Die Medienpluralität hat das Monomedium Buch verdrängt

 

Das literarische Sprach-Handwerk spricht vom Sterblichen, Poesie zielt seit dem Gilgameschepos aber auf Unsterblichkeit. In den Schmauchspuren drückt sich das schmerzende Gefühl des Verlustes der Metaphysik aus. Spätestens seit einem Verkehrsunfall mit Nahtoterfahrung wusste A.J. Weigoni um einem Leben im Angesicht des Nichts. Dieser Sprechsteller geriert sich nicht nur als poeta doctus und poeta faber, er verbindet Klang und Inhalt zu einer Poesie, die weit über Text und Kontext hinausgeht. Wie werden Zeuge einer unverkennbaren Wortverkettungslust, ruppige Konsonantenströme treffen auf eine verkantete Grammatik, ahnungsweise verständliche Neologismen auf Analogbildungen. Dies überzeugt sowohl in Notation, als auch in Rezitation.

Lyrik verbindet das Innen und Außen miteinander: Einatmen – Ausatmen. Der Vers ist so besehen:  eine Atem­einheit

Es ist eine Tücke aller technischen Medien, dass sie sich selbst zum Verschwinden bringen, indem sie hinter den Tönen oder Bildern, die sie transportieren, in der Regel unhörbar, unsichtbar bleiben. Weil Klang und Stimme uns direkt und emotional ansprechen, spielen sie Künstlern in die Hände, die ihr Publikum in Performances und Produktionen einbeziehen. Es geht diesem Lyriker darum, mit wenigen Worten alles zu sagen. Es geht auch darum, Gefühle zu kommunizieren, ohne daß Worte verständlich werden. Es ist seine Methode, die Stimme als Instrument einzusetzen, nicht als Nebelhorn. Er fügt zusammen, setzt Wörter in den Fluss, um sie danach wieder raubeinig zu trennen. Weigoni schlägt zwar nicht auf die Luft ein, aber mit ihrer Sprache formt sie die Luft zu Klängen und rhythmischen Figuren, die den Leser aus seinen vertrauten Denkmustern holen.

Wir schwimmen im Meer der Radiowellen, schrieb Marshall McLuhan 1968 in Die magischen Kanäle, aber wir bemerken sie ebenso wenig wie ein Fisch das Wasser, solange er nicht an Land gezogen wird und Luft schnappt.

Seine Denkschärfe in den Schmauchspuren hat das Ziel die Logik einer poetologischen Reflexion zu sein welche die Wirklichkeit im Ausgesprochenen entdeckt. Es geht um Beweglichkeit und Bewegung. Denkbewegung und Handeln. Bei diesem Poeta ludens ist Sprechen ein schöpferischer Akt, bei dem durch das Aussprechen Welt und Wirklichkeit erst entstehen. Er haucht, atmet die Zeilen aus, er lässt ab und zu einen winzigen Seufzer anklingen. Die artIQlierten Denkspiele sind, um es mit Georg Heyms Worten zu sagen „Neopathetisches Cabaret für Abenteurer des Geistes“.

 

 

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Schmauchspuren, Gedichte von A.J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2015 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover.

Original Holzschnitt, direkt auf das Cover gedruckt von Haimo Hieronymus

Weiterführend →

In 2015 erschien der Band Schmauchspuren. Als Forensiker der deutschsprachigen Lyrik anerkennt Jo Weiß diesen Lyriker. Das Dichten als Form des Denkens erkennt Erik Lauer. Holger Benkel betrachtet die Schmauchpoesie von Weigoni. Eine Übersetzung des Gedichts Ichzerlegung eines Wesensfallenstellers durch Lilian Gergely finden Sie im Literaturmagazin Transnational No.3 Die Schmauchspuren sind als Einzelband vergriffen und nur noch im Schuber erhältlich. Jeder Band aus dem Schuber von A.J. Weigoni ist ein Sammlerobjekt. Und jedes Titelbild ein Kunstwerk. KUNO faßt die Stimmen zu dieser verlegerischen Großtat zusammen.

Juliane Rogge über die Symbiose der Gattungen Lyrik, Musik und Tanz. Probehören kann man Auszüge der Schmauchspuren und von An der Neige in der Reihe MetaPhon. Eine eine Polemik von A.J. Weigoni über den Sinn einer Lesung. Lesenswert auch VerDichtung – Über das Verfertigen von Poesie, einen Essay von A.J. Weigoni über das Schreiben von Gedichten.