Vom Semiolus Silvanus (Waldaffen) zum Semiolus Domesticus (Hausaffen)

– ein Evolutionsgedicht

Einst haben die Kerls noch auf Bäumen gehockt,

behaart und mit blöder Visage.

Dann hat es sie in die Stadt gelockt,

nach Berlin, asphaltiert und aufgebockt

bis zur dreißigsten Etage.

 

Da kauern sie nun, den Flöhen zum Hohn,

in mit Gas beheizten Räumen.

Da blöken sie nun ins Telefon,

und es herrscht noch genau derselbe Ton

wie seinerzeit auf den Bäumen.

 

Sie hören nichts. Sie studieren fern.

Sie sind mit der Klapse in Fühlung.

Sie putzen das Bad nicht. Sie kratzen sich gern.

Berlin ist heute ein Halbaffenstern

voll Schuppen und Schauma-Spülung.

 

Sie stinken aus Mund, sie stinken aus Ohr,

sie fangen oft an zu toben

und nennen das „Party“. Sie drängeln gern vor.

Sie verstehen nichts von humanem Komfort,

sie ham nicht mal Garderoben.

 

Was ihre Verdauung übrig läßt,

verfüttern sie an die Ratten.

Sie verzapfen dir Schnee über Buddha und Brest,

sie sind gern „kraß drauf, ey“ und mehr noch „gestreßt“

und lieben sinnfreie Debatten.

 

Sie glauben, sie hätten mit Kopf und Mund

einen Fortschritt der Menschheit geschaffen.

Doch wissen wir, das ist alles Schund.

Ob Wald- oder Stadtaffen, sie bleiben im Grund

immer noch wesentlich – Affen.

 

 

 

* * *

Kästners „Entwicklung der Menschheit“, umgedichtet von Ni Gudix.

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