Würdigung eines Lebenswerks

Zum 50. Todestag von Victor Otto Stomps, im 100. Jahr nach seinen ersten eigenen literarischen Publikationen legt der axel dielmann – verlag Victor Otto Stomps als Schriftsteller auf

Es ist in der Buchbranche alles andere als unüblich oder selten, daß jene, die Bücher verkaufen, drucken, setzen, verlegen, zugleich jene sind oder zu sein sich mühen, die solche Bücher auch schreiben: Legendär die Verlegerpersönlichkeiten, die zugleich als Autoren von sich reden machen, wie der langjährige Hanser-Verleger Michel Krüger, der nachfolgende Verleger bei Hanser Jo Lendle; und Legion die Autorinnen und Autoren, die vor, neben oder nach dem Schreiben in Buchhandlungen oder Verlagen gearbeitet haben. Victor Otto Stomps ist einer der berühmtesten, in gewisser Weise der tragischsten Fälle dieser Doppelnaturen: Zu seinem 50. Todestag, zugleich dem 100. Jubiläumsjahr seiner ersten beiden eigenen literarischen Veröffentlichungen von 1920 soll er endlich geballt als Schriftsteller präsent sein.

Die Verleger-Legende V.O. Stomps hat zwischen 1920 und 1970 mit seinen Verlagen Rabenpresse, Eremiten Presse und dann der Neuen Rabenpresse junge und experimentierfreudige Autoren verlegt. Er hat sie zusammen mit jungen Künstlern gestaltet und teils selbst gedruckt. Viele dieser Schriftsteller und Künstler, die bei ihm ihre ersten Arbeiten vorgelegt hatten, sind unterdessen auch einem breiten Publikum bekannt. – Hinter diesem das Eigensinnige suchenden Verleger VauO stand immer der Autor Victor Otto Stomps zurück – und das ändern wir nun

Unter seinen rund 200 nachgelassenen Gedichten sind ebenso Entdeckungen zu machen wie unter den vielen kurzen und längeren Portraits zu Zeitgenossen. Diese bilden, wie auch seine »Fabeln« und Romane, ein Konvolut von eindrucksvollen und aufschlußreichen Zeitdokumenten der 1910er bis 70er Jahre. Seine beiden Romane »Gelechter« und »Babylonische Freiheit« sind gepfefferte Satiren auf die politischen Verhältnisse vor und nach dem Zweiten Weltkrieg und zum »Wirtschaftswunder«. Was er als seine rund 20 »Fabeln« be­zeichnete, sind zumeist burleske Studien, sie entfalten eine nur an der Oberfläche fantastische Welt: vergnügliche Lektüre, bis einem das laute Lachen im Halse stecken bleibt – weil das mit großer Wachheit Erzählte noch heute mehr als vertraut und bis in die feinsten, atmosphärisch lebhaft geschilderten Verhältnisse hinein wiedererkennbar ist. Meister der Satire wie Bohumil Hrabal und Malcolm Bradbury lassen grüßen.

Vollends unentdeckt ist der beißend ironische Dramatiker Stomps.

Bei alledem reflektierte Victor Otto Stomps immer wieder, was er auch als Verleger in den Gesprächen mit seinen Autoren und Künstlern in den Mittelpunkt stellte: Die Verbindlichkeit genauer und zugleich experimentierender Sprache einerseits, den unbestechlichen Blick auf die menschlichen Möglichkeiten UND Schwächen andererseits.

Hendrik Liersch, Corvinus-Presse Berlin, sowie Gudrun Dittmeyer, Literatouren e.V. Ober­ursel, und ganz besonders natürlich VauOs Sohn Hans Goswin Stomps haben über die Jahre verdienstvoll bis stur sein verlegerisches und literarisches Vermächtnis lebendig gehalten – mit ihnen und einer Reihe von Partnern werden wir im Jubiläumsjahr 2020 den Autor Victor Otto Stomps hochleben lassen.

Daß dabei mehrere seiner einstigen Autoren-Kollegen und einige vormalige Illustratoren an der Gestaltung und Kommentierung der Bände und Kassette mitwirken, macht diese lange fällige Ausgabe zu einer Art Gesamtkunstwerk Stomps: Bereits zugesagt sind die Gestaltung von Schutzumschlägen durch Horst Antes, Klaus Staeck, Ali Schindehütte und Bernhard Jäger, dazu 4 Vorworte von Christoph Meckel, Bazon Brock, Uve Schmidt und Stefan Müller-Doohm sowie Nachwort-Essays über den Spagat Verleger / Autor von Kollege Hendrik Liersch (Corvinus Presse) und VauOs Sohn Hans Goswin Stomps.

Ein Namensregister, die editorischen Notizen von Stefan Schöttler und mir sowie ein ausführliches Quellenverzeichnis, das zugleich Gesamt-Inhaltsverzeichnis und eine Konkordanz liefert, runden die Gesamt-Ausgabe ab.

 

***

Zum 50. Todestag von V.O. Stomps am 4. April 2020, vor allem aber zum 100sten Jubiläum seiner ersten beiden eigenen Publikationen als Schriftsteller erscheint, in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Hans Goswin Stomps und vielen anderen Partnern, eine 4-bändige Buch-Kassette mit Victor Otto Stomps: Band 1: Prosa, Band 2: Romane, Band 3: Gedichte und Dramen, Band 4: Essays und Porträts.

Für diese editorische Meisterleitung kann man dem Verlag nur auf Knien danken. axel dielmann – verlag, 2020

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.