KUNO trauert um Isidore Isou

 

Isidore Isou war der Sohn eines Restaurantbesitzers jüdischer Herkunft. Auf eigenen Wunsch verließ Isou das Gymnasium vorzeitig und arbeitete für die zionistische Untergrundzeitschrift Palestine, was unter dem antisemitischen Regime von Ion Antonescu lebensgefährlich war. Etwa zur gleichen Zeit wurde er von der Wehrmacht zur Zwangsarbeit herangezogen. Ende 1944 gründete er zusammen mit Serge Moscovici die Literaturzeitschrift Da, die jedoch bald von der Zensur verboten wurde. Im August 1945 siedelte er sich in Paris an und rief kurz darauf den Lettrismus aus, eine Literatur- und Kunstrichtung, die auf dem Zeichen basiert.

Isou sorgte, vor allem in den 1940er und 1950er Jahren, für etliche Skandale, so mit seiner pornographischen Schrift Isou ou la Mécanique des femmes (1949), für die er zu neun Monaten Haft auf Bewährung und einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde. Das Buch selbst wurde verboten und ist seither nicht wieder aufgelegt worden. Auch seine 1960 veröffentlichte Pornographie Initiation à la haute volupté blieb bis 1977 verboten. Sein Film Traité de bave et d’éternité (etwa: Traktat von Geifer und Ewigkeit) führte 1951 zu einem Aufruhr auf dem Festival von Cannes. Trotz fast einhelliger Proteste der Presse wurde ihm ein von Jean Cocteau und anderen ausgelobter Preis zugesprochen.

Nach der Auffassung von Isou wechseln sich in allen Künsten eine Stoff ansammelnde und sich erweiternde (amplique) mit einer zersetzenden und selbstzerstörerischen (ciselante) Phase ab. In der Literatur beginne die Zersetzung mit Charles Baudelaire und Stéphane Mallarmé, in der Malerei mit Claude Monet und Paul Cézanne, in der Musik mit Claude Debussy. Der erste Film der „phase ciselante“ ist demnach Isous Traité de bave et d’éternité (etwa: Traktat von Geifer und Ewigkeit; 1951). Er besteht aus teilweise selbstgedrehtem, teilweise aus Abfällen (Found Footage) montiertem Material, in das Zeichen gekratzt worden sind. Die Tonspur, die von den Filmbildern völlig unabhängig ist, bietet einen Text, der auf fiktionale Weise schildert, wie es zu dem Film kam und welche ikonoklastischen Vorstellungen sein Macher mit ihm verbindet.

In den fünfziger Jahren entwickelte Isou imaginäre, verwesliche und vom Betrachter selbst zu erzeugende oder zu vervollständigende Kunstformen und Kunstwerke und nahm so Ideen der Konzeptkunst, des Nouveau Réalisme und von Fluxus vorweg.

Isou lebte seit den 1950er Jahren zurückgezogen, er nahm jedoch 1987 an der documenta 8 in Kassel teil. Heute ist er nach langer Krankheit gestorben. KUNO trauert um einen Nonkonformisten.

 

 

 

* * *

Mit dem „Alphabetikon“ verlängerte Haimo Hieronymus die Metro von Paris nach Nehe

Weiterführend Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.