Abwechslungsreicher Wellenritt

 

Vorbemerkung der Redaktion: Der Herausgeber Axel Kutsch tritt mit den einführenden Worten hinter die ausgewählten Gedichte zurück, schreibt unaufdringlich und sparsam, der Ton ist leise, vorsichtig, dabei klar beim Plädoyer für die grundsätzliche Offenheit beim möglichst vorurteilsfreien Blick in alle Richtungen, die er exemplarisch vorstellt. Anläßlich der Versnetze_acht baten wir den Herausgeber um ein Geleit:

Die vielfältigen Schreibweisen in der deutschsprachigen Lyrik der Gegenwart machen es jenen Rezipienten schwer, die sich nach einer fest umrissenen Ordnung in der Dichtung sehnen. Wenn man heute nach Gemeinsamkeit sucht, dann läßt sie sich am ehesten thematisch verorten. So ist schon seit einigen Jahren quer durch die Generationen eine verstärkte Hinwendung zur Naturlyrik zu beobachten, die sich auch wie ein roter Faden durch „Versnetze_acht“ zieht. Doch es ist ein „Wellenritt in riffreicher Zone“ (Thomas Kling); denn einen gemeinsamen Nenner wie etwa eine auf Einverständnis zielende Ökolyrik oder blauäugiges Romantisieren wird man nicht finden. Dazu ist die auch mit Verfremdungen aufwartende, nicht selten mehrschichtige Naturpoesie zu subtil, filigran, vielgestaltig. Eindeutige Botschaften jedenfalls gehen bei diesem Wellenritt baden.

Einen größeren gemeinsamen Schreibansatz gab es zuletzt in den 1970er Jahren („Neue Subjektivität“), als die Gedichte vor allem jüngerer Autorinnen und Autoren von einem Alltagsparlando geprägt waren, das auch für weniger geübte Lyrikleser rasch zugänglich war. Wie verschiedene Texte in dieser Anthologie zeigen, ist solche „klare“ Poesie keineswegs aus dem Repertoire der deutschsprachigen Dichtung verschwunden. Allerdings ist unsere Lyrik nach dem Abklingen der „Neuen Subjektivität“ großenteils komplexer und artistischer, das Verstehen oft schwieriger geworden

Ob leicht, schwer oder gelegentlich auch nicht verständlich -– in „Versnetze_acht“ finden sich viele Spielarten heutiger Poesie vom scheinbar einfachen bis zum hermetisch verschlüsselten, vom konventionellen bis zum experimentellen Gedicht, vom Einzeiler bis zum raumgreifenden Poem, nicht zu vergessen die Farben der Mundart jenseits von Heimattümelei. Die grundsätzliche Offenheit des Herausgebers für Themen, Formen und Schreibweisen führt auch diesmal wieder zu einem abwechslungsreichen Wellenritt durch die facettenreiche deutschsprachige Lyrik der Gegenwart.

Die Vernetzung der Generationen und Regionen ist wieder, jeweils mit dem jüngsten Autor beginnend, großräumig nach Postleitzahlbereichen vorgenommen worden – vom Osten (0/1) über den Norden (2/3), Westen (4/5), Südwesten (6/7) bis in den Süden bzw. Südosten (8/9). Das Versnetz „Kleiner Grenzverkehr“ enthält neue Gedichte von deutschsprachigen Lyrikern aus Österreich, der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden, Finnland und den USA.

 

 

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Versnetze_acht, Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart, Hg. Axel Kutsch, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist.

Weiterführend→  Poesie zählt für KUNO zu den identitäts- und identifikationstiftenden Elementen der Kultur, dies bezeugt der Versuch einer poetologischen Positionsbestimmung. Um den Widerstand gegen die gepolsterte Gegenwartslyrik ein wenig anzufachen schickte Wolfgang Schlott dieses  post-dadaistische Manifest. Warum Lyrik wieder in die Zeitungen gehört begründete Walther Stonet, diese Forderung hat nichts an Aktualität verloren. Lesen Sie auch Maximilian Zanders Essay über Lyrik und ein Rückblick auf den Lyrik-Katalog Bundesrepublik, sowie einen Essay über den Lyrikvermittler Theo Breuer. KUNO schätzt den minutiösen Selbstinszenierungsprozess des lyrischen Dichter-Ichs von Ulrich Bergmann in der Reihe Keine Bojen auf hoher See, nur Sterne … und Schwerkraft. Gedanken über das lyrische Schreiben. Lesen Sie ein Porträt über die interdisziplinäre Tätigkeit von Angelika Janz, sowie einen Essay der Fragmenttexterin. Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier, ein Essay fasst das transmediale ProjektWortspielhallezusammen. Auf KUNO lesen Sie u.a. Rezensionsessays von Holger Benkel über André Schinkel, Ralph PordzikFriederike Mayröcker, Werner Weimar-Mazur, Peter Engstler, Birgitt Lieberwirth, Linda Vilhjálmsdóttir, und A.J. Weigoni. Lesenswert auch die Gratulation von Axel Kutsch durch Markus Peters zum 75. Geburtstag. Nicht zu vergessen eine Empfehlung der kristallklaren Lyrik von Ines Hagemeyer. Diese Betrachtungen versammeln sich in der Tradition von V.O. Stomps, dem Klassiker des Andersseins, dem Bottroper Literaturrocker „Biby“ Wintjes und Hadayatullah Hübsch, dem Urvater des Social-Beat, im KUNO-Online-Archiv. Wir empfehlen für Neulinge als Einstieg in das weite Feld der nonkonformistischen Literatur diesem Hinweis zu folgen.