Der nonkonformistische Geist der Rabenpresse

Victor Otto Stomps, 72. Der Knittel-Poet, Fabel-Dichter und Verleger ohne Mehrwert (so sein Autor Horst Bingel), als VauO unter Deutschlands Literaten längst legendär, hat fast ein halbes Jahrhundert lang in seinen Kleinverlagen (Rabenpresse, Eremiten-Presse, Neue Rabenpresse) junge Talente, von Günter Eich bis Günter Bruno Fuchs, entdeckt, gefördert und von Hand gedruckt – um sie dann ohne Harm zu größeren Häusern ziehen zu lassen: Wenn ein Autor uns wegrennt, so lautete das Stomps-Credo, ist unser Ziel erreicht. Der den Nazis als Verleger jüdischer und linker Autoren mißliebige Bohemien aus einer Krefelder Bürgerfamilie, der im Ersten Weltkrieg Oberleutnant gewesen war, wich im Zweiten in die Wehrmacht aus und brachte es zum Oberstleutnant und Regimentskommandeur bei der Artillerie. Die letzte Zeit seiner zeitlebens »bewußt auf Erfolglosigkeit fixierten Existenz« (Stomps-Autor Peter Hamm) verbrachte der Fontane-Preisträger von 1965 im städtischen Altersheim zu Berlin-Kreuzberg, wo ihn kaum einer kannte.«

Der Spiegel, 13.04.1970

Rabenpresse war der Name des Verlages, der 1926 von Victor Otto Stomps und Hans Gebser in Berlin zusammen mit der Druckerei Stomps & Gebser. Buch- und Kunstdruckerei – Verlagsanstalt gegründet wurde. Sie bot zu Beginn der Zeit des Nationalsozialismus einen gewissen Freiraum für einige Autoren, die den Machthabern missliebig waren.

Im Gegensatz zu den etablierten Großverlagen konzentrierte sich die Rabenpresse auf die kleine Form und produzierte geringe Auflagen in hoher handwerklicher Qualität. Sie wandte sich besonders der Lyrik und Erstlingswerken junger Autoren zu.

Die eigentliche Verlagsproduktion der Rabenpresse begann erst 1932, bis dahin hatte der Verlag nur neun Bücher herausgebracht.

Viele der in der Rabenpresse erschienenen Werke stammen von expressionistisch geprägten Autoren. Stomps sah als Verleger sein Vorbild in Alfred Richard Meyer, genannt „Munkepunke“, der seit 1907 in eigenen Verlagen und Zeitschriften insbesondere die expressionistische Lyrik gefördert hatte. Meyers Werk Munkepunkes fünfzig törichte Jungfrauen erschien in der Rabenpresse, ein weiteres Beispiel ist Terzinen für Thino von Paul Zech, wobei mit Thino Else Lasker-Schüler gemeint ist. Insgesamt war der Verlag aber keiner bestimmten literarischen Tendenz verpflichtet.

Zu dem besonders gepflegten äußeren Erscheinungsbild der Ausgaben der Rabenpresse gehörte auch, dass die meisten Bände mit Illustrationen oder wenigstens einer Titelzeichnung von teilweise bekannten Künstlern ausgestattet waren, die diese unentgeltlich zur Verfügung stellten. Für Oschilewskis Gesang der Sterne stellte Frans Masereel einen Holzschnitt her, Hannah Höch lieferte Illustrationen zu Scheingehacktes 1935 von Til Brugmann, ihrer langjährigen Lebensgefährtin. 1933 erschien Horst Langes Erzählung Die Gepeinigten mit Original-Holzschnitten des mit ihm befreundeten schlesischen Bildhauers Joachim Karsch, und 1936 trug Alfred Kubin die Titelzeichnung zu Stomps’ Fabel von Paul und Maria bei.

Stomps experimentierte außerdem gerne mit Schriften und anderen typographischen Elementen, zum Beispiel mit ungewöhnlichen Papiersorten. So druckte er von Zechs Terzinen für Thino eine Sonderausgabe auf Büttenpapier, und die beiden Nummern der Reihe Das Mundtuch sogar titelgerecht auf Serviettenpapier.

Auch die ersten Bücher des Schriftstellers Werner Helwig erschienen bei ihm (Die Ätna Ballade 1934 und Nordsüdliche Hymnen 1935).

Im Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus hatte der Verlag in der Berliner Literaturszene eine besondere Bedeutung, da er anfangs noch einen begrenzten Freiraum bieten konnte. Stomps passte sich nicht dem Geschmack der Machthaber an und kümmerte sich auch nicht darum, ob die Werke seiner Autoren bereits den Bücherverbrennungen anheimgefallen waren.

Seit 1931 veranstaltete die Rabenpresse regelmäßig Leseabende mit Autoren wie Horst Lange, dessen Roman Ulanenpatrouille später durch die Nationalsozialisten verboten werden sollte, Hermann Kasack, Oskar Loerke, Paul Zech, Werner Bergengruen, Herbert Fritsche, George A. Goldschlag, A. N. Stenzel, Max Herrmann-Neiße und vielen anderen. Diese Veranstaltungen waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge und ein Grund für den zunehmenden Druck, den diese auf die Rabenpresse ausübten.

1933 erschien die Erzählung Die Gepeinigten und 1935 ein weiterer Text von Horst Lange, 1934 der Gedichtband Preußische Wappen der Jüdin Gertrud Kolmar, die 1943 von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

Die finanzielle Situation der Rabenpresse war stets prekär, selbst nach der sehr erfolgreichen Veröffentlichung im Jahre 1934 der Briefe an R. M. Rilke von Lisa Heise, deren Erstauflage von eintausend Exemplaren bereits weit über den für die Rabenpresse normalen drei- bis fünfhundert lag. Im Mai 1937 musste Stomps auf Druck der Nationalsozialisten und aus finanziellen Gründen den Verlag verkaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in der Rabenpresse 112 Bücher erschienen. Der Verlag wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges von Ernst Winkler weitergeführt. Diese Bücher haben dann nicht mehr das eckige Rabenpressensignet, sondern ein kursives R in einem Kreis. Victor Otto Stomps stellte bis 1943 noch Privatdrucke her, wie zum Beispiel zwei kleine Veröffentlichungen von Oskar Loerke 1938 und 1939.

   

 

 

Porträt V.O. Stomps © Minipressen-Archiv

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.