Kopfkino ein WortVideo für eingeweihte Ohryeure

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Citizen Welles, 1941

Vor 35 Jahren ist Orson Welles gestorben, er hat unfertige Filme hinterlassen, einen davon hat Netflix fertiggestellt. Gedreht wurde The Other Side of the Wind von 1970–1976, es ist, eine Satire über Hollywood, in der John Houston, Bob Random, Peter Bogdanovich, Susan Strasberg und Oja Kodar mitgespielt haben. Orson Welles selbst soll noch rund 40 bis 50 Minuten des Films geschnitten haben, der Rest jedoch ist unbearbeitet geblieben. Es fehlt außerdem die komplette Filmmusik sowie weitere Schritte in der Postproduktion. Eigentlich sollte The Other Side of the Wind, der vom Comeback-Versuch eines Regisseurs handelt, Welles‘ eigenes Comeback in Hollywood einläuten, doch rechtliche Schwierigkeiten verzögerten die Arbeit an dem Film. Mit Hilfe von Netflix wurden die Filmrollen aus dem Pariser Lagerhaus bereits nach Los Angeles gebracht, wo Frank Marshall und Peter Bogdanovich den Schnitt überwachen werden. Sie wollen sich dabei an den handschriftlichen Notizen aus dem Nachlass von Welles und ihren eigenen Erinnerungen an die Produktion erinnern.

Sie applaudierten wie blöde, aber keiner rückte auch nur einen Cent heraus

Vanity Fair brachte einen umfangreichen, sehr lesenswerten Auszug aus Josh Karps Buch, das sich ausschließlich mit Orson Welles letztem, Ruine gebliebenem Film The Other Side of the Wind beschäftigt, eine Satire auf „New Hollywood“, über einen Regisseur namens Hannaford, der aus Europa zurückkehrt, um einen letzten großen Film zu drehen. Bei einer Hollywood-Zeremonie zu Ehren von Welles versuchte der Regisseur mit einigen Szenen aus dem Film letztmals Finanzmittel einzuholen: „Die präsentierte Szene findet in einem Vorführsaal statt, in dem einer von Hannafords Mitarbeitern sich darum bemüht, den unvollendeten Film des Regisseurs (für den er, genau wie Welles, eine letzte Kapitalspritze benötigt) an einen hübschen, jungen Studioboss, der auf Robert Evans basiert, zu verkaufen – was die ganze Sache ziemlich unbequem machte. Noch schlimmer wurde es, als sich herausstellte, dass Hannafords Film keinen Dialog und keine Story hatte, und nichts anderes darstellt als ein wunderschön gefilmtes Desaster, das nicht einmal der Verkäufer erklären konnte. … Welles behauptete zwar, im Anschluss ein Angebot erhalten zu haben, dass die Produktionsgesellschaft Astrophore es jedoch in Erwartung anderer – besserer – Angebote abgelehnt habe. Bogdanovich aber kann sich an kein Studio und keinen Produzenten erinnern, der Welles Geld zur Fertigstellung seines Films über einen Regisseur, der zur Fertigstellung seines Films Geld sucht, geben wollte. „Das war die bittere Ironie des Ganzen „, sagt er, „sie applaudierten wie blöde, aber keiner rückte auch nur einen Cent heraus.““

Das Morgen ist schon im Heute vorhanden, aber es maskiert sich als harmlos.

Robert Jungk

Cyberspasz, a real virtuality stellt die Frage nach einer Technik, die sich nicht mehr zwischen den Menschen und die Welt stellt, sondern zu einer in beide Richtungen durchlässigen Membran geworden ist. Weigoni lotet in der Novelle Kopfkino aus wo ist das Morgen im Heute vorhanden, und wie harmlos ist es. Der Fortschritt in der Digitalisierung von Film-Bildern verläuft exponentiell; er explodiert. Alle paar Wochen werden neue Instrumente und Gadgets präsentiert, deren Gebrauchswert zwar keineswegs in allen Fällen gesichert ist, deren Macht indessen über vieles triumphiert, was eben noch verstanden und beherrscht werden konnte. Selbst eingefleischte Freaks finden sich nicht sofort zurecht auf den Flächen und Paletten.

Verballhornungen auf die Medienwelt

„Die Zukunft war früher auch besser!“, ist ein Zitat das Karl Valentin zugeschrieben wird. Retrofuturismus spult sich bei Kopfkino ein WortVideo für eingeweihte Ohryeure ab. Im Paralleluniversum 2001 taucht eine bis dato unentdeckte Fassung von Herz der Finsternis, dem ersten Orson Welles–Film, aus den unergründlichen Tiefen eines Sammlerarchivs wieder auf. Restauriert, denn die Benutzeroberfläche des Spektakelkinos muß neuesten Standards entsprechen, damit der Markenkern ästhetisch nicht desavouiert wird. Georg Kaplan, ein Journalist wider besseres Wissen, bekommt durch Zufall den Auftrag seines Lebens. Er beginnt mit seinen Recherchen und stellt bald fest, daß etwas nicht stimmt, die wieder aufgetauchte Herz der Finsternis-Fassung ist offensichtlich eine Fälschung. Weigoni heftet sich auf die Spuren des Cineasten und entdeckt in den glatten Oberflächen eines Kapitalismus der Bilder eine paradoxe vitale Aufladung und Leblosigkeit zugleich: Ungläubigkeit, wiederholte Prüfung der Fakten, Lähmung, Verzweiflung, Befriedung des inneren Aufruhrs durch Rituale.

 

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen von A. J. Weigoni, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Covermonatge: Jesko Hagen

Weiterführend →

KUNO übernimmt Artikel von Jo Weiß aus Kultura-extra, von Karl Feldkamp aus Neue Rheinische Zeitung und von Christine Kappe aus der vom Netz gegangenen fixpoetry. Betty Davis sieht in Cyberspasz eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt in der real virtuality eine hybride Prosa. Enrik Lauer deutet diese Novellen als Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.