Eine ebenso poetische wie präzise Geschichtsprosa

Der destruktive Charakter sieht nichts Dauerndes. Aber eben darum sieht er überall Wege.

Walter Benjamin

Die Poesie ist für A.J. Weigoni ein Instrument, engagiert an der Welt teilzuhaben. Er ist der  Chronist der hypermodernen Paranoia, erweist sich in seiner kunstfertige Novellendystopie als Meister der coolen slides. Man kann diesem Romancier nicht vorhalten, seine Bücher spielten in einer heilen Welt. Im Gegenteil, es ist etwas verläßlich Ungemütliches an seinen Szenarien, etwas unterschwellig Bedrohliches, das seine Leser hellhörig macht für Katastrophen. Selten nehmen sie bei Weigoni konkrete Gestalt an, eher sind sie gegenwärtig in der Zeitform der Angst. Diese Novellen sind ein Schlag gegen das Textkino. Filme altern, Literatur dagegen ist stets Vergegenwärtigung. Erzählungen, in denen Kunst vorkommt fordern das Imaginationsvermögen heraus; ein Vermögen, das in der Branche der Textfixierten ein wenig verkümmert ist.

Das Buch ist so frisch und direkt, so, als bräuchte dieser „Pre-Pop-Essayismus“ noch keine Post-Post-Bemerkungen und mindestens weniger Selbstreferentialität und Attitüde.

Die Qualität dieser Novellen, ihre sinnliche Kraft und ihre Verständlichkeit erweisen sich in ihrer Verschaltung. Kunstwirklichkeit hat nur Sinn, wenn sie die Wahrhaftigkeit der Welt, in der wir uns bewegen, trifft. Weigonis literarische Preziosen sind Kabinettstückchen, an denen man nicht zuletzt auch erfahren kann, was eine moderne Novelle ist: immer noch die Darstellung von unerhörten Ereignissen. Immer wieder finden sich Momente von großartiger Konsequenz, besonders dann, wenn Weigoni auf den Sieg der detektivischen Vernunft über das Durcheinander der Wirklichkeit setzt, andererseits darf diese Vernunft sich an beliebigen Wirklichkeiten abarbeiten und an ihnen auch scheitern. Seine Novellen bringen zwar Licht ins Dunkel, aber dieses Dunkel wird durch das Licht erst definiert. Ein anderes Licht hätte es mit einem anderen Dunkel zu tun. Die moralische Unübersichtlichkeit spiegelt sich in der äußeren Unübersichtlichkeit ebenso wie die äußere in der inneren. Das Ende der Welt ist auch das Ende aller Verbindlichkeiten. Die Zivilisation erfährt ihre letzte Niederlage in der Konfrontation mit der Natur. Kultur wartet auf Auslöschung. Man kann nicht sicher sagen, was die Wahrnehmung der Welt entschiedener beeinflusst: Die Sprache oder die Bilder? Sie durchdringen einander. Die Energie kommt mutmaßlich aus gleicher Quelle.

Viel gelebt und wenig geschrieben. Besser als umgekehrt.

Johann Gottfried Seume

In Zombies und in Cyberspasz, a real virtuality schlagen sich die epochentypischen urbanen Bedrohungstopoi nieder, Krieg, Terrorismus, Finanzkrise und anderes mehr. Nicht daß Weigoni die Angst schürt – dafür ist sein Blick auf die Dinge zu distanziert, geradezu abständig. Mal schaut der Autor aus dem Weltraum auf das irdische Geschehen, mal geht er wie mit dem Seziermesser an die Ereignisse heran, immer aber hat man das Gefühl, der Erzähler bewahre eine konstitutive Fremdheit gegenüber seiner Welt. Die Welt mag schrecklich sein, aber solange es jemanden gibt, der sie mit dieser Klarheit, Kühle und Schärfe beschreibt, kann sie nicht verloren sein. Weigoni ist auch deshalb ein so suggestiver Erzähler, weil er sich auf die Kunst des einzelnen Satzes versteht. Immer wieder stehen, leuchtend isoliert, Sätze in seinen Erzählungen, die ohne Anschluss sind: Fühlende Maschinen sind nicht auf komplexe Software angewiesen, sondern auf Benutzer, die ein emotionales Verhältnis zu ihnen aufbauen, heißt es einmal. Solche Sätze verstärken den Geist der Einsamkeit, den diese Texte verbreiten, gerade wenn sie unter die Menschen gehen. Natürlich bergen solche einsamen Sätze auch eine Gefahr. Sie überhöhen eine Leere, die tatsächlich von einer Schwäche kündet, die Erzählung mit konventionellen, also wahrscheinlichen Mitteln weiter zu entwickeln. Zombies und Cyberspasz, a real virtuality sind reich an Zeitdiagnostik und vor allem -prognostik.

Träumen Androiden von elektrischen Göttern?

Seine Erzählungen und Novellen weisen unverkennbar ein Beziehungspepflecht auf, sie sind in ihrer leisen, latenten Dramatik und ihrer Art, eine Bedrohungs- und Gefahrenlage zu umspielen, unschwer miteinander in Beziehung zu setzen. Trotzdem handelt es sich dann manchmal tatsächlich nur um kleine, atmosphärisch starke, aber inhaltlich nicht besonders ergiebige Erzählungen. Weigoni konzentriert sich ganz auf die Beschreibung des Abstandes, der den Leser von dem beobachteten Geschehen trennt. Diese Novellen verfügen über den unbe­dingten Willen zur Gegen­wärtig­keit. Es ist eine präzise, lakonische, hyperrealistische Prosa mit vielen Dialogen und extrem zugespitzten Stimmungsbildern. Man merkt in jedem Satz, in jedem Wort, dass die Globalisierung etwas Zerstörerisches hat. Das Grauen wird auf bedrängende Weise zwischen den Zeilen evoziert. Es ist frappierend, mit welch avanciertem Formverständnis Weigoni operiert und durch Auslassung, durch Verknappung eine ungeheure Wirkung erreicht. Dabei gelingt es Weigoni das Schwere leicht und das Leichte schwer zu machen. Apokalypse paart sich mit Heiterkeit, Phantastik mit Präzision, dialogischer Witz mit Zitat und Selbstironie. In virtuos ineinander verschachtelten, zwischen historischen Ereignissen springenden Erzählpäckchen führt dieser Romancier sämtliche Schicksale und Handlungsstränge die er in den Zombies ausgelegt hat in Cyberspasz zusammen.

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A.J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Covermontage: Jesko Hagen

Weiterfühend →

KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.