Über die Prosa von A.J. Weigoni

A.J. Weigoni ist ein genialer Decouvreur von Alltagsmythen, ein Demonteur von Sprache auf hohem Niveau.

Wolfgang Schlott

Coverphoto. Anja Roth

Eigentlich sind Zombies lebende Tote. Vertieft sich allerdings der Leser in den Kurzgeschichtenband „Zombies“ von Andrascz Jaromir Weigoni, glaubt er sich eher von toten Lebenden umgeben, die als willenlose Marionetten an Fäden von Hintermännern und -frauen zu hängen scheinen, um auf diversen gesellschaftlichen Kleinbühnen dem zu folgen, was Trendsetter, Politiker, Journalisten, Autoren, Regisseure und andere wie auch immer geartete Puppenspieler von ihnen erwarten.

Der Autor, ob nun als Dompteur menschlicher Bestien oder als deren schlichter Beobachter unterwegs, führt den Leser durch einen nicht gerade abgesicherten Käfig, in dem menschliche Monster und normale Zeitgenossen ihren Ängsten, Leidenschaften und Alltagsgrausamkeiten ausgeliefert sind. Im Tonfall banal und unaufgeregt, regt der in Budapest geborene Autor dennoch auf und findet je nach Inhalt der jeweiligen kurzen Erzählungen eine ureigene Sprache, die seine Figuren und deren Lebensumwelt äußerst zutreffend charakterisiert. Dabei schöpft er offenbar aus einem schier unglaublichen Vokabel-Repertiore eines Sprachgenies.

Seine bedauernswerten Gestalten stellt Weigoni durch grotesken und rabenschwarzen Humor als rettungslose Verlierer dar, die unaufhaltsam global apokalyptischen Niedergangsszenarien ausgeliefert zu sein scheinen. Angesichts der Reaktorkatastrophen im japanischen Fukushima kommt somit ein Teil dieser Szenarien den Realitäten erschreckend nah.

Der Autor beklagt – allerdings ohne wirklich zu klagen – Identitätsverluste, stellt Geschlechterrollen in Frage. Er setzt unter anderem in der Erzählung „Werbeblock“ einem „Selbst- und Fremddarsteller“ und dessen „veraltetem Image den coolen Dandy entgegen, der sich vor dem Spiegel selbst entwirft. Ein in Würde gealtertes Symbol für galantes Machotum…“ Der verunsicherte Mann bleibt somit auch nicht verschont. „Macht, was ihr wollt, aber macht es profitabel!“ ist offenbar „der Leitgedanke“, dem in der kapitalistischen Welt alle Figuren Weigonis mehr oder weniger offensichtlich folgen.

Der Sprachjongleur nimmt seine Leser mit auf eine abenteuerliche Reise „in popmoderner Grossraumprosa“, lässt sie an vielen Stationen aussteigen und führt sie in der Umgebung herum. Dabei macht er sie zu Voyeuren gewöhnlicher Obzönitäten, die er als Reiseführer sprachlich ungewöhnlichst präsentiert.

Das Buch eignet sich weniger als entspannende Urlaubs- oder Feierabendlektüre, wohl aber als Lesestoff für gesellschaftskritische Realisten und Surrealisten, die gern in Happen Bücher mit kurzen Erzählungen lesen und durchaus ahnen, dass Menschen nur äußerst bedingt aus ihrer Vergangenheit schlauer werden.

Beinahe hoffnungsvoll philosophisch und auffordernd endet das Buch mit der Feststellung: „Die Vergangenheit wird begehbar, ein Zurück ist kein Rückschritt. Ankunft ist ein Prozess, der nicht enden wird.“ Damit lässt Weigoni seine Leser dann doch nicht vollkommen hoffnungs- und orientierungslos im Chaos – oder um es aktuell auszudrücken – im atomaren Regen stehend zurück.

Kapitalismus bleibt übrig, wenn Rituale oder elaborierte Symbolwelten kollabiert sind und nur noch der Zuschauer–Konsument durch die Ruinen und Relikte wandert.

Mark Fisher

Covermontage: Jesko Hagen

Weigonis Novellenbuch endet mit: … übrigens gibts ein Leben nach der Kunst, vielleicht ist es das bessere. Who cares?

Als ich das ‚Kunstwerk‘ ausgelesen hatte, verspürte ich umgehend die Sehnsucht nach einem (wenigstens) anderen Leben. Die Novellen hatten mich in eine künstliche Welt medialer Kunst hineingezogen. Immerhin kostet das 319 Seiten umfassende Buch mich Wochen, da ich es nur langsam lesen und verstehen konnte.

Bei durchaus vorhandenen Ätschen-Teilen zieht es immer wieder in intensiv geschilderte Szenen und in nachdenkenswerte Dialoge hinein, die in der jeweilig dazu gehörigen Fachsprache geführt werden. Allein wer diese Szenen nachfühlen und die Dialoge verstehen will, braucht Zeit und nicht selten Fachwörterbücher. Natürlich lassen sich, ganz der real virtuellen Welt dieser Lektüre gehorchend, die meisten den jeweiligen Fachjagons entlehnten Wörter auch stilgerecht ergooglen.

Lautmalend verdichtet

Unüberlesbar ist der Autor ein begabter Lyriker. Er versteht es, die Erlebnisse seiner Protagonisten auch lautmalend so zu verdichten, dass er seinen Lesern damit zumutet und ermöglicht, sie immer wieder durch eigene dazu fantasierte Wortbilder und Vermutungen aufzulockern.

In einer dem Kapitalismus dienenden Welt gerät, wenn der Leser sich auf die Folgerungen des Autor einlässt, offenbar alles zum Geschäft und nimmt sowohl als Hobby und als auch als Beruf Liebhaber sowie Profis in seinen Besitz.

Die Mediensprache – einschließlich ihrer mehr oder weniger originellen Werbesprüche und Politphrasen – wird zu beherrschenden Alltagssprache, welche die Muttersprache im eigentlichen Sinne überlagert, verdrängt oder gar zu widerlegen versucht.

Krimi und Liebesgeschichten

Weigonis Novellen haben dabei durchaus aufregende Krimi-Anteile. Selbst Liebesgeschichten kommen nicht zu kurz. Dennoch bleiben die daraus entstehenden Spannungshöhepunkte und emotionalen Szenen irgendwo zwischen Realität und Virtualität stecken. Sie hinterlassen den Eindruck, als würden die Protagonisten nicht leben sondern sich gegen eine gewisse Langeweile um ein vermeintlich zeitgemäßes selbst bestimmtes Leben bemühen. Eigentlich aber werden sie gelebt

Spannendes Detektivspiel

Für den Leser bleibt das Buch bei aller Verstehensmühe dennoch ein spannendes und verzwicktes Detektiv-Spiel auf der Suche nach einem erfüllteren Leben mit mehr Tiefe – und das umso mehr,  je weiter die handelnden Personen sich davon entfernen.

Der von ihnen angestrebte Cyberspasz gleicht bei allem Bemühen um individuelle Originalität eher seichter Comedy und nicht jenem tiefgründigen Humor, der durchaus noch lebenslustvermittelnd sein könnte.

Massenmedien lässt der Autor feststellen, forcieren das niedere Niveau, züchten es gar teilweise.

„Alles klappt. Doch nichts glückt.“

Das utopische Konzept der Eigenverantwortung einer Declaration of Independence als MAGNA CHARTA FÜR DAS ZEITALTER DES WISSENS in Weignonis Buch behauptet. Cyberspace sei das Land des Wissens, und dessen Erforschung die wahrste und höchste Berufung der Zvilisation.

Selbst wenn das für die Zivilisation stimmen mag, drängt sich dem Leser unweigerlich die Frage auf, wie es um unsere Kultur steht.

Bei ihr geht es nur angeblich um Aufklärung und eigentlich um deren Wiederverschleierung durch so genannte Wirtschaftwissenschaften und Medien.

Somit kommt Weigoni über das Zusammenleben seiner Figuren zu dem Fazit:

Zusammenhang gibt es nur durch Zitate, Wiederholungen, Wörterschleifen und Textspiralen. Alles klappt in ihrem Leben. Doch nichts glückt.

Ein Buch für kritische Leser, das bei allen vermittelten Sach-Inhalten dennoch ein ausgesprochen belletristisches geblieben ist und daher nacherlebbar unsere kapitalistische Bild und Wort verwertende Mediengesellschaft zu durchschauen hilft .

 

 

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Cyberspasz, a real virtuality, Novellen, Edi­tion Das Labor, Mülheim an der Ruhr 2012.

Coverphoto: Anja Roth

Weiterführend → KUNO übernimmt Artikel von Kultura-extra und aus fixpoetry. Betty Davis sieht darin eine präzise Geschichtsprosa. Margaretha Schnarhelt erkennt hybride Prosa. Enrik Lauer deutet Schopenhauers Nachwirken im Internet. In einem Essay betreibt KUNO dystopische Zukunftsforschung.

Zombies, Erzählungen, Edition Das La­bor, Mülheim an der Ruhr 2010.

Weiterführend → KUNO übernimmt einen Artikel von Jo Weiß von fixpoetry. Enrik Lauer stellt den Band unter Kanonverdacht. Betty Davis sieht darin die Gegenwartslage der Literatur, Margaretha Schnarhelt kennt den Ausgangspunkt und Constanze Schmidt erkennt literarische Polaroids. Holger Benkel beobachtet Kleine Dämonen auf Tour. Ein Essay über Unlust am Leben, Angst vor’m Tod. Für Jesko Hagen bleiben die Untoten lebendig.

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