Born in the USAndernach

Auf der Basis seiner eigenen Erfahrungen schrieb er in knappem Stil harte, witzige Stories, Romane und Gedichte über das Leben in den Randzonen der bürgerl. amerikan. Gesellschaft. Schockwirkung durch die Darstellung brutaler Gewalt, obszöner Sexualität und des Schmutzes der Gosse.“

Der Literatur-Brockhaus: in acht Bänden

Heinrich Karl Bukowski, das war sein Taufname, als er am 16. August 1920 in Andernach, 15 Minuten nordwestlich von Koblenz, als Sohn eines US-amerikanischen Besatzungssoldaten geboren wurde. Aus Heinrich Karl wurde Charles, Charles Bukowski, Dichter und Schriftsteller, der Mann mit der Ledertasche, der schlechte Verlierer und derjenige, der detailliert bestimmte Männerfantasien beschrieb: ungehemmter Junggeselle, schlampig, unsozial und frei – ob in Gedichten, Kurzgeschichten oder Romanen. Er ist ein erfolgreicher Vertreter des Undergroundstils und drastischer Beobachter städtischer Unterschichten und gesellschaftlicher Außenseiter. Er befindet sich zeitlich und geografisch irgendwo zwischen Beat Generation und Gonzo-Journalismus, ist diesen Stilen aber nicht zuzurechnen. KUNO sieht ihn in der Tradition des Trash. Dem Begriff Trash haftet der Hauch der Verruchtheit und des Nonkonformismus an. In Musik, Kunst oder Film gilt Trash als Bewegung, die im Klandestinen stattfindet und an der nur ein exklusiver Kreis nonkonformistischer Aussenseiter partizipiert. Dieser angeschmutzte Realismus entzieht sich der Rezeption in einer öffentlichen Institution.

Bukowski war vielmehr ein eigenwilliges Unikum, das sich weder einordnen noch kategorisieren läßt.

Mit seinem „Credo der absoluten, literarisch unverstellten Wahrhaftigkeit von Empfinden und Darstellung“ muss man ihn als modernen, ironischen Naturalisten sehen. Damit ist Antiheld Henry Chinaski der „kompromißlos unangepasste, pessimistische“ Protagonist schlechthin. Das Leben seiner Romanfiguren wird von Alkohol, Sex, Brutalität, Vergeblichkeit, Elend und Melancholie geprägt. Sie sind Protokolle der alltäglichen Hölle, sehr realistisch, sehr brutal – und sehr komisch. Bukowskis Humor versöhnt den Leser mit dem wilden und rohen Alltagsleben seiner Helden, und hinter der Fassade des ewig betrunkenen und monströsen Genies steht der sensible Dichter, eine verletzliche Person.

Outsider of the Year

1962 brachte die Literaturzeitschrift The Outsider eine Sonderausgabe über Bukowski und verlieh ihm den Titel „Outsider of the Year“. Die Verleger der Zeitschrift, Louise und John Webb, brachten 1963 auch Bukowskis ersten großen Gedichtband heraus (It Catches My Heart in Its Hand). In der Zeit als Briefsortierer fing Bukowski zudem an, wöchentliche Kolumnen für die Alternativzeitung Open City in Los Angeles zu schreiben. Ein Teil der Kurzgeschichten erschien später in Buchform (Notes of a Dirty Old Man).

Schreibweltmeister im Schwergewicht

Bukowski schreibt in einer harten, direkten Sprache und spart in seinen Geschichten die schmuddeligen Aspekte des menschlichen Lebens keineswegs aus. Insbesondere seine Dialoge sind exzellent beobachtet und auf höchstem Niveau geschrieben, vereinzelt auch bis zur Drastik eines Edward Albee oder Arthur Miller. Kritiker nannten ihn auch den „Schreibweltmeister im Schwergewicht“. In seinem erzählenden Werk ist er zugleich meist komisch, erstaunlich absurd (mit Ausnahme einiger Kurzgeschichten), angereichert mit Selbstironie und überwiegend positiv. Einen Einblick in seine Kindheit und Jugend gibt der Coming-of-Age-Roman Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend. Den Originaltitel Ham on Rye wählte Bukowski in Anlehnung an den Titel Catcher in the Rye (deutsch unter dem Titel Der Fänger im Roggen erschienen) von J. D. Salinger. In dem Roman Ausgeträumt (Pulp), den er während seiner letzten schweren Krebserkrankung beendete, verlässt er den Bereich des autobiografischen Schreibens, obwohl er auf der Ebene des personalen Erzählers bleibt. Erzählt wird die Geschichte des Privatdetektivs Nick Belane, der den Tod in der Figur einer schönen Frau findet. Autobiografische Züge sind in diesem letzten Roman nur noch in symbolischer Form und stark verfremdet zu finden.

In Deutschland gelingt Bukowski der Durchbruch Ende der 70er Jahre. Als er 1978 die Bundesrepublik besucht, sorgt dies für ein außergewöhnliches Medienecho; bei seiner Lesung in Hamburg wird er gefeiert wie ein Popstar. Diese Deutschlandreise führt ihn auch nach Andernach, wo er seinen Onkel besucht.

 

 

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Pünktlich zum Geburtstag von Charles Bukowski, erscheint eine Hommage im Acheron Verlags. Unter den Autoren finden sich in der Szene bekannte Typern: Susann Klossek, Jan Egge Sedelies, Florian Günther, Andrea Mohr, Robsie Richter, Ron Hard, Hermann Borgerding, und Hartmuth Malorny. Letzterer schrieb vor zehn Jahren über „Momente, die das Leben beherrschen“, den Fanbrief Die schwarze Ledertasche. Es ist die Coverversion eines Klassikers, der 1971 erschienen ist.

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.