Rost schläft nie

Satire ist die letzte Möglichkeit der Darstellung der Realität.

Friedrich Dürrenmatt

Coverphoto: Anja Roth

Diese Zombies sind unterwegs, immer in Bewegung, unstete Suchende. Die Mischung aus staubtrockenem Humor, beissendem Witz und leicht absurder Szenen machen diese Erzählungen zu einer heiteren Lektüre – vorausgesetzt, man kann über das Leben von Zombies schmunzeln. A.J. Weigonis Erzählungen sind ein Gegenentwurf zu den Prolo–Komödien, die als ungeschönte Milieubilder daherkommen, letztlich aber nur Freakshows sind, die statt Menschen Witzfiguren zeigen. Die Zombies dagegen wissen durch alle Skurrilitäten und Absurditäten die Würde ihrer Protagonisten zu verteidigen. Das Lachen über sie ist immer empathisch, nie abfällig. Weigonis Erzählungen haben nicht nur – wie guter Wein – einen Körper, sie haben ein satirisches Bewußtsein, das sie mit jeder Silbe ausdünsten, das alle Sätze atmosphärisch umhüllt. Es entstand das wuchtige Porträt einer bis in ihre feinsten zwischenmenschlichen Verästelungen barbarisierten Gesellschaft. Und doch weist diese Prosa auch darüber weit hinaus. Da ist eine schmerzlich spürbare Differenz zur dargestellten Welt, die im ganzen Text vibriert und den Gefühlsraum des Lesers in Schwingung versetzt. Der Leser denkt in diesen Erzählungen mit, und so kann diese Literatur niemals abgeschlossen sein. Es sind Geschichten mit Matrjoschka-Charakter, in virtuos ineinander verschachtelten, zwischen historischen Ereignissen springenden Erzählpäckchen führt dieser Romancier sämtliche Schicksale und Handlungsstränge die er in den Zombies ausgelegt hat in Cyberspasz zusammen. Seine eigentümliche Denkweise, konträr zu den gewohnten Assoziationsbahnen, scheint mit ihrem schwarzen Humor passender zur Weltlage als der freudige Triumphalismus der neoliberalen Weltverbesserer, der seit den 1990er Jahren den Vordergrund der Szene beherrscht.

Der Schöpfer muss notwendigerweise sämtliche Eigenschaften seiner Kreaturen kennen, weil seine Kreaturen keine andern Eigenschaften haben können als die, die er ihnen verliehen hat. […] Man könnte einwenden, dass ein Konstrukteur nicht alle Eigenschaften dessen kennen muss, was er konstruiert. So stellen wir beispielsweise Maschinen her und können ihr Verhalten trotzdem nicht in allen Details vorhersehen. Doch das ist ein äusserst schwacher Einwand. Denn wir stellen Maschinen nicht aus nichts her, sondern fabrizieren sie aufgrund vorgegebener Materialien.

Kurt Gödel

Dieses Konzeptalbum zeigt Weigoni als kühlen Chronisten. Die Realität ist schrecklich genug, er greift die Politik nicht an, er zeigt bloß, was sie anrichtet. Das unterscheidet ihn von Politikern und vom traditionellen Protestgesang. In den Variationen der Zombies und Cyberspasz spielt dieser Romancier auf der breiten Klaviatur, die das fiktionale Langzeiterzählen bietet, Weigoni hat ein paar Trivialmythen von Seifenopern abgeguckt, um dann umso bewußter im Tempo und im Stil zurückzufahren. Die Leidenschaft auskühlen, die angerichteten Ergebnisse begutachten, den Humor und das Absurde feiern. Mit einem Arsenal an kuriosen Nebenfiguren erzählt die Stories davon, wie sich Frauen behaupten inmitten einer politisch umkämpften Machtsphäre. Nicht didaktisch, sondern mit Spaß und Übertreibung finden sich überall machthungrige Menschen, die Moral heucheln und nur selten bewahren. Der Leser begleitet den Erzähler, weil der eine reale Virtualität erfindet, die sich als interessanter, komplizierter, aufregender erweist, als man es zu Beginn der Zombies erwartet. Dem Entstehen dieser neuen Realität von den Erzählungen zu den Novellen zu folgen, ist ein intensives Lesevergnügen. Die Virtual-Reality suggeriert Erfahrungen mit nie da gewesener Intensität. Weigoni ruft nicht zum Sturm auf Paläste und predigt keine Alternativen, er verknüpft lediglich Ereignisse und Beobachtungen, es ist ein intellektuell perforierter Diskurspunk am Rande der Verzweiflung. Alles ist erfunden und zugleich kaum auszuhaltend realistisch. Zugleich zeigt dieser Romancier auf, daß der alte Glaube, die alte Metaphysik einen Riß erhalten hat. Was außerhalb der fiktiven „Wirklichkeit“ als unmöglich zu gelten hat, ist innerhalb ihrer selbst nicht nur möglich, sondern bildet eine Realität eigener und eigengesetzlicher Ordnung. Prosa erweitert ihre Form und gewinnt neue, experimentelle Spiel-Räume, der Leser entscheidet, wie tief die schöne neue Realität in uns eindringt.

 

 

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Zombies, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Covermontage: Jesko Hagen

Weiterführend → KUNO übernimmt einen Artikel von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.

Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.

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