Slam Poetry

Das laute Rezitieren ist mir zum Prüfstein der Güte eines Gedichts geworden, und ich habe mich (vom Podium) belehren lassen, in welchem Ausmaße die heutige Literatur problematisch, das heißt am Schreibtische erklügelt und für die Brille des Sammlers, statt für die Ohren lebendiger Menschen gefertigt ist.

Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit.: In: Dada Zürich. Texte, Manifeste, Dokumente.

Slam Poetry ist ein beliebtes Veranstaltungsformat im Nachtleben, während Social Beat eine subliterarische Nische darstellt. Nachdem ein paar Groß- und zahlreiche Kleinverlage ihre Anthologien dazu herausgegeben haben, setzt sich auch dieser Sammelband in der Reihe der Literaturzeitschrift »text« mit diesen Phänomenen auseinander.

Diese Strömung der Dichtung ist vor allem im Umfeld von Poetry-Slam-Bühnen in die Öffentlichkeit getreten. Im Unterschied zum Begriff Poetry-Slam, der einen literarischen Vortragswettbewerb bezeichnet, ist Slam-Poetry „publikumsbezogene und live performte Literatur.“ Marc Kelly Smith, Gründer des ersten Poetry Slams und selbsternannter Slampapi, beschreibt die literarische Strömung mit den schlichten Worten:

Slam poetry is a style of poetry that’s composed for the purpose of being performed in front of a live audience and in a competitive arena.

Die Herausgeber sind jedoch nicht hauptsächlich von der Aktualität der Erscheinungen, sondern vielmehr von deren »Kraft« und der Frage ausgegangen:

Geht es hier um eine Literatur, die auch Leser*innen außerhalb von Szenen ansprechen kann?

Somit hat die Unternehmung der beiden Herausgeber einen stark experimentellen Charakter. Hauptkriterium bei der Auswahl war nicht die reine Zugehörigkeit der Autoren zur »Szene«, sondern Thematik und Qualität der Texte. Längst ist klar geworden: In der Subkultur, dem sogenannten Underground, gibt es unglaubliche Ressourcen an Kreativität, die es zu entdecken gilt.

Vom Inhalt her ist diese Anthologie eine reine Textausgabe. Die Beiträger (u.a. Bdolf, Mirko Buchwitz, Jörg André Dahlmeyer, Peter Engstler, Gerald Fiebig, Klaus N. Frick, Stan Lafleur, Alexander Pfeiffer, Philipp Schiemann, Michaela Seul, Harald ›Sack‹ Ziegler) versuchen weniger zu erklären, was Social Beat und Slam Poetry bedeuten, – sie zeigen es anhand der Texte. Und genau diese Texte beschreiben meistens eine soziale Realität und mentale Entwürfe. Jede Zeit hat ihren Realismus – und das hier ist aus Sicht der Herausgaber „der Realismus der 1990er Jahre“.

 

 

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Es gibt. Social Beat / Slam Poetry Texte der 90er. Hrsg. v. Boris Kerenski & Sergiu Stefanescu. Ithaka Verlag, Stuttgart 1998

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.