Der Hang zum Gesamtkunstwerk

Wenn du nach dem Stil suchst, dann findest du den Tod. Aber wenn du das Leben suchst, dann findest du den Stil.

Eduardo de Filippo

Cover: Mischa Kuball

Literatur entsteht langsam, sie muss nicht reagieren wie etwa der tagesaktuelle Journalismus (die Redaktion möchte das Unwort „Klickrate“ bewusst vermeiden). Kreativität ist eine Tätigkeit, die man nicht am Reißbrett planen kann, dies läßt sich exemplarisch am Langsamschreiber A. J. Weigoni nachlesen. Obwohl er seit fast 30 Jahren Prosa und Poesie zusammengebracht hat, ist er erst seit 2009 zufrieden mit dem Resultat seiner ästhetischen Bemühungen. Anhand der Novelle Vignetten kann man vergleichen, wie viel Überformungen dieser Romancier braucht, um zu einem stimmigen Resultat zu gelangen.

Die lyrische Kurzprosa mit dem Titel begegnungen mit f. setzte der Schriftsteller mit Künstler Mischa Kuball um. Die Schnitte von Kuball fanden ihre Entsprechung in einer fragmentierten Prosa, die mit der Ergänzungsleistung des Lesers spielte.

Bedruckte Papierseiten entsprechen dem menschlichen Lesetempo, unserem Rhythmus. Diesem Rhythmus folgen A.J. Weigonis Überformung der begegnungen mit f. zur Novelle Vignetten, indem er mit der Poesie die Wellenbewegungen des Rheins denen des Nils gegenüberstellt, und umsetzt in Wellenbewegungen des Lichts und der Gedanken. Wie auch bei seinen anderen Prosa-Projekten pflegt Weigoni die Form der Langzeitbeobachtung.

Flüsse sind wie Seelen – so grundverschieden, dass wir für jeden Fluss eine andere Sprache entwickeln müssten.

Vladimir Nabokov

Cover: Schreibstab von Peter Meilchen

Der variierte Titel dieser langwierigen Überformung bezieht sich auf eine geplante Zusammenarbeit mit dem Künstler Peter Meilchen. Diese Vignetten sollte diese Artisten nach Ägypten führen und als Buch/Katalog-Projekt erscheinen. Der frühe Tod von Meilchen verhinderte dieses Vorhaben (und es sollte 10 weitere Jahre dauert, bis es an Buch/Katalog-Projekt 630 realisiert wurde) und so läßt sich dieses Buch, für das der Künstler das Bild für das Cover lieferte, als Hommage lesen. Satz für Satz bewährt sich diese Novelle als Sprachkunstwerk. Der Autor weiß von jenem “seltsame(n) Verhältnisspiel der Dinge”, von dem Novalis spricht. Nicht zufällig hat Weigoni das Genre der Künstlernovelle, die es erlaubt es krisenhafte Konflikte auf engem Raum zu verdichten. Ein Subtext der Sehnsucht und der Katastrophen zieht sich durch die Novelle. Weigoni wählt eine gebrochene Perspektive, um dem Leser das Leben von Nataly und Max in ihrer Fremdheit nahe zu bringen, aber er handhabt diese perspektive so virtuos, dass man ihr Raffinement gar nicht bemerkt. Diese Poesie liefert Beispiele für Weltzusammenhänge zwischen Rhein und Nil, sie kann die Fülle der real vorhandenen Dinge aber auch übertreffen. Die offene Struktur seiner Poesie weist darauf hin, dass die Dinge dazu neigen, sich irgendwann aufzulösen. Der Tod ist ebenso Weigonis Thema wie „et Läwe, pur„.

Mit „The Walking Dead“ ist das Trash-Genre Zombies seriell geworden. Die Frage ist, kann man daraus gute Literatur machen? Die Antwort lautet ja. Und zwar A.J. Weigoni, der in seinen neuen Erzählungen „Zombies“ zeigt, dass es keinen Virus oder Totenkult braucht, um aus uns allen Zombies zu machen.

Jessica Dahlke

Auch Zwerge haben mal klein angefangen

Auch die kleinen fiesen Stories in dem vergriffenen Band Monster waren Entwurfsskizzen, aus denen dieser Romancier im Lauf der Zeit die ineinander verschränkten Erzählungen für den Band Zombies entwickelt hat. Er schreibt eine harte, wie gepflasterte Prosa. Kurze Sätze, atemloses Präsens; die Kapitel sind nie länger als sieben Seiten, manchmal nur eine halbe Seite. Weigonis Sprache ist seither immer an der Grenze zum Erträglichen ist; überschritten hat er diese Grenze nicht. Poesie und Härte, Abscheu und Einfühlsamkeit faßt er zu einer ungewohnten Einheit zusammen. Das schafft Aufmerksamkeit, ist allerdings keine Effekthascherei. Weigonis literarische Arbeit orientiert sich nicht an Kommerzialität. Das sichert ihm die innere Freiheit zu Kontinuität, die für seine Poesie einen hohen Stellenwert hat. Das Verrückte ist in diesen Erzählungen das Normale und umgekehrt. Literatur kann ein Medium der Selbstbestimmung sein. Und diese bringt der Literatur neue Werte.

Selten ist unsere Gegenwart bisher so radikal und virtuos eingefangen worden. Dieses Buch überragt fast alles, was die deutsche Literatur unserer Tage an Prosa zu bieten hat. Ein Meisterwerk.

Axel Kutsch

Coverphoto: Anja Roth

Die Suche nach Identität und Ausdruck zieht sich durch Weigonis Werk. Sie exerziert den Schmerz der Sprachlosigkeit, den Verlust körperlicher und seelischer Integrität in Lyrik, Prosa und Drama bis an den Rand des Erträglichen. Der Schock soll die repressiven Muster zertrümmern. Weigoni sucht das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen, seine Verdichtungen schließen sich in ihrem Gehalt an die Wirklichkeit der Menschen im 21. Jahrhundert an. Die Eindringlichkeit seines Schreibens hängt mit dem tiefen Referenzraum seiner Poethologie zusammen. Die Erzählungen haben einen formal innovativen Ansatz, man erkennt die Figuren unmittelbar an ihrer unverwechselbaren Sprache, die so brennscharf die Realität abbildet und den Lesern neue Wahrnehmungsmöglichkeiten verschafft. So unterschiedlich die Ausführung ist gilt damals wie heute: Sprachlich auf das Wesentliche reduziert, Erzählungen, die ihrem Namen gerecht werden. Hier ist auf die verführerischste Art gemischt, was alle Welt am nötigsten hat, die drei grossen Stimulantia der Erschöpften, das Brutale, das Künstliche und das Idiotische. Und wie sagte Margaretha Schnarhelt: “Diese Erzählungen sind voller Humor und streckenweise so schwarz, daß sie unter der Kohlenkiste noch einen Schatten werfen würden.”

Der ‚virtual reality’ zieht Weigoni in den Novellen Cyberspasz die reale Virtualität der Poesie vor. Viel mehr subtiles Können kann man von einem Schriftsteller kaum verlangen.

Jo Weiß

Coverphoto: Anja Roth

A.J. Weigoni regte den Verleger Dietmar Pokoyski 1989 dazu an, sogenannte Gossenhefte ins Verlagsprogramm aufzunehmen. Das erste Heft dieser Reihe, die Erzählung Jaguar, überarbeitete Weigoni als Neo-Noir-Novelle Der McGuffin – Nachruf auf den Kriminalroman für das Buch Cyberspasz, a real virtuality weiter. Untersuchte Weigoni in den Zombies die Pathologie einer ganzen Wirtschafts– und Gesellschaftsform, erkundet er in Cyberspasz wie tief geprägt die globalisierte Menschheit vom kapitalistischen Gebaren ist. Sein Interesse gilt in diesem fünf Novellen umfassenden Band der Erforschung des Unbewußten der Gegenwart, den unausgesprochenen Ängste und heimlichen Begierden; und der Rolle, die deren Reflexion und Analyse in diesem Unbewussten spielt. Er kommt zur Erkenntnis, das Unterbewusstsein habe als verlässliche Grösse ausgedient. So lassen sich seine Novellen auf einer Achse zwischen den Polen Gewalt und Erkenntnis verorten. Sein zentrales Thema ist die Vertechnisierung der Sinne und die Versinnlichung der Technik. Dabei betreibt er eine Aufklärung gegen die Technikgläubigkeit. Eines der wesentlichen Merkmale seiner Prosa ist ein dekonstruktivistischer Ansatz, der im Zerlegen und neuen Zusammensetzen kultureller Erscheinungen besteht.

Eine literarisch-auditive Laborinstallation, die im Spiel mit den zum Einsatz kommenden medialen Elementen unseren altvertrauten Begriff von Wirklichkeit dekonstruiert.

Nick Halflinger

Covermotiv: Jesko Hagen

Konzentrierte Aufmerksamkeit ist bei Weigoni nötig, aber ebenso wichtig ist der Wechsel des Objekts der Begierde. In der Offenheit der Erzählbewegung, beim Rausch der Lektüre, geht das rezipierende Ich auf Reisen, dieser Rechercheur durchstreift die Vergangenheit und mischt sie zu Zukunftsvisionen zusammen und beschreibt dem Niedergang des Pop eigentliche demokratische Kunstform. Er kratzt die mediale Schmutzschicht von den Wörtern ab, damit der verblichene Sinn wieder zum Vorschein kommt. Den Blick auf das begeinnende 21. Jahrhundert, das Symptomatische, nicht zuletzt auf das Groteske und das Komische richten und selbst die notwendigen Blicke in die Vergangenheit und in die Zukunft aus dem Gespür der Gegenwärtigkeit entwickeln. Für Weigoni ist jedes Buch ein Ort, den er mit seiner Sprache durchwandert. Das Lesen seiner Prosa ist weniger ein Akt des Verstehens und Dechiffrierens als so etwas wie Versenkung und Kontemplation. Diese Prosa ist geprägt von einem erkennbaren Rhythmus und einem hohen Grad an Sprachreflexion. Im beziehungsreichen Metaphernspiel nährt Weigoni zwar den Anschein, die zwischenmenschliche Verständigung mithilfe der Sprache hätte ihren Sinn verloren, zugleich aber reduziert er den allmächtigen Wörterschwall der herrschenden Poesie auf ein Minimum. Er glaubt bei allem schwarzen Pessimismus an die Unverfügbarkeit der Seele, die kein Zwangseingriff zum Schweigen bringen kann und nähert sich den Trivialmythen aus der Perspektive des Connaisseurs, beutet den popkulturellen Rohstoff aus, beschwört den anarchistischen Geist des Rock’n’Roll und verhandelt seine Lebensthemen: Anderssein und Ausbruch, Repression und Libertinage, Rausch und Sexualität. Mythen sind der Pop von früher. Die Gleichung gilt auch umgekehrt: Die Mythen von heute sind weitgehend Hervorbringungen der Popkultur. Man sollte die Erzählungen Zombies und die Novellen Cyberspasz als “Konzeptalbum” lesen, die Bleilettern scheppern in einem technoiden Rhythmus.

Hier ist er also, der große Zeitroman für Marcel Reich-Ranicki.

Wend Kässens, NDR 3, Literatur vor Mitternacht

Briefmarke, erschienen zum 20. Jahrestag der DDR, entwertet am 9. November 1989.

Der erste Roman von Weigoni ist ein minutiös kalkuliertes Sprachkunstwerk, bei dem sich erweist, daß auch die alte BRD das Zeitliche gesegnet hat. Er läßt in Abgeschlossenes Sammelgebiet die realsozialistische Aktualität auf die die spätbürgerliche Positionen der Aussichtslosigkeit prallen. Die Konvergenzen sind offensichtlich, denn es gehört zu den Paradoxien der Gesellschaftskritik, daß sie in spürbarer Retromanie jener vorglobalisierten Bundes-Republik hinterher trauert, die sich doch selbst mit derselben Betroffenheitsrhetorik soziale Kälte, Umweltverschmutzung und kapitalistischen Wildwuchs vorwarf. Wer Geschichte zum Zwecke politischer Bildung – und das bedeutet: der Schärfung politischer Urteilskraft – betreiben will, muß sich klarmachen, daß konsequente Historisierung eine Vorbedingung dafür ist, die Verführungskraft von Ideologien richtig einzuschätzen. In der Rückschau auf 1989 haben sich die Illusionen der postbourgeoisen Arrieregarde jener Jahre in ihre Köpfe einzementiert. Der Sozialismus, so geht die oft erzählte Legende, bestand hauptsächlich aus fröhlichem Jugendleben. Hässliche Hosen, aber gewagten Dissidentenpartys. Wenig Freiheit, aber viel Sex. Wo die Liebe in die Krise gerät, gerät die ganze Welt an den Rand des Abgrunds. Und umkehrt. Weigoni hat eine Sprache für etwas gefunden hat, was sprachlos macht.

Gnadenlos reflektiert Weigoni das Ende des Hedonismus, in dem das Heilversprechen auf erotische Selbstentfaltung in ein gehobenes Konsumentenverhalten umschlug.
Phillip Boa

Weigoni arbeitet an einem Werk, das sehr eigen in der verdichteten Sprache ist, und kühn im Zugriff auf die deutschen Realitätspartikel. Zur Rezeption dieses Romanciers gehört es seit seinen Zombies, daß man seinen Humor meist nur in der Form der Ironie erkennt, die meist etwas Distanzierendes, etwas Überlegenes hat. Sieht man genauer hin, so hat Weigoni zu seinen Figuren kaum Distanz. Und er macht sich nicht über sie lustig. Wenn es dennoch bei ihm immer wieder auch hochkomische Situationen gibt, ist das, wie bei seinen Novellen Cyberspasz, als Groteske angelegt. Die Absurdität ergibt sich nicht daraus, wie Weigoni erzählt, vielmehr rührt aus den Situationen selbst, in die die Menschen unfreiwillig geraten oder sich schlimmstenfalls sogar freiwillig begeben. Wie lesen in seinem ersten Roman Poesie als Kreuzungspunkt von Politik und Literatur. Diese garstig Lied setzt sich dem Zwiespalt aus. ob Dichtung ein angemessenes Medium für Politik ist, und Politik ein angemessener Inhalt für die Dichtung. Die Antithese deutet auf das Problem der Literatur hin, das sich engagierte Literatur notwendigerweise von der Realität abgesetzt, die Differenz von dieser jedoch durchstreicht. – Quod erat demonstrandum: Zwischen November 1989 und März 1990 wird die deutsche Geschichte vom Druck der Ereignisse komprimiert. Als meisterlicher Seismograf existenzieller Erschütterungen erzählt Weigoni diese Liebes- und Untergangsgeschichte mit leichter Hand, sprachspielerisch, ironisch und doch kunstvoll. Und nicht einmal das, was an der deutschen Geschichte so bleischwer ist, kommt an keiner Stelle in diesem Roman so daher.

„Abgeschlossenes Sammelgebiet“ ist ein Buch des Innehaltens, gerade weil es Weigoni gelingt, jeden Anflug von Sentimentalität mit poethologischer Klugheit zu unterlaufen. Schreiben bedeutet für diesen Romancier das eigentliche Leben, eine höhere Form der Erkenntnis.

Regine Müller

Poesie und Politik das sind die Pole, zwischen denen sich dieser Roman bewegt. Dieser Romancier baut auf die einigende Kraft der Literatur und verdichtet Realitätsfragmente zu Poesie. Seine Methode ist nicht die des Schocks oder der Provokation; er sucht nach der Evidenz poetischer Bilder, wenn er den Finger auf die Wunden seiner Figuren legt. Dieser Roman demonstriert, wie Weigonis Erzählen funktioniert. Wenn er einerseits eine ganze individuelle Erfahrung und Empfindung wiedergibt, steht er doch zugleich für das Übergreifende. Weigoni artikuliert nichtpropagandistisches Sprechen, eine Erinnerungs- und Beschreibungssprache, die sich angenehm abhebt von dem, was man über die sogenannte Wiedervereinigung lesen mußte. In Abgeschlossenes Sammelgebiet durchdringt er die Realität vom ersten bis zum letzten Kapitel, zeigt Widersprüche auf, und weist poetisch aus, wie sich Individuen im geschichtlichen Umbruch verhalten. Freiheit und Toleranz liegen nicht allein in klassisch westlichen Vorstellungen, sie können sich gerade untergründig in einem bewußten Umgang mit Traditionen offenbaren. Die Mauer erscheint als Metapher für den Kollektivwahn, der am 9. November 1989 zum Ausbruch kommt. Die Zeit und die Biografien sind lediglich Material. Wenn eine Schriftsteller eine eigene Stimme, eine passende Sprache findet, um davon zu erzählen. Und nur so ist das auch noch für die nächste Generation lesenswert.

Es handele sich bei einem Werk um einen Roman, wenn man nicht sagen könne, was darin vorkomme.

Heimito von Doderers

Lokalhelden definiert den geschmähten Begriff ´Heimatroman` neu. Das Rheinland erscheint hier als eine in die Jahre gekommene BRD (Westdeutschland), eine angeschmutzte Provinz. Unter praktischen Gesichtspunkten qualifizieren sich die Bewohner dieses ´Retrotopia` (Zygmunt Bauman) als Lebensverpasser, sie schämen sich kaum, rutschen aus einer Problemlage in die nächste und erweisen sich auf diskrete Weise als schamlos. Weigoni ist ein Meister der Aneignung und der unsentimentalen Empathie, als passionierter Menschenforscher liefert  er ein eierkohlenglühendes Stimmungsbild der deutschen Zustände der Achsenzeit mit ihren veränderten Verhältnissen, Ansprüchen und Wesensverzerrungen. Bei aller Ruppigkeit ist ihm das liebende Einverständnis mit seinen Figuren wichtig. Die Anekdoten aus dem Rheinland sind Überlieferungen, die selbstverursachten Amnesien der Rheinländer bleiben durch das deklarative Gedächtnis der Literatur bestehen. Weigoni lotet in seiner Mythenbricolage die Legenden des Rheinlands aus, er will die Welt nicht mit Tatsachen verwirren.

A.J. Weigoni beschreibt den Topos des Nichtorts als Sehnsuchtsort: Das Rheinland!

Coverphoto: Jo Lurk

Weigoni beschreibt die Rheinländer in seinem Roman Lokalhelden voller Charme und Lebensheiterkeit. Er interessiert sich für alles, was zwischen diesen Typen passiert, fängt es ein und kompiliert es in Prosa, die ihm als dynamisches Abbild der realen Welt gelingt. Aus einer psychologischen Binnenspannung gelingt es ihm ein großbildhaft explodierendes Menschentheater zu kreieren. Etwas Schwebendes, Flüchtiges, Versponnenes zeichnet die Rheinländer aus. Trotz aller Leichtigkeit, Eleganz und Gedankenschärfe, es dominiert bei Weigoni die Vorstellung eines Individuums, dessen Zentrum nicht in ihm selbst liegt, sondern das in der unvermeidlichen Kreuzung sozialer Kreise einen notorisch instabilen, je nach Zusammenhang einen wechselnden Standpunkt einnimmt.

Dieser Romancier ist ein Meister der reduzierten Form, manche Szenen sind nur wenige Seiten kurz, so vermittelt der Roman ein prägnantes Bild vom beschleunigten Tempo des frühen 21. Jahrhunderts: Die Kippfiguren werden ohne Vorbereitung in eine Lage gebracht, die sofortige Entscheidungen verlangt, bei denen man sich bei den eigenen Unsicherheiten und den eigenen irrationalen Ängsten ertappt fühlt.

Die Leichtigkeit der Rheinländer hat nichts mit Leichtgewichtigkeit zu tun, sondern mit einer reifen Haltung gegenüber den Zumutungen des Lebens und der Geschichte. In der unmittelbaren Gegenwärtigkeit dieser Gedankenfühler machen sich, unscharf geschieden, Reste einer anderen Zeit geltend, sich dem Jetzt untermischend: ein nicht zu entwirrendes Zeiten-Melange aus Kontingenz und Fixierung. Nichts geschieht im Rheinland, das je ganz vergehen, restlos abgelebt werden könnte; es gibt die Last der Erinnerung – wie auch immer diese Typen damit umgehen, verzweifelt oder lächerlich oder beides zugleich, sie wirkt in jedem Leben. Diese Prosa ist nie als bloße Nachahmung, sondern als tiefe Widererfindung von Menschen, die man wiedererkennt, auch wenn sie nie existiert haben.

Was nie geschrieben wurde, lesen.

Hugo von Hofmannsthal

Die Erzählungen, Novellen und Romane sind Geschichte(n) aus reiner Gegenwart. Ob Dichtung der Geschichte oder Geschichte der Dichtung zu dienen hat, bleibt eine offene Frage. Diese Prosa sollte man ruhig und bewußt lesen, mit Pausen dazwischen, um das Gelesene zu reflektieren. Als Knacknuss hat Weigoni der Edition seinen letzten Roman überlassen.

 

 

 

Weiterführend:

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Eine Werkübersicht über die akustische Kunst finden Sie in der Reihe MetaPhon.

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