VauO Stomps, der Klassiker des Andersseins

Im Gegensatz zu den etablierten Großverlagen konzentrierte sich Victor Otto Stomps auf die kleine Form und produzierte geringe Auflagen in hoher handwerklicher Qualität. Er wandte sich besonders der Lyrik und Erstlingswerken junger Autoren zu.

Es besteht eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen dem künstlerischen Wert eines Werkes und dem ökonomischen Wert, der sich durch Vermarktungsstrategien zwar steigern lässt, aber nichts über die Qualität des Werks selbst aussagt. Der vor 100 Jahren geborene Victor Otto Stomps, von seinen Freunden kurz VauO genannt, ist ein Klassiker des Andersseins, er gilt als der Vater der Kleinverlage und Minipressen. In seiner Person vereinigten sich die Traditionen des Selbstverlags wie auch der Privatpressen. Seine Ideen von Literatur und Buchgestaltung verwirklichte er hauptsächlich in drei Verlagen.

Der Beginn meiner ,Rabenpresse‘ war ein Protest gegen das, was der Motor schafft: die Riesenauflage, die das Abseitige ausschließt. Mit einer Handpresse begann es, Gebser und ich hatten diese Maschine gekauft und verstanden nicht, damit umzugehen. Kein vernünftiger Druck kam zustande. Wir trösteten uns mit einer Flasche– und mit jedem Schnaps mehr kam uns ihr Umriß wie ein gespenstischer Rabe vor – der Handhebel wie ein zum Schlag ausholender Flügel.

V.O.Stomps: Gelechter. Frankfurt am Main. 1962

1925 im Alter von 28 Jahren kaufte Stomps seine erste gebrauchte Tiegelpresse und druckte in Berlin-Friedenau mit zwei Freunden im Handbetrieb „Lyrik in kleinen schmalen Heften“. Dies war der Ursprung seines ersten Verlages, dem er den Namen „Rabenpresse“ gab. Hier erschien unter anderem die Literaturzeitschrift Der Fischzug unter der Redaktion von Walther G. Oschilewski. In den Jahren 1932 bis 1934 erschien die Literaturzeitschrift Der weiße Rabe. Einige Ausgaben davon stellte Stomps selbst als Redakteur zusammen. Um Stomps und seine Rabenpresse kristallisierte sich in dieser Zeit ein großer literarischer Kreis. Dazu gehörten unter anderen Walther G. Oschilewski, Gertrud Kolmar, George A. Goldschlag, Jens Heimreich, Horst Lange und dessen Frau Oda Schaefer, Peter Huchel, Werner Bergengruen, Georg Zemke, Herbert Fritsche, Joachim Maass, Robert Seitz, Rolf Bongs, Werner Helwig, Eberhard Meckel, Heinz Oskar Wuttig und Hans Gebser, der später in der Schweiz als Philosoph Jean Gebser bekannt wurde.

1937 musste Stomps auf Druck der Nationalsozialisten und aus finanziellen Gründen den Verlag verkaufen. Alle Bücher, die nach Mitte 1937 noch unter der Verlagsbezeichnung Rabenpresse erschienen, liegen daher nicht mehr in seiner Verantwortung, sondern der Ernst Winklers, seines Nachfolgers als Verlagsleiter. Nach seinem Ausscheiden stellte Stomps in eigener Verantwortung jedoch bis 1943 noch zahlreiche Privatdrucke her.

Nie hat er sich von Erwägungen, die außerhalb seiner künstlerischen Einsicht lagen, leiten lassen.

G.B. Fuchs/Harry Pross (Hg.): guten morgen vauo. s. 23; Frankfurt: 1962

Kunst arbeitet sich an der Ökonomie wie an einem Kontrapunkt ab, dies ist in der Modernen ein traditionell zu nennender Topos. Ideengeschichtliche Betrachtungen dieser Art finden seit 1989 auf KUNO ihrem Platz. Ein historischer Blick zeigt, dass es nicht immer darum geht, Ökonomie-, Konkurrenz- und Kommerzdenken aus der Kunst auszuschliessen. Vielmehr steht ein facettenreiches Zusammenspiel literarischer und ausserliterarischer Werte zur Frage. Kurz nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft begann seine Arbeit mit der Eremiten-Presse. Auch hier fungierte er wieder als Verleger „der Jungen“. Das Verlagsprogramm war bestimmt von Texten, die sich andere Verlage nicht zu veröffentlichen wagten. 1954 zieht die Eremiten-Presse nach Stierstadt im Taunus in ein altes Fachwerkhaus, das von Stomps „Schloß Sanssouris“ genannt wurde.

Dort lebte und arbeitete Stomps mit den Mitarbeitern seines Verlages. Auch Autoren wurden in diese Lebens- und Arbeitsgemeinschaft miteinbezogen, indem sie eine Zeitlang in Stierstadt wohnten und dort ihre Bücher selber setzten, druckten und banden. Als Schriftsteller befasste sich V.O. Stomps mit verschiedenen Ausdrucksformen. Neben Gedichten, Epigrammen, Aufsätzen und einem Roman gehören seine Fabeln zu seinen originellsten literarischen Produktionen.

Die von V.O. Stomps verlegten Bücher zeichnen sich in vieler Hinsicht aus: sowohl Form als auch Inhalt sind gekennzeichnet durch den Mut und die Neugierde, Neues auszuprobieren. Sei es nun hinsichtlich neuer Techniken, dem Einfallsreichtum in der Typographie oder das Fördern neuer Nachwuchsautoren. Innovation und der Drang nach noch nicht Dagewesenem waren charakteristisch für die Person Stomps.

1965 erhält er den Theodor-Fontane Literaturpreis der Stadt Berlin. „Sein Werk ist das lebendige Zeugnis einer inneren Notwendigkeit. Das ihm dichterisch Eigentümliche ist aus reellen, psychischen Konflikten entstanden und kann von seinen literarischen Qualitäten nicht getrennt werden.“ (guten morgen vauo S. 59) Sowohl als Verleger als auch als Schriftsteller förderte Stomps Freiräume, in denen sich künstlerisches und geistiges Leben überhaupt erst entfalten kann.

Victor Otto Stomps, 72. Der Knittel-Poet, Fabel-Dichter und Verleger ohne Mehrwert (so sein Autor Horst Bingel), als VauO unter Deutschlands Literaten längst legendär, hat fast ein halbes Jahrhundert lang in seinen Kleinverlagen (Rabenpresse, Eremiten-Presse, Neue Rabenpresse) junge Talente, von Günter Eich bis Günter Bruno Fuchs, entdeckt, gefördert und von Hand gedruckt – um sie dann ohne Harm zu größeren Häusern ziehen zu lassen: Wenn ein Autor uns wegrennt, so lautete das Stomps-Credo, ist unser Ziel erreicht. Der den Nazis als Verleger jüdischer und linker Autoren mißliebige Bohemien aus einer Krefelder Bürgerfamilie, der im Ersten Weltkrieg Oberleutnant gewesen war, wich im Zweiten in die Wehrmacht aus und brachte es zum Oberstleutnant und Regimentskommandeur bei der Artillerie. Die letzte Zeit seiner zeitlebens »bewußt auf Erfolglosigkeit fixierten Existenz« (Stomps-Autor Peter Hamm) verbrachte der Fontane-Preisträger von 1965 im städtischen Altersheim zu Berlin-Kreuzberg, wo ihn kaum einer kannte.«

Der Spiegel, 13.04.1970

Wenn wir den Nonkonformisten V.O. Stomps als einen der letzten Romantiker betrachten, so entzieht die idealistische Legitimierung der ‚reinen Kunst‘ sich nachgerade den Funktionen eines symbolischen Kapitals, das zuverlässig in ökonomisches Kapital umwandelbar wäre. Eine solche Autonomie-Erklärung wurde in der Romantik forciert und beschwörte im letzten Jahrhundert einen regelrechten Kult vom mittellosen Dichter, der ausschliesslich seiner freigeistigen Bestimmung folge. Mit seinen Verlagen hat er versucht, im Kleinen solche Freiräume zu ermöglichen. Finanzielle Rentabilität spielte für Stomps in Bezug auf seine Verlagsarbeit nie eine Rolle, im Gegenteil: zur Finanzierung seiner Verlagsprojekte und seines Lebensunterhaltes musste er fremde Druckaufträge annehmen.

Nach seinem Bruch 1967 mit der Eremiten-Presse kehrt er wieder nach Berlin zurück. In den Räumen der Galerie am Abend von Vera Ziegler gründete er 1967 die Neue Rabenpresse. Neben den unter Verlagspublikationen genannten Titeln erschien als erste Veröffentlichung der Neuen Rabenpresse eine von V.O Stomps herausgegebene Anthologie mit Texten von zahlreichen Autoren seiner bisherigen Verlage: Anthologie als Alibi, versehen mit Holzschnitten von Günter Bruno Fuchs, Johannes Vennekamp, Arno Waldschmidt, Ali Schindehütte und Uwe Bremer, Künstlern, die ebenfalls bereits an früheren Publikationen mitgewirkt hatten. Rückblickend kann er auf eine über vierzigjährige Verlegertätigkeit mit 300 Autoren und Büchern blicken. 1970 starb Stomps – in Armut.

Was uns dieser Nonkonformist hinterlessen hat, ist ein immenser Reichtum an künstlerischer Spekulationskraft.

 

 

 

Porträt V.O. Stomps © Minipressen-Archiv

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Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier (und als Leseprobe ihren Hausaffentango). Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge, produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Inzwischen hat sich Trash andere Kunstformen erobert, dazu die Aufmerksamkeit einer geneigten Kulturkritik. In der Reihe Gossenhefte zeigt sich, was passiert, wenn sich literarischer Bodensatz und die Reflexionsmöglichkeiten von populärkulturellen Tugenden nahe genug kommen, der Essay Perlen des Trash stellt diese Reihe ausführlich vor. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Jürgen Kipp über die Aufgaben des Mainzer Minipressen-Archives. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.