Bye, bye, Biby

Und so nehmen wir Abschied von einem Mann, der als Beispiel dafür gelten kann, daß es auch zu unseren Tagen Menschen gibt, die wahrhaft nicht zu ersetzen sind … als Beweis dafür, daß gelebte Menschlichkeit tiefe Spuren hinterläßt und letztlich unvergeßlich bleibt!

Ernst Umbach

Der Versuch ein Lebenswerk zu würdigen endet meist in bemühtem Pathos. Hier geht es um einen Mann, der sein Leben einer Idee gewidmet hat, Josef „Biby“ Wintjes hat praktisch im Alleingang die Alternativ-Literatur begründet.

Noch als Angestellter in der EDV-Abteilung (sic!) der Firma Krupp gründete „Biby“ Wintjes 1969 in Bottrop das Nonkonformistische Literarische Informationszentrum, das er – überwiegend als Einmannbetrieb, zeitweise unterstützt von seiner jeweiligen Ehefrau – bis zu seinem Lebensende führte. Wintjes stellte ein Sortiment der verschiedensten und verschiedenartigsten Zeitschriften des Underground und der Avantgarde zusammen. Das Literarische Informationszentrum funktionierte nachfolgend als Versand- und Vertriebsstelle für Zeitschriften und Bücher aus der Alternativ- und Gegenkulturszene.

Nach einem aufreibendem Doppelleben kündigte Wintjes 1974 bei Krupp und machte das Literarische Informationszentrum sowie die Herausgabe seiner Zeitschrift zu seiner „Fulltime-Aufgabe“. Er avancierte in der BRD zum „Schriftführer der Gegenkultur“, sein Ulcus Molle Info wurde zum „Zentralorgan der Vielstimmigkeit“.

Das Informationszentrum versteht sich als Sprachrohr der Alternativpresse; pflegt Kontakte zum subkulturellen Untergrund, zu APO-Gruppen, zu Literaturkreisen und -workshops, zu Verlagen und zu Autorenvereinigungen“

Ulcus Molle Info Nr. 7 (15. Mai 1970)

Von 1969 bis 1990 gab er erst monatlich, die längste Zeit dann jedoch zweimonatlich, die Zeitschrift Ulcus Molle Info heraus, die sich als Mitteilungsblatt und Diskussionsforum der literarischen, spirituellen und politischen Gegenkulturszene verstand. Ab 1987 legte Wintjes mit Bruno Runzheimer die ebenfalls zweimonatlich (später vierteljährlich) erscheinende Zeitschrift Impressum vor, die sich in erster Linie der Förderung von Nachwuchsautoren verschrieben hatte. Daneben stemmte Wintjes auch noch die Herausgabe verschiedener Anthologien zur Underground- und Alternativpresse der 1970er Jahre (Szene-Reader 1972 ff.).

In der sich als alternativ verstehenden Literaturszene der 1970er und 1980er Jahre galt Wintjes vielen als Integrationsfigur, bildete er doch mit seinem Versanddienst eine wichtige Anlaufstelle für ihre Angebote und Nachfragen.

Wir verlieren mit ihm eine großartige Persönlichkeit.

 

 

 

Josef „Biby“ Wintjes. Porträt: Bruno Runzheimer

Weiterführend

Obwohl die nonkonformistische Literatur ehrlich und transparent zugleich sein wollte, war gegen Ende der 1960er nur schwer zu fassen, die Redaktion entdeckt die Keimzelle des Nonkonformismus in der die Romantiker-WG in Jena. Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.

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