Kaltland

›Kaltland Beat‹ ist die Bestandsaufnahme einer Krise, nämlich Manifest der Erkenntnis, dass das Projekt der Moderne mit seinen diversen Ansprüchen nach Originalität, Vitalismus, Avantgarde, Präsenz, Dissidenz, Schock und Aufhebung von Kunst und Leben auch im literarischen Underground historisch geworden ist. […] Damit ist ›Kaltland Beat‹ aber zugleich auch die beste deutschsprachige Anthologie zum Thema, eine die alle anderen glatt ersetzt.

Martin Büsser, Testcard / Beiträge zur Popgeschichte

Vereinzelte, schwer definierbare Erscheinungen wie Underground, Subliteratur, Außer-Literarische Opposition, Trash– und Cut-up-Schreibtechniken, Fanzines… um nur einige unter vielen zu erwähnen, weisen altbekannte und theoretisch eingeordnete kulturelle Verhaltensmuster und Gemeinsamkeiten auf: Sie sind die beweglichen Bestandteile einer »Szene«, die, wie schon immer Szenen, Auf- und Austritte, Großartiges und Stinklangweiliges, Neues und Altes, aber vor allem Unmittelbares, Lebendiges und risikoreiches Experimentieren an den Tag bringt.

Der Band sammelt eine Auswahl „anti-elitärer Literatur im Geiste von Brinkmann und Bukowski“ aus den 90er Jahren, als Poetry Slams in jeder Kleinstadt veranstaltet wurden. Die Auswahl der journalistischen Beiträge (u.a. von Marc Degens, Benno Käsmayr, Enno Stahl) reicht von der rein soziologischen Erklärung des Phänomens Subkultur über die Beleuchtung der »geistigen« Aspekte derselben bis hin zu der historischen Entwicklung der Subkultur(en) im 20. Jahrhundert. Daneben stehen Prosatexten (u.a. von Kersten Flenter, Jaromir Konecny, Jan Off, Markus Orths) und Poesie (u.a. von Bastian Böttcher, Tanja Dückers, Björn Kuhligk).

Was für die Außenstehenden und selbst für viele Insider spontane Wildwüchse darstellt, ist für Subkulturforscher wie Rolf Lindner oder Rolf Schwendter sowie für die »Schreibtischtäter« des Undergrounds schon längst eine Selbstverständlichkeit: Subkultur bedeutet zwar noch keine Avantgarde, aber jede Avantgarde entspringt einem subkulturellen Nährboden. Denn sowohl Subkultur als auch Avantgarde sind, noch bevor sie sich als »Dinge« (Thomas Stemmer) manifestieren und sich in ihnen schließlich verlieren, Sicht- und Verhaltensweisen des Einzelnen und/oder der Gruppe.

Mit dem Begriff der »Szene« stehen die Herausgeber sicher und zugleich unsicher da. Sicher, denn sie verzichten bewusst auf den Anspruch, mehr als einige provokative Gedanken und verhältnismäßig wenige »Beweise« mit diesem Buch in die Runde zu werfen. Unsicher, denn ihre Herausforderung bleibt nur so lange eine solche, als die im Buch abgedruckten Texte jenseits der provokativen Posse als Literatur von den Leseren empfunden werden.

 

 

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Kaltland Beat Neue deutsche Szene. Hrsg. v. Boris Kerenski & Sergiu Stefanescu. Mit einem Vorwort von Peter O. Chotjewitz. Ithaka Verlag, Stuttgart 1999

Weiterführend →

Zu den Gründungsmythen der alten BRD gehört die Nonkonformistische Literatur, lesen Sie dazu auch ein Porträt von V.O. Stomps. Kaum jemand hat die Lückenhaftigkeit des Underground so konzequent erzählt wie Ní Gudix und ihre Kritik an der literarischen Alternative ist berechtigt. Ein Porträt von Ní Gudix findet sich hier. Lesen Sie auch die Erinnerungen an den Bottroper Literaturrocker von Werner Streletz und den Nachruf von Bruno Runzheimer. Zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, eine Doppelbesprechung von Hartmuth Malornys Ruhrgebietsroman Die schwarze Ledertasche. 1989 erscheint Helge Schneiders allererste Schallplatte Seine größten Erfolge. Produziert von Helge Schneider und Tom Täger im Tonstudio/Ruhr. Lesen Sie auch das Porträt der einzigartigen Proletendiva aus dem Ruhrgebeat auf KUNO. In einem Kollegengespräch mit Barbara Ester dekonstruiert A.J. Weigoni die Ruhrgebietsromantik. Mit Kersten Flenter und Michael Schönauer gehörte Tom de Toys zum Dreigestirn des deutschen Poetry Slam. Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie hier – Sowie selbstverständlich his Masters voice. Und Dr. Stahls kaltgenaue Analyse. – Constanze Schmidt beschreibt den Weg von Proust zu Pulp. Ebenso eindrücklich empfohlen sei Heiner Links Vorwort zum Band Trash-Piloten. Die KUNO-Redaktion bat A.J. Weigoni um einen Text mit Bezug auf die Mainzer Minpressenmesse (MMPM) und er kramte eine Realsatire aus dem Jahr 1993 heraus, die er für den Mainzer Verleger Jens Neumann geschrieben hat. Ein würdiger Abschluß gelingt Boris Kerenski mit Stimmen aus dem popliterarischen Untergrund.

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