Wortspielhalle

Vorbemerkung der Redaktion: KUNO heißt die Leser zum Jahr der Twitteratur willkommen. Wir präsentieren die Textkomposition ‚Wortspielhalle‘ von Sophie Reyer und A.J. Weigoni, die uns mit wöchentlich gestöpseltem durch das Jahr 2014 begleiten wird. Zur Geleit über das Konzept der Artisten:

Photo: Peter Ettl

Wenn die Geschichte der Medien die Geschichte einer Konkurrenz ist, begann sie – wie zuvor in Top 100 skizziert – mit einem Vorsprung. Die Dichter hatten die Montage entdeckt, als die ersten Photographen noch Stunden brauchten, um ein einzelnes Bild zu entwickeln. Es war, als hätte die Literatur den Film erahnt und als er kam, genossen sie gemeinsam den Rausch der sich überstürzenden Eindrücke. Der Videoclip, ein durch Bildschnitt und Rhythmus bestimmtes Medium, überholte sie alle. Trotzdem verweigert sich die Wortkunst seiner Inspiration. Es scheint, dass sich die Literaten vom flüchtigen ästhetischen Reiz nicht den langen Atem rauben lassen wollen.

Uns ist diese kurze Form einen Versuch wert. Es entstanden in der Wortspielhalle Miniaturen, die ein feines, manchmal weitmaschiges Netz von Relais durchzieht: Schnittstellen, an denen zwischen Gegenständen, Wahrnehmungsperspektiven, zwischen Räumen und Zeiten hin und her gewuselt wird, und gleichzeitig zwischen verschiedenen Distanzen zum Beschriebenen.

Wir erzeugen einen Lyriksound, der sich am besten laut liest, weil er stark auf einer rhythmischen Struktur gründet: Wiederholung, Loops, Leitmotive und Feedbackschlaufen. Zwischen Twitteratur und dem hysterischen Rhythmus des Videoclips ist eine Form zu entdecken, die sich lesen und hören lassen kann. So kann Literatur, will sie auf die veränderten medialen Verhältnisse und die dadurch erzeugten Wirklichkeiten reagieren, einen innovativen Input erhalten und letztlich eine weitere Existenzberechtigung. Mit der Digitalisierung beginnt das Zeitalter des Literaturclips.

Wir befinden uns, wie Michel Foucault schreibt, im Zeitalter der Biopolitik. In einer Gesellschaft, in der eine Form von Biomacht ausgeübt wird, beschränkt sich die staatliche Herrschaft nicht darauf, den Körper – sei es im Krieg oder in der Arbeit – zu verbrauchen. Dieser wird vielmehr als steigerbare, verwendbare Ressource auch noch vermehrt und verbessert. Das Internet bietet mit Hilfe des Hyperlinks andere Ein– und Ausstiegsmöglichkeiten für das Erzählen, es kann dazu Beiträge leisten, denn es ist ein Medium, das uns die Möglichkeit der Entkörperung gibt.

 

 

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Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014

Cover: Frühlingel von Peter Meilchen

Weiterführend → Die Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Eine höherwertige Konfiguration entdeckt Constanze Schmidt in dieser Collaboration. Holger Benkel lauscht Zikaden und Hähern nach. Ein weiterer Blick beleuchtet die Inventionen von Peter Meilchen. Ein Essay fasst dieses transmediale Projekt zusammen. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht Sophie Reyer der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende Analysieren gebrochen wird. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können hier abgerufen werden. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.