Waldidylle

Mit den Kindern durch einen sogenannten Wildwald zu gehen, ist abgesehen vom Eintrittspreis ein immer wieder tolles Erlebnis. Man sieht auf einen Schlag all die Wesen des Waldes, die einem sonst nur im Laufe seines gesamten Wandererlebens vor Augen kommen. Einige sicherlich auch gar nicht. In verschiedenen Gehe- gen werden dort neben Wildschweinen, auch all die nachtaktiven Tiere vorgeführt, angenehm zurückhaltend, dort wird wohl auch Nachzucht betrieben, um den vom Aussterben bedrohten Uhu wieder aufzupäppeln, sehr ehrenhaft, die aus Amerika stammenden Waschbären sieht man dort und alles Mögliche andere Getier. Dachs, Fuchs, Schleiereule, Mäuse. Tierfütterungen sind besonders für die Kinder spannend, die Eltern würden dies wohl kaum vor Ihresgleichen ernsthaft zugeben wollen. Trotzdem rennen hunderte von Männern und einige Frauen mit unglaublich professionellen Kameraausrüstungen, Stativen und ganzen Kisten voll mit Objek- tiven durch den Wald und bemühen sich, das ultimative Foto zu schießen. Großwildjäger modern.

Auch Ziegen, Schweine und Schafe kann man dort bewundern, streicheln und, gegen weiteren Aufpreis natürlich, auch füttern. Insgesamt ein rundes Programm also für den großstädtischen Naturjunkie. Wem das noch nicht reicht, der kann sich am Naturklettergarten erfreuen. Dort zwischen den Bäumen herumhangeln und den Traum vom abenteuerlichen Leben führen, unter Aufsicht und an Sicherheitsgurten versteht sich, denn sonst wäre der Wildwald ja bei jedem Unfall auf Schadensersatz von den Freizeitabenteurern verklagbar. Das Richtige für die Vater-Sohn-Nummer.

Manchmal würde sich so mancher Gast auch noch ein Gelände wünschen, in dem man zwischen Baumstümpfen und umgestürzten Bäumen des Cyrillsturms von 2007 Paintball anböte. Dann wäre sicherlich für einige Leute das Wochenende perfekt. Die Übernachtungszahlen in der Region schnellten signifikant in die Höhe und die Einnahmenseite verbesserte sich.

Den Rundgang weiter gehen. Kurze Rast machen. Eine ganze Wiese mit den drei verschiedenen hier vorkommenden großen Hirscharten (zwei, Damm- und Sikahirsch, aus Asien einge- schleppt, lediglich der Rothirsch heimisch) und einigen Mufflons, die ich verwildert lediglich im Siegerland hinter dem alten Brau- haus (da ist ein Teil der Kunstabteilung der Universität Siegen untergebracht) erleben durfte, dort auch einige Gänse, insgesamt ein paradiesisch friedliches Bild. Sie grasen (äsen) und manchmal geraten sie etwas in Bewegung, im Herbst kann man dort die Brunft erleben. Wir sitzen auf einer Aussichtsplattform und genießen die Idylle. Plötzlich meint der etwas ältere meiner Söhne:

„Wie die wohl schmecken?“

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Seit 1994 veröffentlich Herr Nipp auf KUNO unerhörte Geschichten mit dem Titel Das Mittelmaß der Welt. In 2011 ist es soweit, sein erstes Buch mit dem Titel Die Angst perfekter Schwiegersöhne erscheint in der Edition Das Labor.

Haimo Hieronymus ist ein Poet, wenn er Holzschnitte erstellt, und ein realistischer Träumer, wenn er mit Herrn Nipp kurze Texte verfaßt. Wie ein Dichter schreibt er nicht, dazu ist er zu nüchtern und zu lapidar; die Fiktion ist nicht seine Sache, es entstehen auch keine imaginären Welten. Die Wirklichkeit und die Erinnerung sind ihm rätselhaft genug. Herr Nipp betreibt das einfache, das wahre Abschreiben der Welt, er bewegt sich damit zwischen Ereignis und Reflexion und nähert sich einer Topografie der Melancholie. – Ein Sammlerstück ist die Vorzugsausgabe von Die Angst perfekter Schwiegersöhne. Hieronymus hat das Cover einer limitierten Auflage mit einem Holzschnitt versehen.

Weiterführend → 

Zum Thema Künstlerbucher lesen finden Sie hier einen Essay sowie ein Artikel von J.C. Albers. Papier ist autonomes Kunstmaterial, daher ein vertiefendes Kollegengespräch mit Haimo Hieronymus über Material, Medium und Faszination des Werkstoffs Papier.

Die bibliophilen Kostbarkeiten sind erhältlich über die Werkstattgalerie Der Bogen, Tel. 0173 7276421