Monat: August 2010

Ein Land, in dem es selbstverständlich ist mit den Mitmenschen Sachen auszutauschen:

  Sie haben aber eine schöne Strickjacke! Darf ich Ihnen hierfür meine Tasche anbieten? Oh, welch wunderbaren Früchte ich in Ihrer Tasche sehe! Ich hätte als Gegenzug dieses Buch, das ich eben gelesen habe und kann es Ihnen wärmstens empfehlen…

Dichtung und Wahrheit

    Nirgends wird das Unglaubliche so rasch zur Wirklichkeit, und die Wirklichkeit so eilig zur üppigen Legende wie dort. Es liegt offenbar in der Natur der Berge, die trockene Wirklichkeit, die einfache Tatsache in ein phantastisches Märchen zu verwandeln,…

Die Kurzsichtige und der Komet

  Es war in einem Winter, als die Astronomen von Europa einen bisher unbekannt gewesenen kleinen Kometen entdeckt hatten, der kurz nach Sonnenuntergang am Abendhimmel mit bloßen Augen zu sehen sein sollte, später in der Nacht aber hinterm Horizont verschwand.…

Verse und Reime machen

  Um Prosa zu schreiben, muß man etwas zu sagen haben; wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch Verse und Reime machen, wo denn ein Wort das andere giebt und zuletzt etwas herauskommt, das zwar nichts ist aber…

Der Mensch wird mit allen Mitteln der Technik zerstreut

  Der Mensch wird mit allen Mitteln der Technik zerstreut und sich selbst und seinen Vorlieben entzogen. Eine solche systematische Zerstreuung war in der Weltgeschichte noch nie da. Ernst Jünger     Weiterführend → ein Essay über die neue Literaturgattung Twitteratur,…

Erwachen

  Wo das Leben beginnt, entscheidet sich am Tag nach dem Suff.     *** Von Herrn Nipp waren auf KUNO zwischen 1989 und 1994 Aperçus, Bonmots, und Sentenzen zu lesen. Eine Vorform der Twitteratur. Prägend für diesen Begriff ist…

Nietzsche und das Archiv seiner Schwester

  Der Baron Friedrich von Schennis, den Else Lasker-Schüler in den »Gesichten« so unvergeßlich beschrieben hat, gab hin und wieder eine Geschichte zum besten, die gewiß nicht als verbürgt gelten darf, aber selbst wenn sie erfunden sein sollte, das Grauen…

Das Buch

  Von allen Werkzeugen, die der Mensch besitzt, ist das erstaunlichste zweifellos das Buch. Die anderen sind nur verlängerte Werkzeuge seines Körpers: Mikroskope, Teleskope sind eine Verlängerung seiner Sicht; das Telefon ist die Verlängerung seiner Stimme; dann gibt es da…

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fremd diese Hände an dir der Leberfleck ein Schmutzrest einer vergangenen Zeit Stichwort Demenz Stichhaltiges Nichts *** Weiterführend → Ein Porträt von Sophie Reyer findet sich hier. In ihrem preisgekrönten Essay Referenzuniversum geht sie der Frage nach, wie das Schreiben durch das schreibende…

Ornament ist vergeudete arbeitskraft

  Ornament ist vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit … Heute bedeutet es auch vergeudetes material, und beides bedeutet vergeudetes kapital … Der moderne mensch, der mensch mit den modernen nerven, braucht das ornament nicht, er verabscheut es.     *** Adolf…

Warten

  Die in der Sehnsucht warten, wachsen zu Riesen.       Weiterführend → Die von Farben und Tönen bestimmte ungebundene und rhythmische Lyrik machte Dauthendey zu einem der bedeutendsten Vertreter des Impressionismus in Deutschland. Seine Werke sind bestimmt von…

Die Kiste VIII

  In diese ernsthaften und schönen Augen hatte er geblickt, hatte sich mal wieder für Momente hoffnungslos verloren, sich in einem Zustand wiedergefunden, der ihm selber unangenehm war. Äußerst unangenehm. Weil er sich so wohl fühlte. Sie waren vor ihm…

Sophisticated

Manchmal erscheinen Bücher mit einem Titel, bei denen man sich wundert, daß es sie noch nicht gibt. Mit ihren »Sexophismen« meldet sich eine kühne Stimme in der deutschsprachigen Lyrik zu Wort. Swantje Lichtensteins Verse sind ausdrucksstark; sie zeichnet mit Metaphern…

Das Dom–Jubiläum

  Seine Stimme ist überzeugend, tief und erfahren, so dass die Jahre von ihm abfallen, wie Firnis von einem alten Bild abblättert. Er hat die chamäleonhafte Begabung, sich immer wieder neu zu erfinden und sich dabei doch treu zu bleiben.…

things change

  h (aufwärts fallen) nach dem tod meines großvaters traf ich laura wieder. an bornholms südspitze nahmen wir weißen sand für unsere uhrgläser und, sagt laura, man könne auch tinte damit löschen. auf der fähre zurück war an schlaf nicht…

breton

„Die vom Gehirn befreite Hand bewegt sich, wohin die Feder sie führt; und sie führt Kraft einer erstaunlichen Behexung die Feder so, dass diese lebendig wird, aber weil die Hand jede Verbindung mit der Logik verloren hat, nimmt sie, auf…

REISEANDENKEN

  ATRANI. Die sacht ansteigende geschweifte Barocktreppe zur Kirche. Das Gitter hinter der Kirche. Die Litaneien der alten Frauen beim Ave Maria: Einschulung in die erste Sterbeklasse. Wenn man sich umwendet, grenzt dann die Kirche wie Gott selber ans Meer.…

Solidarität ist lebensnotwendig

  Meine Sorge ist nur, dass immer der Körper den Geist verrät, weil er stärker ist, es sei denn der Höchstkapitalismus ist Geist, aber das will ich nicht glauben. Oder alles Geistige ist nur eine andere Form des Körpers, das befürchte…

Romane

  Der Roman sollte eine radikale Vergegenwärtigung darstellen.       Weiterführend → Zur historischen Abfolge, eine Einführung.

Abend

  Müde webt Stumpfen dämmert Beten lastet Sonne wundet Schmeichelt Du.       *** Am 1. September 1915 ist August Stramm bei Horodec östlich Kobryn, in einem sinnlosen Krieg gestorben. Seine Texte fallen auf durch ihre schlichte, reduzierte Sprache. Oft wird kein Wert…

NR. 13

Treize – j’eus un plaisir cruel de m’arrêter sur ce nombre. Marcel Proust   Le reploiement vierge du livre, encore, prête à un sacrifice dont saigna la tranche rouge des anciens tomes; l’introduction d’une arme, ou coupe-papier, pour établir la…

Der legendäre erste Satz

  Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Rußlandlagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. DieIsothermen und kodieren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur…

Hinterland

  »Natur ist, wo du ohne dich allein bist« – in dieser Definition steckt nicht nur Polgars ganze Sprachkunst; sie ist der archimedische Punkt, von wo aus er die Welt sieht. »Der archimedische Punkt, von wo aus er die Welt…

gut menschlich

augustsonne versucht haut kontakte locken unter dünne stoffe auf gebleichten morallisten sammeln wieder ihre apostel pluspunkte für gutmenschen büßer reiben ihre glatten blassen gesichter an öffentlichen klagemauern stehen sie nicken und geifern anstand macht ihren wahnsinn zum stolz nicht einmal…

Duett

  Opulenz und Heiterkeit haben in der Rockgeschichte selten jene Lobbyarbeit erfahren, die Askese und Finsternis für sich verbuchen konnten. Doc Hecl beendet seine Karriere, als die Gesellschaft, der er ästhetisch verpflichtet ist, zu Ende geht. Er findet den Mut…

Kunstwerke

  Alle Kunstwerke, und Kunst insgesamt, sind Rätsel; das hat von altersher die Theorie der Kunst irritiert. Daß Kunstwerke etwas sagen und mit dem gleichen Atemzug es verbergen, nennt den Rätselcharakter unterm Aspekt der Sprache. Theodor W. Adorno   ***…

Mitten im Schlaf

  Mitten im Schlaf fährt man auf, im Traum ist man um Jahre zurückgefallen. Die Betonmischer auf der Baustelle schweigen und tropfen, im Park fallen die Kinder von ihren Spielgeräten. Das Leben ist nur noch eine Frage von Überstunden.  …

Hemmungslose Hemmung

  Während unten die mehr oder minder begabten – meist eher minder – Musiker proben und vor allem die unglaublich versehentlich schiefen, nicht zu verwechseln mit gewollt schiefen der Könner, Töne sich den Weg durch meterdicke Mauern bahnen, die unrhythmischen…

Krisis des Romans

  Das Dasein ist im Sinne der Epik ein Meer. Es gibt nichts Epischeres als das Meer. Man kann sich natürlich zum Meer sehr verschieden verhalten. Zum Beispiel an den Strand legen, der Brandung zuhören und die Muscheln, die sie…

Frei

  Ich war mein Leben lang ‚freier‘ (das heisst auch: schlecht bezahlter) Schriftsteller, ‚freier‘ (das heisst: parteiloser) Bürger, ‚freier‘ Denker (das heisst auch: nie Freidenker): ein Mensch also, der immer so frei war, sich ohne Gewissensbisse zu widersprechen, von keiner…

Elberfeld im Wuppertal

Vorbemerkung der Redaktion. Am 01.08.1929 ist die Stadtgründung von Wuppertal im Rahmen des Gesetzes über die kommunale Neugliederung des rheinisch-westfälischen Industriegebiets erfolgt. Zu dieser Zeit wohnte die Elfenfelderin Else Lasker-Schüler bereits in Berlin.   Wir wohnten am Fuße des Hügels. Steilauf…