Hörer eine Klangassoziationskette auslösen kann. Mit seiner Stimme werden die Nuancen hörbar, zwischen Rezitation und Partitur liegen keine Abgründe. Dieser Poeta ludens ist ein Entdecker der Poesie unbesetzter Räume und der lyrischen Langsamkeit, er lauscht dem Atmen der Worte nach.
Sprechen ist immer zitieren.
Sophokles
Sprechen ist immer auch Rezitieren. Man hört auf Gedichte die Entschlossenheit zur Deklamationskunst. Dieser Rezitator ist ein Lautschöpfer und Sprachbastler, er bringt die Buchstaben in eine neue Un-Ordnung und die Bedeutungen zum Schwirren. Es kobolzen Vokale ins Mikrophon, stets aufs Neue jongliert er mit Lettern, Silben, Wörtern und Sätzen. Seine Stimmbildung hat Weigoni als reine Physik verstanden, da wurden Muskeln trainiert – seine Stimmbänder – und es ging ihm um Physiologie und Raumakustik; er vergleicht die solcherart geschulte Stimme mit dem Resonanzkörper eines Instruments. Diese stilisierte Alltagssprache macht den Unterschied zum privaten Sprechen, in den Gedankenimpulsen, die sich den Zuhörer über die Prosodie vermitteln, also über Rhythmus, Melodie oder Sprechgeschwindigkeit, es ist ein Gedanken verdichtendes, zielgerichtetes Sprechen in normaler Sprache. Weigoni benutzt Wortspiele und ungewöhnliche Wortkombinationen, er verfremdet das Sprachmaterial, indem er phonetisch notiert oder einzelne Silben lautmalerisch wiederholt. Er stellt die Lyrik nicht lautlich aus, um schönes Sprechen geht es ihm dabei nicht. Um Verständlichkeit schon.
Ganz im Gegensatz zu den anderen „experimentellen“ CDs meiner Sammlung sind die von A.J. Weigoni immer stimmig, ja richtig, philosophische Aufsätze auf den Punkt gebracht. Man merkt auch die feine Feile, das Entstehen und die Mühe über einen langen Zeitraum hinweg.
Dr. Dieter Scherr, Literaturhaus Wien
Als Radiohörer hat Weigoni schon früh ihn die Faszination vom Klang der Sprache zur Poesie geführt. Auf dem Hörbuch Gedichte mischt sich die Körperrede mit der Klangrede, die orale mit der gutembergeschen Tradition, geschriebenes Sprechen verwandelt sich in gesprochenes Papier und so fort. Es sind kunstvoll komponierte Kostbarkeiten, ein unendlich abwechslungsreiches Nebeneinander verschiedenartigster Sinneseindrücke. Weigoni betreibt ein Sprechdenken gegen die Sprachskepsis, dieses Denken bedeutet, ganz im Sinne der griechischen Poiesis, nichts anderes als „Erschaffen von Neuem“. In diesem Nachdenken lernen wir die Mehrdeutigkeit von Sprache in das Denken zu integrieren und sie vor allem nicht nur auszuhalten, sondern als Reichtum zu begreifen. Bei seinen Rede– und Suchgedichten konzentriert sich Weigoni seit der Letternmusik beim Rezitieren auf die nackte Stimme. Die stimmliche, sprechtechnische sowie akrobatische Virtuosität, mit der er zu Werke geht, erzeugt gleichsam ein Textkonzert, die Partitur ist Sprache. Tom Täger stellt sie bei den Aufnahmen zum Hörbuch Gedichte im Tonstudio an der Ruhr in den Vordergrund. Gleichzeitig löst sich die Sprache in den Gedichten in ihre Einzelheiten auf.
Als geformte Performance bezeichnete Thomas Kling das Hörbuch, hier trenne sich kurz und schmerzlos die Spreu vom Weizen. Deshalb solle den Mund halten, wer nicht ‚vorlesen‘ kann, oder zu faul zum Üben ist.
Michael Opitz
Der Sprechsteller Weigoni hat beim Schreiben das Hören im Blick und beim Sprechen das Auge im Ohr. Der Modus des Sprechens wird zu einer Operation, die die Sprache als Werkzeug nutzt, seine Gedichte verlangen nach wachen Rezipienten und goutieren sie folgerichtig. Wir hören die Essenz, nicht den Effekt. Dieser VerDichter ist ein Meister der Wortschöpfung, der es versteht, die Phraseologie des Alltags subversiv aufzuladen, auf eine Art, die sprachwitzig ist, ohne sich auf die Pointen draufzusetzen, und umso betörender, je tiefer er sich in die irrwitzigsten Gedankenspiele hineinschraubt. Er läßt die Distanz zwischen Sprache und Gedanken schrumpfen, dass die sich daraus ergebende Transparenz des Verfahrens es erlaubt, dass sich die Unterschiede zwischen Gattungen aufheben. Seine ruhige Stimme verleiht dem Text eine bitter nötige, beiläufige Eleganz. Man kann ein Kompositum wie Dichterloh als Polyphonie hören, eine Art Wortkonzert, ein auf– und abschwellender Klagegesang über den Verlust des Individuums. Es geht um Stimmen, ein Spachspiel, das in einen Sprechspiel übergeht, ein Aus-Atmen, das zu einem Aus–Sprechen wird, das die Kulturgeschichte von Klang und Ton gleichsam mitatmet.
Es gibt in der neueren Literatur nicht viele überzeugende Langgedichte. Das Geheul von Ginsberg, Der Untergang der Titanic von Enzensberger – und es ist nicht übertrieben, wenn man in diesem Zusammenhang auch das lyrische Monodram Señora Nada von A.J. Weigoni erwähnt, vielleicht das faszinierendste deutschsprachige Langgedicht der letzten Jahre. Dieses „Nachtstück“ besticht nicht nur durch seine souveräne sprachliche Meisterschaft, sondern auch durch eine gedankliche Tiefe, die dichterisch facettenreich ausgelotet wird.
Axel Kutsch
Als ein Höhepunkt des Hörbuchs ist sicherlich die Hörspiel-Produktion Señora Nada zu bezeichnen. In diesem Monodram provozieren die Artisten mit einem ‘stream–of–consciousness’ durch Inhalte und nicht durch Dolby–Surround, die Sprach– und Lautverschiebungen werden zu Verschiebungen der Bedeutungsebenen, alles ist dynamisch, alles ist im Fluß, nichts steht still. Interpreten aller Art – Regisseure, Schauspieler, Instrumentalisten – sind re-kreative, also nachschaffende Künstler im Dienste der kreativ-schöpfenden Autoren und Komponisten. Das ist nicht weniger als die Conditio sine qua non der Kunst. Ioona Rauschan hat dies in der Regie des Hörspiels sinnfällig umgesetzt.
Señora Nada ist ein lyrisches Monodram über das Überwinden von Trauma und Schmerz durch Erkenntnis dank des Eindringens in die unoffenbarte Zwischenwelt. Die Welt zwischen Haben und Sein, zwischen Bestimmung und Freiheit, zwischen Jetzt und Immer.
Ioona Rauschan
In der Inszenierung von Ioona Rauschan begleitet Täger die Schauspielerin Marina Rother mit einer Musik der befreiten Melodien. Er öffnet mit seinen rhythmischen und melodischen Ideen dem Hörspiel neue Horizonte, in denen die gedanklichen und emotionalen Impulse quasi ihre eigene Dramatik und Form zu definieren scheinen. Seine Komposition zu Señora Nada ist durchsetzt von minimalistischen und improvisatorischen Erfahrungen, das Klangbild wird von experimentellen Klängen zu Trivialklängen in Bezug gesetzt. Die Vertonung Tägers fügt sie – mit allen Kontrasten von Tempoverläufen, Klangdichten, dynamischen Abstufungen – über die Wortbedeutungen hinweg zu einer einleuchtenden Zyklik. Klänge und Strukturen sind eigenartig: ähnlich und doch immer wieder neu, streng und doch offen. Dem Zuhörer verlangen sie in erster Linie ein gewisses Mass an Geduld ab, die aber auch oft belohnt wird, mit unvergleichlich atmosphärischen Sequenzen, die poetische Dichte und interpretatorische Offenheit auf geradezu beglückende Weise miteinander verbinden. Die Widersprüche der Señora Nada sind Ausdruck einer geistigen Unruhe, die sich mit der herrschenden Wahrheit nicht versöhnen will. Das Zuhören führt an ein Zeitempfinden heran, wie es in dieser Weise selten zu erleben ist. Jedes Kunstwerk erinnert an den Geist und die Erweiterbarkeit des menschlichen Horizonts. Dieses Werk hat das Bewußtsein geöffnet und nicht einfach nur die öffentliche Nachfrage nach Schönheit bedient.