Höherwertige Konfiguration

Im elektrischen Zeitalter tragen wir die ganze Menschheit als unsere eigene Haut.

Marshall McLuhan

Wendet man den Begriff Hybrid auf die Wortspielhalle an, so ergibt dieses Sprachkunstwerk im besten Sinne etwas Gebündeltes, Gekreuztes und Gemischtes. Prosaische Gedichte treffen auf lyrische Prosastücke, splitterig, brüchig und aufs höchste konzentriert, die Sprache zugespitzt aufs Wesentliche allein, der Entgrenzung von Raum und Zeit, der Transposition des gelebten Augenblicks. Das Gehirn trennt wesentlich mehr zwischen dem Schreiben und dem Wahrnehmen. Der wichtigste Effekt von Technologie und IT besteht darin, daß das Bewußtsein sowohl des Einzelnen wie dasjenige der Gesellschaft und damit der Poesie immer mehr Input bekommen. Dieser Bewußtseinsinput wird in diesem Projekt neu sortiert. Die verfügbaren Ordnungsmethoden werden sowohl intensiver als auch extensiver angewendet. Der Terminus Simulation beschränkt sich keineswegs auf Programmläufe im Computer, menschliche Kognitionen und Gefühle werden von Sophie Reyer und A.J. Weigoni feinkörnig betrachtet, immer mehr Prozesse, die zu menschlichen Gefühlen und Kognitionen führen, werden identifiziert und isoliert, und sie werden punktgenauer simuliert.

Das Hörspiel ist ein akustischer Ablauf, der sich von Musik dadurch unterscheidet, dass sein Material hauptsächlich aus gesprochener Sprache besteht; ohne eine Übereinkunft dieser Art könnte das Wort „Hörspiel“ auch dasselbe bedeuten wie das Wort „Musik“.

 Friederike Mayröcker/ Ernst Jandl

Was in der Wortspielhalle heraussticht, ist die spielerische Kombinationsgabe, mit der diese Texte kombiniert, gleichsam komponiert wurden, in dem großzügigen Layout eröffnet diese Kombination als lyrischer Wahrnehmung und analytischer Twitteratur ein neues, so bisher nicht wahrnehmbares Geflecht von Bezügen. Dies überträgt sich auf in durch die Inventionen durch die Reihe Frühlingel von Peter Meilchen, gerade durch das angerissene, vermeintlich Unfertige spiegelt dieses Buch/Katalog-Projekt den Fragmentarismus des sich entblätternden 21. Jahrhunderts. Überall ist bei Reyer und Weigoni die Suche nach dem Ungeläufigen zu spüren. Um mit den darstellerischen Verdichtungen sprachlich anders an die Dinge heranzukommen, reichen gewohnte Wendungen nicht aus. Selbst da, wo die Wörter stilistisch nicht verfremdet werden, überraschen und irritieren sie, wirken gleichsam blankgeputzt. Ihr Spiel mit der Sprache kennt keine logischen Grenzen; sinnfällig wird das schriftliche dargelegte – im Internet und auch Offline als handsignierte Preziose – und konsequenterweise durch die Umsetzung in ein Hörbuch. Reyer und Weigoni betreiben eine intensive intellektueller Beschäftigung mit den Medien Sprache und Rundfunk, den Möglichkeiten, Zwängen und Manipulationsmechanismen. Dieses Hörspiel ist ein Gesamtkunstwerk, in dem der Rhythmus der Welt und die menschliche Sprache die gleiche Aussagekraft haben. Diese Sprache besteht aus diskreten bedeutungstragenden Einheiten, sprachlichen Zeichen. Die Annahme einer Trägerbeziehung zwischen Zeichen und Bedeutung ist ein Axiom dieser Wortspielhalle, hinter das nicht zurückgegangen wird. Gedruckte, im Netz installierte und gesprochene Sprache finden zu einer ungewohnten, ja, sinnlich nachvollziehbaren Einheit zusammen.

Der Vorgang der Übersetzung wird auch als Kompilierung oder Umwandlung bezeichnet. Das Gegenteil, also die Rückübersetzung von Maschinensprache in den Quelltext der Poesie, wird Dekompilierung genannt.

Slavoj Žižek

Entstanden ist mit der Wortspielhalle ein vielschichtiges Projekt, das Reyer und Weigoni als Denker zeigt, vor denen kaum ein Thema sicher ist: Gender, Fotografie, Ästhetik, Ideologie, schlußendlich: Poesie – und die sich keinen Deut um die Trennung von Hoch- und Popkultur scheren. Diese Poeten sind Theoretiker der Partizipation, weil es ihnen um den geschärften Blick auf die Art und Weise unserer Kommunikation geht. Und unsere Befangenheit im Umgang mit den allgegenwärtigen Medien. Diese Art von Partizipation beschreibt den engen Zusammenhang, den der User weltweit mit seiner medialen Umwelt eingegangen ist: „In diesem Zustand ist niemand mehr allein.“ Technologie und IT verändern das Bewußstsein in der Tiefe. Bei ihren Textkonzentraten sind die Autoren imstande, komplizierte Sachverhalte zu behandeln, die nicht in Dialoge gegossen werden können, sie sind fähig, etwas zu erklären, in vielen Bedeutungen des Wortes. Reyer und Weigoni spielen mit der Sprache und spielen die Stärken der Poesie aus: den Bezug zu Innenwelten und die Behandlung komplexer Sachverhalte. Wir finden hier erzählerische Features, die eine intensivere und komplexere Interaktion zwischen Artist und User ermöglichen. Die schnellere Interaktion ist naturgemäß immer die durch Bilder dominierte, die keine oder nur wenig sprachliche Artefakte verwendet, höchstens eindeutige Symbole. Und das ist nichts weniger als ein upgrade der Poesie.

 

 

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Wortspielhalle, eine Sprechpartitur von Sophie Reyer & A.J. Weigoni, mit Inventionen von Peter Meilchen, Edition Das Labor, Mülheim 2014

Weiterführend → Die Sprechpartitur wurde mit dem lime_lab ausgezeichnet. Einen Artikel zum Konzept von Sophie Reyer und A.J. Weigoni lesen Sie hier. Vertiefend zur Lektüre empfohlen sei auch das Kollegengespräch :2= Verweisungszeichen zur Twitteratur von Reyer und Weigoni zum Projekt Wortspielhalle. Eine höherwertige Konfiguration entdeckt Constanze Schmidt in dieser Collaboration. Holger Benkel lauscht Zikaden und Hähern nach. Ein weiterer Blick beleuchtet die Inventionen von Peter Meilchen. Ein Essay fasst das transmediale Projekt Wortspielhalle zusammen. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. Eine Würdigung des Lebenswerks von Peter Meilchen findet sich hier. Alle LiteraturClips dieses Projekts können hier abgerufen werden. Hören kann man einen Auszug aus der Wortspielhalle in der Reihe MetaPhon.